Wachgeküsst!

15.12.2016

Durch behutsame Adaptierung führt die junge Architektin Julia Kick einen ehemaligen Pferdestall in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs in Dornbirn derzeit einer neuen Nutzung zu. Sie etabliert ihn als ihren neuen Bürostandort, in den sie auch gleich ihren Wohnsitz verlegen wird.

Mit seinen über 48.000 Einwohnern ist Dornbirn längst alles andere als dörflich. Dennoch hat sich in der Stadt bis heute das eine oder andere ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude erhalten, das als identitätsstiftendes Element maßgeblich die Atmosphäre städtischer Situationen prägt. Als der Pferdestall, ein Wirtschaftsgebäude der Kellerei eines Südtiroler Weinbauern, errichtet wurde, hat es rundherum, bis auf den Bahnhof, kaum Bebauung gegeben. Während sich die Stadt nun in den vergangenen 120 Jahren nach und nach an das Gebäude angeschmiegt hat, brannte sich dieses als Konstante im sich rasch wandelnden städtischen Gefüge tief in das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung ein. Dass sich genau hier nun etwas tut, wird daher von vielen registriert. „Nicht selten kommt ein Passant vorbei und erzählt eine Geschichte oder persönliche Erinnerung, die mit dem Haus in Verbindung steht“, so die neue junge Hausherrin. Auch sie ist nicht zufällig auf das ungeschliffene Juwel gestoßen, sondern auf der gezielten Suche nach einer ganz besonderen Immobilie mit Charakter und Adresswirkung.

Urbane Vielfalt mit ruralem Flair

Advertorial

Inmitten der baulichen und funktionalen Heterogenität, wie sie wahrscheinlich nur Bahnhofsquartiere hervorbringen können, entsteht derzeit also, zwischen Café Fredy und Isola Capri, neben Beauty Sun, Tabledance Liberty und Atelier- und Wohnhaus Kick/Nußbaumer. Gleich nebenan das Wifi-Gebäude von Ernst Hiesmayr mit seinem Erweiterungsbau von Caramel Architekten. Ideen für eine neue Nutzung des Wirtschaftsgebäudes aus den 1880ern hat es in der Vergangenheit bereits zur Genüge gegeben. Auch in Dornbirn ist der Druck auf innerstädtische Flächen enorm. Dennoch kam es bisher nie zur Umsetzung. Während das Hauptgebäude der Kellerei bereits vor einigen Jahren von einem Bauträger gekauft worden war, der in dem denkmalgeschützten Objekt immerhin vier Wohneinheiten unterbringen konnte, erschien eine Renovierung des Pferdestalls bisher anscheinend nicht rentabel, oder aber man scheute sich vor zu strengen Auflagen des Denkmalamts. Dabei war dieses, wie Julia Kick erzählt, ausgesprochen kompromissbereit. Vielleicht um einer endgültigen Verwahrlosung entgegenzuwirken, die früher oder später unausweichlich zum Verfall geführt hätte. „Es ist kein Barockschloss“, hatte die Beamtin damals gemeint, als die junge Architektin und Bauherrin erste Sondierungsgespräche mit ihr führte. Dass sie mit der Behörde weitgehend d’accord ging, hing vermutlich aber auch damit zusammen, dass es ihr selbst ein Anliegen war, das äußere Erscheinungsbild und somit den Charakter des Hauses zu erhalten.

Revitalisierung mit Augenmaß

Besonders schätzt die Architektin die Großzügigkeit der Räume, die im Gegensatz zu bäuerlichen Wohnhäusern derselben Zeit sehr hoch ist. Da es auch vonseiten des Denkmalamts kaum Einschränkungen oder Vorgaben in Bezug auf das Gebäude innere gab, entschied sie sich dazu, diese räumliche Freiheit durch Split-Levels und Lufträume voll auszuschöpfen. Kicks Entwurf richtete sich dabei dennoch ganz nach dem Bestand. Nachdem die Entscheidung getroffen war, den Holzschirm (Vor arlbergisch für Holzfassade; Anm. der Red.) komplett zu erhalten und diesen auch nicht etwa nur temporär zu demontieren, entwickelte Kick die Konstruktion des Gebäudes von innen heraus, wobei sie zugleich die Tragstruktur der Außenhülle innen sichtbar ließ. Auf eine Installationsebene wurde aus Platzgründen verzichtet. Stattdessen wurden sämtliche Leitungen in den Decken und Zwischenwänden untergebracht. Die Außenhülle wurde lediglich an einer Stelle durch Schlitze perforiert, hinter der sich eine Veranda mit großzügiger Verglasung zum Wohnraum hin verbirgt. Kompromissbereit zeigte sich das Denkmalamt besonders in Bezug auf eine Türöffnung zum westseitigen Garten. Im Zuge eines Gebens und Nehmens – wie es die Architektin formuliert – konnte man sich schließlich dazu einigen, den Durchbruch zu genehmigen. 

Historische vernakuläre Baukunst

Wie differenziert selbst landwirtschaftliche Nutzbauten seinerzeit errichtet wurden, zeigt die spezielle Ausführung der Wetterseite, die im Erdgeschoß nicht wie die anderen Seiten als Fachwerk, sondern als Ziegelmauerwerk ausgeführt wurde. Großzügige Vordächer bilden einen konstruktiven Wetterschutz. „Beeindruckend war vor allem der gute Zustand der erdberührenden Bauteile“, so Kick. Jenseits aller heute geltenden Normen wurde das Bauwerk durch eine einfache Schicht aus Stampflehm abgedichtet, die sowohl das Streifenfundament aus Naturstein umfasste als auch den Innenboden bildete. Durch die Eigenschaft von Lehm, bei Feuchtigkeit aufzuquellen und dadurch Hohlräume zu verschließen, hat dieses Prinzip bisher gut funktioniert. Nach Absprache mit mehreren Experten, die alle unterschiedlicher Meinung waren, entschied Kick, dies exakt so zu belassen. Lediglich eine Drainage wurde neu um das Gebäude herum gelegt. Selbst die Substanz des Fachwerks war erstaunlich gut erhalten. Ausgetauscht musste nur der als Schwellbalken bezeichnete unterste waagrechte Holzbalken, der aufgrund eines in den 60erjahren aufgetragenen falschen Putzes Schaden genommen hatte. Einzelne schadhafte Stellen in der Holzkon struktion sind wahrscheinlich auf ein undichtes Regenrohr zurückzuführen. In enger Zusammenarbeit mit einem Zimmerer und Restaurator wurden diese nahezu chirurgisch entfernt und durch prothesenartige Bauteile ersetzt, die sich zwar eindeutig als neu identifizieren lassen, aber unaufdringlich ihren Platz in der Konstruktion einnehmen.

Bauen im und mit Bestand

Ganz der ländlichen Tradition verpflichtet, wurden bei der Umsetzung des Projekts so viele Arbeitskräfte wie möglich aus dem nächsten Umfeld rekrutiert. Der Vater, ein gelernter Maurer, der in der Administration einer gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft tätig war und seiner Tochter das Bauen quasi in die Wiege gelegt hat, kam hier ebenso zum Zug wie der Schwiegervater, ein gelernter Tischler und Fensterbauer. Dass ihr Schwager auch noch Elektriker ist, ist ein wahrer Glücksfall. „Ohne die Unterstützung in Sachen Eigenleistungen aus der Familie wäre das Projekt nicht nur in finanzieller Hinsicht eine noch viel größere Herausforderung gewesen“, freut sich Julia Kick, die im März nächsten Jahres ihr Architekturbüro im Erdgeschoß dieses einstigen Pferd estalls einrichten wird. Sie kann sich gut vorstellen, auch in ihrer zukünftigen Arbeit einen Schwerpunkt auf das Bauen im Bestand zu setzen. „Man sammelt viel wertvolle Erfahrung an einer Bauaufgabe wie dieser, und gerade jetzt, wo ein Gebäude nach dem anderen zugunsten von Nachverdichtung fällt, ist es unglaublich wichtig, einzelne Elemente der Identifikation zu erhalten.“ Durch die Revitalisierung des Pferdestalls ist es ihr immerhin gelungen, dieses eine Objekt vor dem Verfall zu bewahren und es als ihr Büro und Wohnhaus einer langjährigen Nutzung zuzuführen. Dass so viele das Projekt loben, bestätigt die Annahme, dass gerade in Zeiten rasanter Entwicklung – in städtebaulicher wie gesellschaftlicher Hinsicht – ein starkes Bedürfnis nach Beständigkeit herrscht, das gute und dauerhafte Architektur zu erfüllen vermag.

 

Projektdaten:

Bauherr: Julia Kick und Philipp Nußbaumer
Architektur: Julia Kick
Bauphysik: Gerhard Bohle
Statik: Bmst. DI(FH) Martin Fetz
Zimmerer: Mayer Holzbau, Götzis
Grundstücksfläche: 408 m²
Bebaute Fläche: 111 m²
NF (warm): 204 m² + 7 m² Veranda
BRI (warm): 911,5 m³ + 45,5 m³ Veranda
Planungsbeginn: Jänner 2016
Baubeginn: Mai 2016
voraussichtliche Fertigstellung: März 2017
Bauwerkskosten: 400.000 Euro