Interview

"Die Baustelle ist keine Fabrikhalle"

Digitalisierung am Bau
29.11.2023

Frank Lulei, Professor für Bauwirtschaft und Baumanagement an der TU Wien, spricht über Produktivität, Digitalisierung und BIM am Bau. Er erklärt, warum BIM die Erwartungen bislang enttäuscht hat, und wie es dennoch funktionieren könnte.
BIM am Bau: Erwartungen bislang enttäuscht
BIM am Bau: Erwartungen bislang enttäuscht.

Herr Lulei, Sie haben kürzlich bei einer Veranstaltung von ÖVB und VIBÖ eine Diskussion über das Thema BIM moderiert und dabei Konfuzius zitiert: „Auch ein Weg von 1000 Schritten beginnt mit einem ersten Schritt.“ Sollte das Mut machen?
Frank Lulei:
So war es gedacht. Ich habe ja auch ergänzt: „Aber wir sind schon einige Schritte weiter.“ BIM hat bislang sicher nicht die großen Erwartungen erfüllt. Das heißt aber nicht, dass der Ansatz falsch ist.

Was hat man sich von BIM versprochen?
Lulei: Der Bauwirtschaft wird immer wieder vorgeworfen, sie sei zu wenig produktiv. Dabei weist man auf die stationäre Industrie hin. Sie hat es in den vergangenen 100 Jahren geschafft, durch einen hohen Grad an Automatisierung ihre Produktivität zu vervielfachen. Man möchte nun Konzepte aus der industriellen Serienfertigung auf die Baustelle übertragen.

Das klingt ja grundsätzlich vernünftig.
Lulei:
Genau. Das ist im Prinzip ein nachvollziehbarer Ansatz. Jedes Business lebt von Effizienz. Die Frage ist: Wie kann ich die Produktivität auf der Baustelle erhöhen? Und hier kommt nun die Digitalisierung ins Spiel. Am Bau besteht eine sehr hohe Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Beteiligten in den verschiedenen Phasen des Projekts. Es gibt den Auftraggeber, die Planer, die Behörden, die ausführenden Unternehmen, deren Subunternehmer sowie die Nutzerinnen und Nutzer. Das erzeugt zahlreiche Schnittstellen. An diesen Schnittstellen müssen die relevanten Informationen jeweils neu aufbereitet und erfasst werden. Das ist fehleranfällig und erzeugt einen immensen Aufwand.

Die Lösung wäre, ein gemeinsamer Datenpool, den alle gemeinsam befüllen und nutzen.
Lulei:
Ich gratuliere. Sie haben gerade das Building Information Model erfunden – auch BIM genannt.

Aha.
Lulei.
Leider sind Sie nicht der Erste.

Okay, ich habe Sie unterbrochen. Wir waren bei den Schnittstellen. Wie geht’s weiter?
Lulei:
Man hat sich die Serienfertigung in der Industrie angeschaut und gesagt: Wir könnten es so machen wie im Autobau und die gesamte Produktionslinie digital abbilden. Übersetzt auf den Bau bedeutet dies, dass man ein digitales 3D-Modell von dem Gebäude erstellt. Man spricht auch von „Digital Twin“. Auf dieses Modell haben alle Beteiligten Zugriff. Es enthält alle relevanten Daten – von der Geometrie und der Beschaffenheit des Materials bis zu den Zeitplänen und den Kosten. Also eine einzige Quelle der Wahrheit. Ein Modell, in dem alle kooperativ und fehlerfrei zusammenarbeiten können.

Das klingt ausgezeichnet. Warum hat sich BIM dann bislang nicht durchgesetzt?  
Lulei:
Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich habe zwei Gedanken. Erstens: Eine Baustelle ist keine Fabrikhalle. Es gibt keine reine Serienfertigung, in der ich alle Umfeldbedingungen beherrsche. Auf einer Baustelle bin ich immer wieder mit externen Einflüssen konfrontiert: Denken Sie nur an das Wetter oder den Verkehr vor Ort. Was mache ich, wenn ich im Wiener Prater baue und der Betonmischer steht im Stau am Praterstern?

Gut, den Einwand kann ich nachvollziehen. Was ist der zweite?
Lulei:
Ein Bauprojekt gleicht einer Firma auf Zeit. Sie hat nur einen Zweck – dieses eine Projekt umzusetzen. Dabei suchen sich die beteiligten Unternehmen ihre Partner aber großteils nicht aus. Die Unternehmen müssen sich nun zusammenfinden. Und wenn sie das geschafft haben, dann ist das Projekt nach drei Jahren schon wieder beendet. Das bedeutet: Alle Beteiligten haben ihre wirtschaftlichen Partikularinteressen. Das kann ja auch gar nicht anders sein. Jeder will ein möglichst großes Stück vom Kuchen bekommen…

…oder überleben.
Lulei:
Richtig. Das ist völlig klar und nachvollziehbar. Jetzt kommt aber das Problem. Die Art und Weise wie die Auftragsvergabe und die Verträge derzeit gestaltet sind, birgt ein großes Konfliktpotenzial. Der Auftraggeber möchte möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld und der Auftragnehmer möglichst viel Geld für möglichst wenig Leistung. Die Verträge sind über viele Jahren hinweg gewachsen, um diesen Widerspruch zu managen – mit strikten Vorgaben, Kontrollen und Pönalen.

Frank Lulei (3. v.l.) bei einer Podiumsdiskussion der Verbände ÖBV und VIBÖ
Frank Lulei (3. v.l.) bei einer Podiumsdiskussion der Verbände ÖBV und VIBÖ: „Auch ein Weg von 1.000 Schritten beginnt mit einem ersten Schritt.“

BIM geht nur mit Kooperation

Ja, anders geht es auch gar nicht.
Lulei:
Da bin ich mir nicht so sicher. Klar ist jedenfalls, dass die bestehenden Vergabe- und Vertragsformen eine offene Kooperation erschweren. Es gibt keine Incentives für die einzelnen Beteiligten, kooperativ zusammenzuarbeiten. Genau das ist aber der Grundgedanke hinter BIM. Das gemeinsame Modell bringt ja nur etwas, wenn alle es auch wirklich benutzen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass man den Partner auf einen Fehler hinweist, wenn man ihn entdeckt.

Gut, oder besser gesagt schlecht: Das passiert bislang nicht oder kaum. Was ist dann die Lösung?
Lulei:
Derzeit werden neue Vertragsmodelle diskutiert: Auftraggeber, Planer und Auftragnehmer gehen gemeinsam frühzeitig an das Projekt heran und vereinbaren Zielkosten. Bei der Ausführung teilen sich die Beteiligten dann einen Bonus oder einen Malus – je nachdem, ob die Kosten unter- oder überschritten werden.

Glauben Sie, dass die BIM-Idee damit zu retten ist? Viele Kritiker bemängeln einen weiteren Aspekt: Die BIM-Modelle seien zu umfangreich, der Aufwand, sie zu bedienen, zu groß.
Lulei:
Ich habe kürzlich eine gute Aussage dazu gehört: „Wenn viele Partner zusammenkommen, entsteht nicht der größte gemeinsame Nenner, sondern die größte gemeinsame Vielfalt.“ Genau das ist meines Erachtens in den vergangenen zehn Jahren passiert. Die BIM-Ansätze sind immer mächtiger und komplexer geworden.

Ist es möglich, die Komplexität zu reduzieren? 
Lulei:
Ich glaube schon. Man könnte zunächst darauf verzichten, das eine, große BIM-Modell zu bauen, sondern mehrere kleinere Modelle für die einzelnen Phasen eines Bauprojekts verwenden – zum Beispiel für die Planung, die Umsetzung und die Nutzung. Das macht es überschaubarer und einfach zu handhaben.

Also Vertragsformen ändern und das BIM-Modell aufteilen. Gibt es sonst noch eine Idee, um BIM zu reanimieren?   
Lulei:
Normen und Standards schaffen. Bislang fehlt das noch. Und das sorgt für weitere Komplexität. Nehmen Sie das Beispiel der Container in der Schifffahrt. Das war ein entscheidender Fortschritt in der globalen Logistik in den 60er Jahren. Wenn Sie heute in Bremerhaven einen Container verladen, können Sie sicher sein, dass der in Montevideo auf einen Eisenbahnwaggon passt. Diese Normen würden BIM einen kräftigen Schub geben.

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