Nachhaltig bauen

Häuser ohne Heizung

Nachhaltigkeit
28.11.2023

Häuser nach dem 2226-Prinzip kommen ohne Energie für Heizung, Kühlung oder Lüftung aus. Vor zehn Jahren entstand das erste Gebäude in Lustenau. Nun hoffen die Initiatoren auf den großen Durchbruch am Markt.

Dietmar Eberle weiß, dass man manchmal Geduld haben muss im Leben: »In der Wissenschaft habe ich eines gelernt: Es dauert eine Generation, bis sich eine Idee durchsetzt.« Diese Langmut möchte der Vorarlberger Architekt und Mitbegründer von Baumschlager Eberle Architekten diesmal allerdings nur ungern aufbringen. Es geht um ein Konzept, das Eberle und sein Team entwickelt und vor zehn Jahren erstmals in einem Gebäude in Lustenau umgesetzt haben: das Prinzip 2226.

Der Name ist hier Programm. 2226 steht für eine Innentemperatur von 22 bis 26 Grad, die ein Gebäude, das nach diesem Ansatz gebaut worden ist, konstant aufweist. Das Besondere daran: Das Kunststück gelingt ohne den Einsatz von Heizung, Kühlung oder Lüftung. Was wie architektonischer Hokuspokus klingt, ist in Wirklichkeit eine clevere Kombination von Bauphysik und intelligenter Software: 2226 verbindet eine hohe Speichermasse (Materialqualität) mit klug proportionierter Architektur (Lichteinfall) und einer intelligenten Steuerung der Energieströme, mit einer eigens dafür entwickelten Software – dem 2226 Operating System.

Als Wärmequelle für die Räume »dienen die Menschen selbst sowie ihre elektronischen Geräte, plus die Beleuchtung« erläutert Eberle. Das Operating System übernimmt die Rolle einer intelligenten Gebäudesteuerung. Es regelt vollautomatisch Temperatur, CO₂-Gehalt und Luftfeuchtigkeit der Räume über Sensoren und Luftklappen. »Sie müssen sich das Haus wie einen Baum vorstellen. Es atmet und reagiert auf das, was drinnen und draußen passiert«, so Eberle. Eine wichtige Rolle spielt zudem das Material für die Außenwände. Eberle: »Einer der Schlüssel ist die Außenwand aus Ziegel. Sie speichert im Winter die Wärme und hält im Sommer die Hitze.« Johann Marchner, Geschäftsführer des Ziegelherstellers Wienerberger in Österreich, formuliert es folgendermaßen: »Der Ziegel funktioniert wie eine natürliche Klimaanlage – und das mit einem zweischaligen Mauerwerk ohne zusätzliche Dämmung.«

Bei der Umsetzung des 2226-Prinzips arbeiten Baumschlager Eberle Architekten eng mit Wienerberger zusammen. Bislang sind vier Gebäude in Vorarlberg und in der Schweiz nach dem Prinzip errichtet worden. Das erste Gebäude, ein gemischtes Wohn- und Bürohaus, in Lustenau, ein Therapiezentrum mit Wohnungen in Lingenau, eine kleine Wohnhausanlage in Dornbirn sowie ein Büro in Emmenweid in der Schweiz. Vier weitere Projekte sind derzeit in Bau. Dazu zählt das Projekt »Robin« mit drei Gebäuden in der Seestadt Aspern in Wien und das bislang größte Vorhaben: das JED bei Zürich, ein Büro, Gewerbe- und Laborkomplex mit einer Fläche von 18.000 Quadratmetern. Weitere rund 30 Projekte in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien und Italien befinden sich in Planung.

Immer mehr Stadtviertel

»Wir erleben derzeit eine große Nachfrage«, freut sich Architekt Eberle. Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender des Wienerberger-Konzerns, ist ebenfalls davon überzeugt, dass die Zeit für das 2226-Prinzips reif ist. »Neue Ideen haben es am Anfang immer schwer«, so der Wienerberger Chef. »Aber wir haben jetzt zehn Jahre Erfahrung mit dem Prinzip und können die Fragen, die es dazu gibt, beantworten.« Scheuch erwartet einen weiteren deutlichen Anstieg der Nachfrage. Er ist davon überzeugt, »dass wir in Zukunft immer mehr Stadtviertel nach dem Prinzip 2226 sehen werden«.

Gute Argumente haben die beiden Partner jedenfalls. Ein sehr gewichtiges: die Kosten. Nach Angabe von Baumschlager Eberle Architekten liegt das erste 2226-Haus in jeder relevanten Kostendimension unter den durchschnittlichen Werten von Standardgebäuden. Die Errichtungskosten sind demnach um 25 Prozent niedriger, der laufende Energieverbrauch um 68 Prozent. Die gesamten Lebenszykluskosten des 2226-Hauses liegen um 49 Prozent unter jenen eines Standardhauses. Diese Kosteneffizienz kommt vorwiegend durch die ressourcenschonende, einfache Bauweise des 2226-Prinzips zustande: Der technische Aufwand wird bewusst zurückgefahren. Der Verzicht auf Heizung, Kühlung und Lüftung spart nicht nur Investitionen beim Bau, sondern auch laufenden Wartungsaufwand. Die Langlebigkeit und damit die Nachhaltigkeit der Bauten steigt. Dazu kommen die Vorzüge des Ziegels: »Er verbindet die statischen Eigenschaften mit den Qualitäten der Wärmedämmung«, meint Architekt Eberle. »Das weltweit älteste Fertigteilprodukt ist diffusionsoffen, sodass anspruchsvolle Dampfbremsen vermieden werden können.«

Der sparsame Umgang mit den Ressourcen führt zu einem zweiten Argument, das immer wichtiger wird: die Nachhaltigkeit. »Das Prinzip 2226 ist ein entscheidender Schritt hin zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die ganze Generationen leistbaren Wohnraum in höchster Lebensqualität ermöglicht«, so Scheuch. »Durch diese Innovation senken wir gleichzeitig Emissionen und Kosten.« Dabei verweist der Wienerberger-Chef auf den reduzierten CO₂-Verbrauch bei Bau und Betrieb sowie auf die »komplette Recyclefähigkeit der nach diesem Prinzip gebauten Gebäude«.  

Aus Sicht von Architekt Eberle ist das 2226-Prinzip ein wirksames Instrument, um die CO₂-Emissionen, die die Bauwirtschaft global produziert, zu senken. »Die Bauwirtschaft verursacht weltweit mehr CO₂-Emissionen als der Verkehr.« Wenn man im Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich sein wolle, könne man es sich nicht leisten, am Bau untätig zu bleiben. Eberle trocken: »Da können wir noch so viele Elektroautos fahren«. An der Reduktion von CO₂-Emissionen führt seiner Ansicht nach kein Weg vorbei. In den Industrienationen »liegt der Energieverbrauch pro Tag pro Person bei 8.000 bis 10.000 Watt«, so Eberle. Das Ziel müsse sein, diesen Verbrauch auf 2.000 Watt zu senken. Das Prinzip 2226 »gibt uns einen großen Hebel für die Erreichung des European Green Deal und der Klimaneutralität bis 2050«, ergänzt Wienerberger-Chef Scheuch.

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