Immobilienbranche

Das Annus Horribilis

Krise
01.12.2023

Die Immobilienbranche hat ein Jahr zum Vergessen hinter sich. Die schlechte Nachricht: 2024 wird noch mieser. Die Gute für jene, die das überstehen: Die langfristigen Aussichten sind in Ordnung.

Zur Bewertung des laufenden Jahres muss Thomas F. Winkler an ein Zitat der verstorbene Queen Elisabeth denken: Was die britische Monarchin mit Blick auf den Brand einer einzelnen, wenn auch besonderen, Immobilie – dem Windsor Castle – sagte, trifft aus Sicht von Winkler auf die gesamte Immobilienbranche zu: "Das Jahr 2023 ist ein Annus Horribilis", so der CEO der UBM Development AG. "Es wird in die Annalen der Immobilienwirtschaft eingehen."

Die Hauptursache für die Schieflage der Branche und der eng mit ihr verbundenen Bauwirtschaft ortet Winkler in einer Kombination von zwei Ereignissen – "dem schnellsten Zinsanstieg der Geschichte nach dem längsten Aufschwung, den diese Branche jemals gesehen hat". Winkler: „Der Zinsanstieg kann für niemand überraschend gewesen sein, aber die Geschwindigkeit war nicht vorherzusehen. Der lange Aufschwung hat dazu geführt, dass viele immer mutiger geworden sind. Sie sind Opfer ihres eigenen Erfolges geworden.“

Den letzten Satz dürfte Réne Benko unterschreiben. Der bis vor Kurzem noch gefeierte Immobilieninvestor aus Tirol ist mittlerweile das Symbol der Krise geworden. Seine Signa Holding musste mittlerweile Insolvenz anmelden. Gemessen an den Passiva von 5,3 Milliarden Euro hat die Signa die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte hingelegt – weit vor dem bisherigen Spitzenreiter, der Alpine-Gruppe, mit 3,5 Milliarden. Laut Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) "stehen rund 390 österreichische Unternehmen in Zusammenhang mit Signa, wobei es sich großteils um Projektgesellschaften handelt".

Noch ist unklar, ob es zu einem Dominoeffekt innerhalb des Benko-Imperiums kommen wird und zahlreiche weitere Unternehmen aus dem Umfeld des Signa-Konzerns den Gang zum Konkursrichter gehen müssen. Es dürfte aber niemanden geben, der daran zweifelt, dass ein hartes Jahr 2024 auf die Immobilienbranche zukommt. Christoph Weber, Bauexperte beim Unternehmensberater Horvath & Partners, erwartet, "dass es im Jahr 2024 viele Insolvenzen von Projektentwicklern" geben werde. "Wir sehen derzeit erst die Spitze des Eisbergs." Dabei ragt diese schon so weit aus dem Wasser, dass selbst der Kapitän der RMS Titanic sie wohl gesehen hätte: Laut KSV1870 lagt die Zahl der Insolvenzen im Bereich "Erschließen von Grundstücken und Immobilienentwickler" in den ersten drei Quartalen 2023 bereits um 70 Prozent über dem Wert des gesamten Vorjahres.

Es verwundert wenig, dass sich die Krise auch in den Bilanzen der börsennotierten heimischen Immobilien-Unternehmen niederschlägt: Die UBM Development AG hat in den ersten drei Quartalen 2023 einen Verlust von 15 Millionen Euro eingefahren. Ein Jahr zum Jubeln ist 2023 auch für die CA Immo nicht AG. Sie konnte sogar ihr operatives Ergebnis zwar steigern, das Konzerngewinn sank aber aufgrund notwendiger Abwertungen von Immobilien um 77 Prozent auf 61,1 Millionen Euro.

Die Branche erlebt den perfekten Sturm

Und ein Ende der Flaute ist nicht in Sicht. Nichts Gutes lassen jedenfalls die Zahlen erahnen, auf die Klaus Baringer, Obmann des Österreichischen Verbands Gemeinnütziger Bauvereinigungen (GVB) hinweist: Im gesamten Wohnbau in Österreich ist die Zahl der in Bau befindlichen Wohnungen schon 2022 um zehn Prozent gesunken, 2023 wird sie um weitere 13 Prozent fallen. Und für 2024 schaut es noch düsterer aus. Hier wird bei den Baubeginnen mit einem Rückgang von 17 Prozent gerechnet. Dem gemeinnützigen Wohnbau erging es 2023 mit einem Rückgang von acht Prozent der in Bau befindlichen Wohnungen noch etwas besser. 2024 dürfte die Krise aber auch ihn mit voller Wucht erwischen. GVB-Obmann Baringer erwartet ein Minus von 34.000 auf 26.000 Wohnungen. "Das wäre ein weiterer Rückgang um 24 Prozent", meint er. "Ohne Maßnahmen zur Gegensteuerung kann der Abwärtstrend sogar noch schärfer ausfallen."

Laut Unternehmensberater Weber "haben alle großen Immobilienentwickler ihre Projekte, die sich bisher nicht im Bau befinden, auf Eis gelegt. Aufgrund der gestiegenen Zinsen rechnen sie sich nicht mehr." Es mag Ausnahmen geben, aber Weber dürfte mit seiner Einschätzung ziemlich gut liegen. Das bestätigt auch die Buwog, nach eigenen Angaben der führende Komplettanbieter von Wohnimmobilien in Österreich. Die widrigen Bedingungen am Markt "veranlassen viele Bauträger – darunter auch die Buwog – dazu, geplante Baustarts bis auf Weiteres zu verschieben", meint Andreas Holler, Geschäftsführer der Buwog Group GmbH. „Im Augenblick“, so Holler weiter, "setzen wir im Development unsere ganze Energie auf die in der Pipeline befindlichen Projekte, um diese rasch bis zur Baureife zu entwickeln, sowie auf die noch fertigzustellenden Projekte". In anderen Worten: Alles, was begonnen wurde, wird zu Ende gebaut. Neue Projekte bereitet man vor, damit man sofort loslegen kann – wenn der Markt wieder anspringt.

Momentan ist allerdings noch keine Besserung in Sicht. Vor allem institutionelle Investoren und Anleger halten sich zurück. UBM Development-CEO Winkler drückt es drastisch aus: "Wir erleben derzeit eine echten Käuferstreik am Markt: In den vergangenen 18 Monaten sind die Transaktionen zunächst um 60 bis 70 Prozent eingebrochen. Und dann noch einmal um 60 Prozent. Aktuell finden praktisch keine Transaktionen statt", so Winkler. Nachsatz: "Keine Branche kann eineinhalb Jahre ohne Verkäufe unbeschadet überstehen." Die aktuelle Situation beschreibt er als "Survivial of the Fittest. Wer sich am besten vorbereitet hat, und wer sich am schnellsten anpassen kann, der wird überleben."

Auch Keegan Viscius, CEO der CA Immo AG, glaubt, dass eine Reihe weiterer Anbieter dem Beispiel der Signa-Holding folgen werden: "Wir erleben derzeit, wie die lang erwartete Normalisierung der Immobilienmärkte infolge der strafferen Geldpolitik und des raschen Zinsanstiegs ihren Lauf nimmt", so Viscius. "Die Normalisierung ist zugleich auch eine Marktbereinigung, und es ist mit der Insolvenz weiterer schwach positionierter Marktteilnehmer zu rechnen." Das Problem, vor dem viele Immobilienfirmen derzeit stehen: Aufgrund der miserablen Marktlage und ihrer geschwächten wirtschaftlichen Verfassung, fällt es ihnen schwer, frisches Kapital zu beschaffen. Zugleich setzten ihnen die gestiegenen Fremdkapitalkosten zu. "Ein weiterer Abwärtsdruck auf die Bewertungen und eine begrenzte Transaktionsaktivität werden die Bilanzen der Kreditnehmer weiter auf die Probe stellen," meint der CA Immo-Chef.

Ob ein Unternehmen diese Probe besteht oder nicht, hängt aus Sicht von UBM-CEO Winkler davon ab, wie viele Reserven es hat: "Die Branche befindet sich gerade im perfekten Sturm. Wir segeln da ganz gut durch, weil wir zum dritten Quartal 2023 immer noch über sehr solides Cash-Polster von einer viertel Milliarde Euro verfügen", so Winkler. "In der jetzigen Situation ist das die entscheidende Größe." Aufgrund seiner soliden wirtschaftlichen Verfassung habe das Unternehmen auch die Finanzierung für ein neues Büro-Projekt erhalten können – den Bauteil A des Leopold-Quartiers in Wien.

Beim Immobilienkonzern Soravia betrachtet man die stürmischen Verhältnisse am Markt durchaus als Chance. "Da wir über eine gute Eigenkapitaldecke verfügen, können wir selektiv Gelegenheiten nutzen und zukaufen. Deshalb sind wir weiterhin auf der Suche nach den vielversprechenden Projekten von morgen“, sagt ein Vertreter des Unternehmens. Die Soravia-Gruppe kommt laut eigener Angaben relativ unbeschadet durch die Krise, da sie sehr breit aufgestellt und kein reiner Projektentwickler ist. Man setze auf eine "360-Grad-Immobilienkompetenz" basierend auf "Real Estate Investment Management, Real Estate Development, Property- und Facility Management und Hospitality". Für 2023, so das Unternehmen, "erwarten wir aufgrund der aktuellen Marktsituation keine Zuwächse, werden aber dank unserer Diversifikationsstrategie weiterhin solide Ergebnisse verzeichnen".

Wann es wieder aufwärtsgeht, weiß derzeit niemand. Klar ist, dass die Branche sich für 2024 warm anziehen kann. Vor allem die Zinssituation wird schwierig bleiben. "Bei den langfristigen 10-Jahres-Zinsen könnte das Plateau erreicht sein. Ich glaube aber nicht, dass wir schon vor einer Zinswende stehen", meint UBM-Chef-Winkler. Zudem, so Winkler weiter, "überwiegen die negativen Nachrichten. Und ein Markt wird immer sehr stark von der Wahrnehmung getrieben". Immerhin – minimale Anzeichen der Besserung sind erkennbar: Bei Soravia hat man beobachtet, "dass die Baukosten wegen der frei werdenden Kapazitäten inzwischen teilweise wieder sinken".

Unabhängig davon, wie lange die Krise noch andauert – jene Anbieter, die sie überstehen, haben strukturell gute Wachstumsperspektiven. Davon ist jedenfalls UBM-CEO Winkler überzeugt. "Langfristig sind die Aussichten für unsere Branche gut. Wir bauen ja keine Einspritzdüsen für Dieselmotoren, die bald vom Markt verschwinden könnten", mein Winkler. "Wir produzieren etwas, was die Menschheit dringend braucht: ein Dach über dem Kopf – egal ob als Wohnung oder als Büro." Vor allem den Büromarkt in Wien sehen Experten auf Dauer sehr positiv. Wien ist in Europa der Markt mit den geringsten Leerständen und der geringsten Neuproduktion. Winkler: "Das muss zu einem Unterangebot führen. Ich glaube daher, dass man nichts falsch machen kann, wenn man in Wien auf Büros setzt."

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