Cool Down Güssing

Innovativer Ansatz für städtische Gebäudekühlung

Gebäudeinstallation
11.12.2023

„Cool-down Güssing“ ist ein ambitioniertes Smart Cities-Forschungsprojekt in der burgenländischen Stadtgemeinde Güssing, die besonders stark von sommerlicher Überhitzung betroffen ist. Deswegen wurden in ausgewählten Gebäuden nachträglich klimaschutzorientierte und innovative Kühlsysteme integriert.
Ortstafel Güssing im Sonnenuntergang

In den stetig heißer werdenden Sommermonaten stehen viele Städte und Gemeinden vor einer enormen Herausforderung: Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels können die Raumtemperaturen in den Gebäuden teilweise auf über 35 °C ansteigen, und auch nachts gibt es oft keine signifikante Abkühlung mehr. Aus meteorologischer Sicht ist besonders der Osten von Österreich ein regionaler „Hotspot“, der in Zukunft vermehrt mit Hitzetagen (über 30 °C Tageshöchsttemperatur) rechnen muss. 
Dabei drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Mit welchen innovativen Technologien kann man den starken Anstieg des Energiebedarfs für die Raumkühlung und -klimatisierung in den ­nächsten Jahren umweltschonend reduzieren? Und wie lassen sich nachträgliche Kühlmaßnahmen im Gebäudebestand realisieren, welche nicht auf rein strombetriebene Retrofit-Klimageräte basieren? 

Cool Down Güssing
Feldtest bei Fa. Guttomat mit automatisierter Nachtlüftung über bestehende Brandrauchentlüftungs­klappen.

AHP-Methode fördert Bewertung

Das vom Klima- und Energiefonds geförderte Smart Cities Projekt ‚Cool-down Güssing‘ hat sich dieser komplexen Aufgabenstellung angenommen und eine techno-ökonomische Analyse bei insgesamt neun unterschiedlichen Demonstrationsobjekten durchgeführt. Konkret wurden im Projektzeitraum 2020 bis 2023 drei Betriebsgebäude, drei Wohngebäude sowie drei öffentliche Gebäude in der Stadt Güssing wissenschaftlich untersucht, die sich in Hinblick auf ihre Bausubstanzen, Rahmenbedingungen und Nutzungszeiten stark unterscheiden. „Wir haben deshalb eine Analytic Hierarchy Process-Methode (AHP) als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der passenden Kühlungsvariante für die einzelnen Gebäude verwendet“, erzählt Christian Doczekal, technischer Projektleiter bei Güssing Energy Technologies. „Die AHP-Methode erleichtert es allen Stakeholdern im Projektkonsortium, eine wirklich fundierte Entscheidung zu treffen, die über eine reine Kosten-Nutzen-Analyse hinausgeht. So können neben ökologischen und technischen Aspekten beispielsweise auch Herstellungs- und Betriebskosten, Kühleffekt, Umgebungseinfluss und Umsetzungswahrscheinlichkeit der jeweiligen Lösungsvorschläge berücksichtigt werden.“

Personen vor einem Gebäude
Stakeholder-Workshop bei Vulcolor Naturfarben GmbH im Juni 2021.

Heterogene Bausubstanzen bei den Demogebäuden

Um möglichst zielgruppengerecht vorzugehen und damit eine hohe Akzeptanz der Nutzer:innen zu erreichen, fand am Beginn des Projektes ein erstes Kennenlernen der Demoobjekte statt. Über eigene Fragebögen wurden zunächst „raumklimatische“ Feedbacks der Nutzer:innen eingeholt sowie verschiedene Messungen von Temperatur und Luftfeuchte in den jeweiligen Demogebäuden durchgeführt. „Mit schweißtreibenden Raumtemperaturen von über 30 °C waren beispielsweise ein Gymnasium (Stahlbeton), ein Kindergarten (Holzriegelbauweise) und eine Produktionshalle der Firma Guttomat (Sandwichpaneele) konfrontiert“, erinnert sich Doczekal. Bevor nun ein Gebäude durch energieintensive Technologie gekühlt wird, steht für den F&E-Experten vor allem die Vermeidung des Wärmeeintrags von außen an erster Stelle. „Bei den nachfolgenden Stakeholder-Workshops hat sich die Mehrheit der Demogebäude erfreulicherweise für passive Kühltechnologien entschieden, die ohne aktive Kühlung per strombetriebener Kältemaschine auskommen.“ Ihr großer Vorteil: Diese Technologien decken vorwiegend die Kühlung des Gebäudes in der Nacht über die kühle Außenluft ab. Die Bandbreite reicht dabei von intelligenter Verschattung, automatischer Fensterlüftung und dezentralen Lüftungssystemen über passive Kühlung mit Wärmepumpen bis hin zur Nutzung von Phasenübergangsmaterialien.

Gruppenbild
Christian Doczekal (li) mit Schülern des BORG Güssing.

Kostengünstige Lösung

In der Produktionshalle der Güssinger Firma Guttomat, die Sektionaltore für private und gewerbliche Anwendungen herstellt, wurde eine Nachtlüftung über die Klappen der Brandrauchentlüftung in einem Pilotbetrieb mit der bestehenden Steuerung getestet. Neben den tagesaktuellen Daten von Wind- und Regensensoren kam dabei auch eine Zeitschaltuhr mit Innen- und Außentemperaturführung zum Einsatz. Und der messbare Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, wie Geschäftsführer Michael Hoffmann berichtet: „Diese überaus effektive und kostengünstige Lösung hat es tatsächlich geschafft, die Arbeitsbedingungen spürbar zu verbessern und gleichzeitig die Betriebskosten zu senken. Wir konnten damit die Temperaturspitze in der Produktionshalle um rund zwei Stunden nach hinten schieben.“
Bei einem weiteren Demogebäude der Firma Vulcolor – einem Produzenten von natürlichen Fruchtsaftkonzentraten für die Lebensmittelindustrie – gab es zusätzliche mikrobiologische Herausforderungen, die aus den strengen Hygienevorschriften resultieren. Vom Projektteam wurde deshalb vorgeschlagen, die Nachtlüftung über einen Ventilator mit einem Filter zu versehen oder Multisplit-Klimageräte mit ca. 10 kW Kühlleistung einzusetzen, für deren umweltfreundlichen Betrieb idealerweise eine PV-Anlage den elektrischen Strom liefern solle. Für Vulcolor-Geschäftsführer Hannes Winkelbauer war letztendlich eine automatisierte Nachtlüftung mit Temperatursteuerung in Kombination mit einer ganzjährigen Abwärmenutzung die optimale Kühltechnologie. Seine Begründung: „Da unsere Lüftung nur bei geschlossenen Toren läuft, könnte ein neuer Separator die Mikrobiologie vereinfachen, daher wäre bei einer Nachtlüftung mit Ventilator keine starke Filterung notwendig. Auch ein Ausbau der Photovoltaik-Anlage wird in unsere Planungen einbezogen, deren Preis unter Berücksichtigung des Gesamtkonzepts allerdings wirtschaftlich vertretbar sein muss.“

Schulklasse Sessel
Im BORG erfolgte die Nachtlüftung über dezentrale Lüftungsgeräte je Klasse.

Schule mit hohem Kühlungsbedarf

Laut Robert Antoni, Direktor des BORG Güssing, sind das Lehrpersonal und die 450 Schüler:innen stark von der sommerlichen Überhitzung in den zwischen 28 °C und 32 °C heißen Klassenräumen betroffen. Demnach hätten auch Sonnenschutzfolien und elektrisch bedienbare außenliegende Raffstores in der Vergangenheit nur einen geringen Kühleffekt gebracht, erklärt Antoni und ergänzt: „Unser Bedarf an weiteren Kühlmaßnahmen ist eindeutig erkennbar, auch wenn vereinzelte Klimasplitgeräte insbesondere in den Maturaklassen die Aufenthaltsqualität ein wenig verbessert haben.“ In Folge der Priorisierung der Bewertungskriterien nach der AHP-Methode wurden vom Projektteam neben anderen Maßnahmen auch die Vor- und Nachteile von dezentralen Lüftungsgeräten untersucht. „Dezentrale Lüftungsgeräte sorgen für kühlere Temperaturen im Sommer und ermöglichen zudem eine Kosteneinsparung durch Wärmerückgewinnung im Winter“, informiert Experte Christian Doczekal. 

Dezentrale Be- und Entlüftungstechnik aus Kärnten

In partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem burgenländischen Elektrotechnik-Spezialisten Joke-Systems wurden in zwei Klassenräumen schließlich Comfort-Vent® AM Geräte der Kärntner Kunststoff- und Lüftungstechnikfirma Wernig KG montiert. „Der große Vorteil dieser Geräteserie besteht darin, dass keine Zu- und Abluftleitungen installiert werden müssen und trotzdem eine gesamte Raumdurchströmung gewährleistet ist“, erklärt Michael Lilleg, Wernig-Vertriebsverantwortlicher für die Bundesländer Steiermark, Burgenland und Kärnten. „Der Wärmebereitstellungsgrad gemäß EN 308 beträgt hier je nach Gerätegröße bis zu 84 %. Dadurch wird die Außenluft soweit vorgewärmt, dass in vielen Fällen auf eine Nacherwärmung der Zuluft verzichtet werden kann.“

Fazit

Weil sich die Luftqualität in den beiden getesteten Räumen durch die dezentrale Be- und Entlüftung deutlich verbessert hat, ist diese Variante für die zwölf Stammklassen des BORG Güssing aus ökologischer Sicht durchaus empfehlenswert. Kleiner Wermutstropfen: Die Anschaffungskosten von über 15.000 Euro je Klasse, denn über die Budgetfreigabe für Investitionen in die schulische Infrastruktur entscheidet die Bildungsdirektion. 

Fakten zum Projekt

Projektstart: 01.04.2020
Projektende: 30.09.2023
Genehmigte Förderung: € 649.241 
Genehmigte Projekt­gesamtkosten: 
€ 1.082.070

Projektkonsortium
• Güssing Energy Technologies GmbH (GET)
• Technische Projektleitung: DI Christian Doczekal 
• Forschung Burgenland GmbH - Sozialdepartment 
• O.K. Energie Haus GmbH 
•  4ward Energy Research GmbH 
• Reiterer & Scherling GmbH 
• Joke-Systems GmbH 

Die Güssing Energy Technologies GmbH (GET) ist ein im Jahre 2003 gegründetes Forschungsinstitut, welches umsetzungsorientierte Grundlagen- und Auftragsforschung im Bereich erneuerbarer Energie betreibt und damit als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Privatwirtschaft agiert. Damit profitieren einerseits die Auftraggeber von der jahrelang aufgebauten Kompetenz. Andererseits wird dieses Wissen durch regelmäßig veranstaltete Symposien der Öffentlichkeit zugängig gemacht bzw. im Zuge von Kursen und Lehrveranstaltungen weitergegeben. 

Branchen
Haustechnik