Ende der Eiszeit?
Schon lange nicht mehr hat ein Projekt die Gemüter so erhitzt. Manche Architekten beschwören plötzlich den Canaletto-Blick, der Stadtplanung wird Konzeptlosigkeit und Verschleuderung öffentlichen Grundes vorgeworfen. Bei dem zum Schandfleck verkommenen Filetgrundstück inmitten der Stadt mit dem in die Jahre gekommenen Hotel, dem Eislaufplatz, der jeden Sommer als „Sand-City“ zweifelhaftes Strandflair vermitteln soll, ist trotz Widmungsgewinn das Risiko für Investor Michael Tojner groß und eine Rendite keineswegs sicher.

Mit dem Wettbewerbs-Siegerprojekt von Isay Weinfeld ist die Chance auf nachhaltige Belebung und Entwicklung dieses Quartiers gemäß den Intentionen von Maria Vassilakou zu hoffen. Und wer, wenn nicht ein privater Investor könnte auf dem Privatgrundstück bauen?
„Aufgabe der Stadtplanung“, so Christoph Chorherr, „ist es nun, nach der Garantie eines bestmöglich transparenten Verfahrens und internationalen Wettbewerbs die Wünsche aller Akteure zu koordinieren und den Siegerentwurf zu einem baubaren Projekt zu entwickeln, das die Zustimmung aller findet. Weiters hat sie eine optimale Lösung zur öffentlichen Sommer- und Winternutzung sicherzustellen. Auch Fragen des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung zum Projekt sind zu berücksichtigen.“ Unter den wachsamen Augen von Gegnern und Befürwortern wird es ein kommunikativ und juristisch schwieriger Akt, eine nachhaltige, von allen getragene Lösung zu finden. „Isay Weinfeld“, so sein langjähriger Mitarbeiter und Chef des Münchner Koordinationsbüros Architekt Sebastian Murr, „ist in diesen Prozess via Videokonferenzen laufend eingebunden und interessiert, für Ansprüche und Probleme aller Proponenten architektonische Lösungen zu finden“.
Die Stadtplanung vertritt die Interessen der Öffentlichkeit. In Österreich verpflichtet kein Gesetz zugunsten der Öffentlichkeit zur Abgabe aus Widmungsgewinnen. Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka: „Die Verknüpfung eines öffentlich rechtlichen Aktes, wie dem Flächenwidmungsplan mit einem zivilrechtlichen ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Man darf die Flächenwidmung nicht von Nutzungsvereinbarungen abhängig machen.“ Befürchtungen und Vorbehalte gegenüber den Versprechungen des Investors, der medial äußerst professionell agiert, sind daher berechtigt. Dietmar Steiner etwa sagt dazu: „Die Stadtplanung muss in diesen Verträgen die architektonische Qualität bis zum Schluss vertraglich sicherstellen, sodass ein architektonisch und ökonomisch glaubhaftes Ergebnis herauskommt.“
Die aktuelle, seit Juni geltende Bauordnung für Wien ermöglicht nun erstmals der Stadtplanung, eine vertragliche privatrechtliche Vereinbarung mit dem Investor zu schließen, unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und der Wünsche aller Akteure.
Mustergültiger Planungsprozess?
Am Beginn stand ein kooperatives, lernendes Verfahren unter Beteiligung von rund 50 hochkarätigen Experten. Das Ergebnis wurde öffentlich vorgestellt und diskutiert. Konkrete Szenarien inklusive Hochhausvariante, Eisflächenerweiterung auf die Straße, inhaltliche Empfehlungen zu Bebauungskonzepten sowie Durchwegungen wurden festgehalten. Trotzdem betrachten viele das Ergebnis als gescheitert. ÖGFA-Vorstandsmitglieder warnten in einem offenen Brief „vor der Durchführung des Wettbewerbs ohne grundlegende Festlegungen wie u. a. der Gebäudehöhe“ und wünschten sich „klare Vorgaben und Rahmenbedingungen seitens der Stadtplanung“. Jurymitglied Wilfried Kuehn kontert: „Wir fanden es besser, keine engen städtebaulichen Vorgaben mittels Masterplan festzulegen, sondern Freiheit für die Architektur zu schaffen, damit aus dieser ein spezifischer Städtebau entwickelt werden kann. Festgelegte Höhen und Baumassen sind so probat wie ein Fünfjahresplan, eine Illusion, der zu widersprechen ist: Nur die konkrete und spezifische architektonische Lösung kann beurteilt werden, während ein Masterplan immer abstrakt und wirklichkeitsfremd bleiben wird.“ Dies bekräftigt auch Dietmar Steiner: „Ein Masterplan ist kein Instrument zur Sicherung architektonischer Qualität, diese muss man projekt- und situationsbezogen sicherstellen. Wir erleben in Wien laufend, dass die Stadtplanung Gutachterverfahren macht, aus denen ein Masterplan hervorgeht, es folgt ein Bauträgerwettbewerb, und alle scheitern dann an der vorgegebenen städtebaulichen meist inakzeptablen Situation. Die Schnittstelle zwischen Flächenwidmung und Bebauungsplan/Masterplan zur Architektur ist eine nicht definierte Grenze.“ Walter Chramosta sagt: „Es gab für die Bedeutung des Platzes zu wenige Wettbewerbsteilnehmer.“ Kuehn kontert, „ein größeres Feld hätte auch weniger Zeit zur Jurierung der Arbeiten bedeutet und wäre oberflächlich gewesen. Das Verfahren war mit vorgeschaltetem offenem Bewerbungsverfahren insgesamt dreistufig. Die persönliche Projektvorstellung kommt einer vierten Stufe gleich. Mehr habe ich noch nicht erlebt, und es macht auch keinen Sinn. Ein Irrglaube, dass viele Teilnehmer zu besseren Ergebnissen führen.“
Der Bauherr
Welche Möglichkeiten hat Bauherr Michael Tojner, diese devastierte „Randzone inmitten der Stadt“ zu entwickeln? Er sieht sich als architekturbegeisterter Bauherr: „Ich mache dieses Projekt nicht als Investor, um eine hohe Eigenkapitalrendite zu verdienen, das ist der falsche Ort, sondern weil es ein außerordentlicher Platz ist, das spannendste Projekt in der Innenstadt. Hier können wir hoffentlich einen außerordentlichen architektonischen Meilenstein setzen. Dass es Kritik gibt, ist in einer Demokratie gerechtfertigt, doch wenn wie im Wettbewerb die Mehrheit dafür ist, dann sollte man den Mut zur kompromisslosen Umsetzung haben. Am Ende soll sich das Projekt in Zukunft tragen können und das Ensemble zum Kulturerbe der Stadt beitragen. Die Gebäudehöhe sollte da kein Kriterium sein.“ Ob eine gewünschte Rendite bei einem Projektvolumen von 250 Millionen Euro um zehn bis 15 Prozent möglich ist, werden die Entwicklungen zeigen. „Denn“, so Tojner weiter, „der Worst Case wäre, dass alles so bleibt, wie es ist.“
Der Wiener Eislaufverein
Die stärkste Position hat der WEV durch seinen bis 2058 gültigen Pachtvertrag, den er um weitere 100 Jahre verlängern möchte. Auf Synergien, die Öffnung des Geländes für die Öffentlichkeit oder die Konzerthausbesucher im Sommer angesprochen, sagt Vorstand Architekt Gustav Pichelmann trocken: „Wir sind Ganzjahresmieter. Wenn jemand das Grundstück benützen will, müssen wir denselben Betrag erhalten wie vom jetzigen ‚Sand-City‘-Pächter.“ Zum Projekt insgesamt sagt er: „Wir sind liquide und brauchten es nicht.“ Pressesprecher Peter Menasse: „Städtebauliche Aspekte interessieren uns nicht. Wir haben nur den Wunsch, dass der niederschwellige Eislaufverein für alle bleibt.“ Die Liste der Forderung des WEV ist lang: Buffet- und Umkleideräume, Sommereishalle, Abstellräume für die Eismaschinen usw. Nach den jetzigen Pachteinnahmen gefragt, hüllt man sich in Schweigen. Flächen will man nicht abgeben. Schwierig, mit einem so festgefrorenen Partner zu neuen Lösungen zu kommen. Architektin Daniela Stifter dazu: „Es wäre schon zu hinterfragen, ob der WEV nicht ein letztes Überbleibsel einer kleinen bürgerlichen Elite ist und ob die Niederschwelligkeit nicht viel attraktiver am Rathausplatz beim Wiener Eistraum gelebt wird. Profi-Eisläufer und Hockeyspieler nützen längst zeitgemäßere Ganzjahres-Trainingsmöglichkeiten im Eissportzentrum Kagran. Für die 6.000 m² große Betonfläche in bester Lage muss selbst im Winter mit enormem Energieaufwand Kunsteis produziert werden. Vielleicht wäre eine begrünte Anlage in Fortsetzung des Stadtparks für die Bewohner Wiens wünschenswerter als versiegelter Betonboden.“
Die Wiener Konzerthausgesellschat
Mit 800.000 Besuchern pro Saison ist es sie wichtigste Akteurin in diesem Quartier, hat jedoch keinerlei Rechtsansprüche, nur wenige Wünsche. Vorstand Günther Tröbinger: „Bei einer Durchwegung von der Lothringerstraße zum Heumarkt wäre es schön, die Seitenfassade des Konzerthauses freizulegen und zu öffnen, sodass sich Besucher in der eislauffreien Zeit dort aufhalten können. Im Moment hat Verkehrsplaner Werner Rosinak im Auftrag der Wertinvest nur eine drei Meter breite Durchwegung vorgesehen. Diese könnte zu einem schmalen Angstraum werden, der zum Schutz des Eislaufplatzes noch mit einer 1,20 Meter hohen Bande und einem Netz darüber begrenzt wäre.“ Architektin Regina Freimüller-Söllinger, Mitglied des Planungsteams und Vertrauensarchitektin der Konzerthausgesellschaft, sagt, der Weg müsse mindestens fünf Meter breit sein. Man hofft auf die Kreativität des Architekten, eine optisch transparente Lösung für Bande, Weg und Öffnung der Fassade zu finden. Tröbinger begrüßt, „dass nun endlich etwas passiert. Wir brauchen keine zusätzlichen Proberäume und Künstlerwohnungen. Für einen sommerlichen Open-Air-Betrieb haben wir weder die Struktur noch das Geld. Kein hochkarätiges Orchesterkonzert kann kostendeckend veranstaltet werden.“
Das Unesco-Weltkulturerbe
Zum Stein des Anstoßes, dem geplanten Wohnturm mit einer Höhe von 72,55 Metern, meint Dietmar Steiner: „Richtlinien für Gebäudehöhen gibt es im Unesco-Weltkulturerbe nicht, also müsste die klassisch gut proportionierte elegante Lösung Weinfelds und der Erhalt des Hotels den Icomos-Vertretern gut gefallen.“ Es erstaunt, dass sich zu den üblichen Initiativen und Unterschriftensammlern gegen jede neue Architektur nun auch Architekten gesellen und unisono den Verlust des Unesco-Weltkulturerbes befürchten. Architekten, die sonst beklagen, es würde zu wenig Neues in der Stadt gebaut. Architekten, die ebenso oft anklagen, dass Wettbewerbssiegerprojekte nicht umgesetzt werden. Es verwundert, dass hierbei auch der sogenannte Canaletto-Blick herangezogen wird, den es schon vor 250 Jahren nicht gab. Canalettos Kunst bestand ja darin, aus verschiedenen Beobachtungspunkten und „gezoomten“ Achsen, ein Kompositbild zu einem Idealbild fernab der Realität zusammenzusetzen.
Die Angst vor Investoren
Laut Kritikern tritt die Stadt gegenüber Investoren zu milde auf; nicht gerechtfertigt sei es, einem Investor durch Abtretung von 1.000 Quadratmeter bestem Grund mit der Errichtung eines Luxuswohnturms zu einem derart immensen Widmungsgewinn zu verhelfen – der letztlich zur Kompensation der verlorenen Eislauffläche benötigt wird. Grob geschätzt könnte die Wertinvest für die zusätzlich gewonnenen 15.000 Quadratmeter BGF angesichts marktüblicher Preise für Luxuseigentum von bis zu 20.000 Euro/m² 300 Millionen Euro erzielen. Das wäre genau das von Tojner geschätzte Projektvolumen inklusive Rendite. Doch davor muss er in Vorleistung gehen, das Hotel renovieren und das Kongresszentrum bauen. Ob beides ein Erfolg wird, lässt sich nicht abschätzen, denn laut Auskunft des Österreichischen Hotelverbands gibt es in Wien bereits Überkapazitäten. Finanzieren muss Tojner die Wünsche aller Akteure wie die Indoor-Eishalle, Schwimmhalle, Sporteinrichtungen, die Turnhalle, die Durchwegung, die Öffnung der Konzerthausfront und die Verlegung der Lothringerstraße um zirka zehn Meter sowie eine zweireihige Baumallee auf ebendieser. Gesicherte Einnahmen sind nur mit Wohnturm und Büroeinheiten im Heumarkt-seitigen Trakt zu erzielen. Die Chance für dieses Quartier liegt im Kombinationsmix aus Freizeit- und Kulturräumen mit ökonomisch verwertbaren Flächen, durch die das Gesamtprojekt finanziert werden kann.
Aufgrund der Erfahrungen im kooperativen Expertenverfahren, bei dem das Manko klarer Vorgaben für Gebäudehöhen und Bebauungsdichten evident wurde, hat die MA 21 eine Studie zu einem Masterplan-Glacis bei Erich Raith in Auftrag gegeben und eine Hochhausstudie bei Christoph Luchsinger. Die Ergebnisse werden im September vorliegen und sollen in Zukunft Referenzmaße für zukünftige Neubauten an unterschiedlichen Standorten liefern und so zumindest zukünftigen Projekten hilfreiche Orientierung bieten. Für dieses Areal wäre es eine vertane Chance, das Siegerprojekt Weinfelds nicht zu realisieren. Auf seine Detaillösungen für alle Problemstellungen warten wir gespannt. Die Stadtplanung ist um ihre heikle Mission und Vermittlerrolle nicht zu beneiden.
Autor: Brigitte Groihofer