Kompetenz im Doppelpack
Wo Verantwortung auf Vertrauen trifft, entsteht Raum für echte Zusammenarbeit: Bilaterale Führung steht für einen neuen Zugang zum Thema Leadership – jenseits klassischer Hierarchie. Aber kann das auch in Handwerksbetrieben gelingen?

Gemeinsam, statt einsam: Sich Führungsagenden zu teilen, sorgt nicht nur für Entlastung, sondern kann auch die Expertise im Betrieb stärken. Statt „von oben nach unten“ zu diktieren, setzt der Ansatz der bilateralen Führung als Ergänzung dazu auf Austausch, Augenhöhe und gegenseitige Einflussnahme. Führungskräfte und Mitarbeitende begegnen sich nicht als Befehlsempfänger und Anleiter, sondern als Partner*innen in einem gemeinsamen Prozess. Gerade in Zeiten sich wandelnder Arbeitswelten und vielfältiger Teamkonstellationen wird diese Haltung immer relevanter. Bilaterale Führung schafft nicht nur Identifikation und Motivation, sondern macht auch Platz für individuelle Stärken.
Sonderfall Familienunternehmen
So wird Führung zur Verbindung – und der Führungsalltag zur Bühne für wechselseitige Entwicklung. Allerdings gibt es dabei einiges zu beachten, wie Christian Korunka erzählt. Der emeritierte Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Wien setzt sich unter anderem mit den Themen rund um „flexible Arbeit“ und „neue Formen der Arbeit“ sowie den Gegebenheiten und Bedürfnissen in Familienunternehmen auseinander. „Führung hat sich in den letzten Jahrzehnten professionalisiert“, so Korunka. Gezielte Führungskräftetrainings und Coachings würden in Organisationen immer mehr an Bedeutung gewinnen. In kleineren Betrieben sei das bisher eher weniger Thema und als Weiterentwicklungspotenzial zum einen noch nicht angekommen, zum zweiten sei dort bilaterale Führung nicht immer zweckmäßig: „Es stellt sich die Frage, ab welcher Betriebsgröße bilaterale Führung tatsächlich Sinn macht.“ Im Falle eines Tischlereibetriebs unterscheidet Korunka dabei nämlich eher zwischen fachlicher Anleitung und klassischen Führungsagenden, zu denen Dinge wie Feedbackkultur, Mitarbeiterführung oder Karriereführung gehören – und das mache in sehr kleinen Betrieben schlichtweg keinen Sinn, diese Agenden aufzuteilen.
Kompetenzen erlernen
Die fachliche Anleitung der Mitarbeitenden sei stark durch das Meisterprinzip geprägt und Themen, die als klassische Führungsagenden betrachtet werden, müssen im Sinne einer Kompetenzerweiterung erlernt werden. „Führung nimmt in ihrer Komplexität und ihren Ansprüchen zu – in KMU, die mehr als hundert Mitarbeitende haben, kommt die mittlere Ebene immer mehr unter Druck, da sie eine Vermittlerposition zwischen Mitarbeitenden und Chefetage einnimmt.“ So steht für Korunka unabhängig von der Betriebsgröße jedenfalls fest: „Der Professionalisierungsgrad der Führung wird auch in kleineren Betrieben ankommen – Themen wie Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen von Coachings oder die Aneignung von Führungskompetenzen im Rahmen von Trainings sind dabei zentrale Punkte.“

Gemeinsam gestalten
In Familienbetrieben, in denen ein Generationenwechsel ansteht, kommt es zwangsläufig dazu, dass sich die handelnden Personen Aufgabenbereiche aufteilen müssen, um den Betriebsalltag effizient und erfolgreich zu gestalten. So wie es Rupert Thurner, Landesinnungsmeister der Tischler und Holzgestalter in Salzburg und operativer Geschäftsführer des gleichnamigen Betriebs, mit seinem Sohn Stefan Thurner umsetzt. Das Tischlerunternehmen, das sich auf die Montage von Fenstern und Türen spezialisiert hat und darüber hinaus auch die komplette Innenraumplanung übernimmt, wurde von Rupert Thurner 1993 gegründet – insgesamt sind acht Personen dort tätig. „Wir haben es Stefan immer freigestellt, was er machen möchte. Umso mehr freut es uns, dass er sich mittlerweile voll im Betrieb etabliert hat“, so Rupert Thurner. Nach der Fachschule für Tischlereitechnik in Hallein sammelte der mittlerweile 36jährige Stefan Thurner einige Jahre Erfahrungen in anderen Betrieben, stieg 2012 zuhause ein und absolvierte 2013 die Meisterprüfung. Während Rupert Thurner die operative Leitung des Betriebs innehat, kümmert sich Stefan Thurner als Möbeltischler um die Werkstattleitung und ist Profi in den Bereichen CNC und Programmierung. „Um Stefan gut in den Betrieb zu integrieren, haben wir uns viel Zeit für offene Gespräche genommen“, so Thurner senior.

Der Blick von außen
Darüber hinaus haben die beiden auch externe Beratung in Anspruch genommen, um neue Perspektiven auf den Einstieg des Sohnes und die gemeinsame Leitung des Betriebs zu gewinnen. „Dadurch haben wir ganz andere Einsichten in die Standpunkte der jeweils anderen Person gewonnen. Dieser Blick von außen war auch deshalb wesentlich, weil die gemeinsame Richtung, die wir einschlagen nicht nur uns beide betrifft, sondern alle Mitarbeitenden im Betrieb“, ergänzt Stefan Thurner. Wichtig sei, im Austausch zu bleiben und unterschiedliche Ansichten gut miteinander besprechen zu können. Hier ist für den 60jährigen Rupert Thurner klar: „Genau das braucht es auch. Wenn man dauernd einer Meinung ist, entsteht nämlich nichts Neues.“ Ans Aufhören denkt er aktuell noch nicht: „Mir macht das alles noch immer viel Spaß – und durch das gemeinsame Arbeiten haben Stefan und ich auch die Möglichkeit, die Übergabe mit der nötigen Sorgfalt zu planen.“
Dreifachjackpot
Ein Betrieb, der zwar aktuell noch von einer Person geführt wird, ist jener von Anton Farthofer. Dieser kann dabei allerdings in Zukunft voll auf den Nachwuchs setzen: Das Geschwistertrio Cordula, Jens und Jan Farthofer steht als vierte Generation schon in den Startlöchern. In Gösing am Wagram werden gesamte Wohnraumkonzepte geplant und umgesetzt. Vorerst war auch hier nicht klar, ob alle drei in den Betrieb einsteigen. „Ich war ursprünglich auf der Modeschule und habe mich erst später dazu entschlossen, einzusteigen“, so Cordula Farthofer. Ihre Liebe zu Kunst und Design kann sie allerdings auch jetzt gut ausleben – und zusätzlich unterrichtet Cordula Farthofer an der New Design University in St. Pölten im Bereich Modellbaubetreuung. Die 25jährige hat den Meister schon in der Tasche, ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Jens ist aktuell in der Meisterschule und der 20jährige Jan erweitert seine Kompetenzen ab Herbst im Rahmen eines Architekturstudiums.
Die perfekte Kombination
Schon jetzt setzen sich die drei damit auseinander, wie sie Aufgabenbereiche aufteilen – vieles davon orientiert sich an den jeweiligen Leidenschaften und den Kompetenzen. Während Cordula im Büro organisiert und plant, kümmert sich Jens in der Werkstatt um die technischen Details. „Gemeinsam mit dem Know-how in Sachen Architektur, das Jan sich aneignen wird, wird das in Zukunft die perfekte Kombi. Nicht nur für die Übernahme, sondern auch für die Aufteilung der Fachbereiche zwischen uns“, so Cordula weiter. Ein besonderes Plus: „Dadurch, dass wir zu dritt sind, können wir uns auch in der Kundenbetreuung aufteilen und ganz individuell auf unser Gegenüber eingehen.“ Schon seit jeher werden die drei von Anton Farthofer in die Entscheidungen des Betriebs miteinbezogen – ihre Meinung ist gefragt: „Wir arbeiten gemeinsam und wir entscheiden gemeinsam – natürlich geht das nicht immer ohne Konflikte, aber auch daran sind wir noch immer gewachsen und gestärkt hervorgegangen.“ Offene Kommunikation sei der Schlüssel, bei der Aufteilung der Agenden passiere dabei viel auf ganz natürliche Weise. „Freilich überlegen wir uns, welche Person für welchen Bereich geeignet ist – aber durch unsere große Leidenschaft für unterschiedliche Themen ist relativ schnell klar, wer für die jeweilige Aufgabe zum Einsatz kommt“, erklärt Cordula Farthofer.
Gelebte Führung – ob in der Chefetage geteilt oder bilateral – zeigt sich also nicht nur im partnerschaftlichen Miteinander, sondern vor allem in der Bereitschaft zu offener Kommunikation – auch dann, wenn es unbequem wird. Denn nur wer bereit ist, ehrlich zuzuhören und klar zu formulieren, schafft Vertrauen und Entwicklung.
Die Merkmale sind hier auf einen Blick zusammengefasst:
Dialogorientierung: Führungskraft und Mitarbeitende treten in einen regelmäßigen, offenen Dialog ein.
Gegenseitiges Feedback: Beide Seiten geben und empfangen Rückmeldungen über Verhalten, Leistung und Zusammenarbeit.
Verantwortung auf beiden Seiten: Mitarbeitende übernehmen aktiv Verantwortung für ihre Arbeit und Entwicklung, während Führungskräfte Raum für Mitgestaltung lassen.
Kooperative Entscheidungsfindung: Entscheidungen werden idealerweise gemeinsam oder partizipativ getroffen.
Vertrauensvolle Beziehung: Es besteht eine Beziehung auf Augenhöhe, geprägt von Respekt, Vertrauen und Offenheit.