Standards als Hebel für klimafitte und leistbare Bauprojekte
Wie kann der Bausektor klimafit, digital und zugleich leistbar werden? Und welche Rolle spielen Normen dabei? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jahrestagung Bau 2025 von Austrian Standards, die am 4. Dezember 2025 in Wien über die Bühne ging.
Vertreter*innen aus Planung, Bauwirtschaft, Verwaltung, Finanzwelt und Standardisierung diskutierten, wie Klimaneutralität, Ressourcenschonung, Digitalisierung und Leistbarkeit in der Praxis zusammengebracht werden können. Austrian-Standards-CEO Valerie Höllinger betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass Bauen immer als Wert für Generationen gedacht werden müsse – unter dem Aspekt von Wirtschaftlichkeit und Leistbarkeit.
Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf der Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Bauabfälle sollen künftig nicht mehr als Müll, sondern als Wertstoffe verstanden werden, die im Stoffkreislauf bleiben. In einem ersten Deep Dive ging es darum, wie Normen diesen Übergang unterstützen können.

Apell zum Auftakt
Anna-Vera Deinhammer von der FH Wien der WKW, Stiftungsprofessur für Sustainable Real Estate Development in Wien, knüpfte an den Appell von Valerie Höllinger an, sich aktiv in die Standardisierung einzubringen: „Kreislaufwirtschaft und zirkuläres Bauen schaffen wir nur zusammen. Denn eine Immobilie vereint viele Perspektiven, und nur wenn wir unsere Datenlücken schließen und sie in verlässliche Standards übersetzen, können wir Unsicherheiten reduzieren und unsere gebaute Umwelt klima- und ressourcenschonend weiterentwickeln.“
Otto Handle, Vorsitzender der Cen/Cenelec/JTC 24 WG4 Digital Product Passport – Interoperability, ordnete in seinem Beitrag die Rolle des europäischen Green Deal ein. Er bezeichnete ihn als Schutzinstrument für Umwelt und Wirtschaft und verwies darauf, dass Kreislaufwirtschaft knappe Rohstoffe im europäischen Markt halte. Der digitale Produktpass (DPP, Digitaler Produktpass) schaffe dabei Markttransparenz und Fairness: „Der Digitale Produktpass ist wie ein Führerschein: Er dokumentiert die Erfüllung der europäischen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Klimaschutz, begründet diese aber nicht. Nur wenn konformes Produktdesign, Produktdokumentation und Zertifizierungen gemäß der Ökodesign-Verordnung vorliegen, darf ein DPP publiziert und das Produkt verkauft werden.“
Alois Fürnkranz, Geschäftsführer von Saubermacher in Graz und Betreiber des ersten Gips-zu-Gips-Recyclingwerks Österreichs, hob die Bedeutung von Rückbau- und Demontage-Vorgaben für zukunftsfähige Planungen hervor: „Mit klaren, praxistauglichen Standards können wir aus Abfall wieder Rohstoff machen und so unlauteren Wettbewerb sowie illegale Entsorgung wirksam eindämmen.“ Ziel sei es, die Vorteile unterschiedlicher Werkstoffe im Endwerkstoff zu kombinieren und zugleich die Nachteile weitgehend auszuschließen.
Klimaresilienz, Versicherbarkeit und neue Normen

Im zweiten Deep Dive standen klimaresilientes Bauen und der Umgang mit Extremwetterereignissen im Mittelpunkt. Starkregen, Hagel, Hitzeperioden und Tropennächte stellen Städte und Gebäude vor neue Herausforderungen, etwa beim Regenwassermanagement oder bei der Planung hitzeresistenter Quartiere.
Alexander Sieh, Bauphysiker an der Hochschule Campus Wien, verdeutlichte die Dringlichkeit mit konkreten Zahlen: „2024 zählten wir in Wien an der Messstation Innere Stadt 52 Hitzetage, zahlreiche Tropennächte und auch vereinzelte Wüstentage. Damit stoßen unsere bisherigen, rein passiven Konzepte für sommerlichen Wärmeschutz an ihre Grenzen.“ Eine zukunftsfähige Stadtplanung müsse Gebäudephysik und Haustechnik konsequent mit grüner und blauer Infrastruktur verbinden – etwa Begrünungen, Bäume, Wasserflächen und kühle Freiräume. Standards für klimaresiliente Stadt- und Gebäudeplanung würden damit zum Schlüssel.
Die Versicherungswirtschaft brachte Peter Tschemer, Head of Reinsurance and Underwriting P&C bei Generali in Wien, ein. Er verwies darauf, dass die durch Naturkatastrophen verursachten Kosten seit Jahrzehnten kontinuierlich steigen. Versicherungen könnten zwar viel abfedern, deckten aber nur einen Teil des Gesamtrisikos ab: „Deshalb beginnt wirksame Prävention für mich bereits beim Bau: mit der Wahl geeigneter Standorte, widerstandsfähiger Materialien und einem Objektschutz, der Klimarisiken von Anfang an mitdenkt.“ Künftig wolle sich die Versicherungswirtschaft noch stärker in die Entwicklung neuer Bauteile, innovativer Verfahren und in die Standardisierung einbringen.

Die Rolle von Dachbegrünungen erläuterte Susanne Formanek, Geschäftsführerin von Grünstattgrau und Renowave.at in Wien. Gründächer seien nicht nur wichtig für die Abkühlung der Stadt, sondern auch ein wirksamer Schutz gegen Hagel, Starkregen und Wind. Zentrale Bedeutung habe dabei die Messbarkeit der Wirkung. Mit der neuen Önorm B 1131, die ab 2026 zur Verfügung stehen soll, erhielten Planende und Städte ein klares Begrünungsziel und ein Pflegekonzept und damit mehr Sicherheit, dass Dachbegrünungen im Klimawandel tatsächlich die erwartete Leistung erbringen.
Digitalisierung und Energiepolitik
Im Panel „Von BIM zur Bauwahrheit“ diskutierten Fachleute aus Planung, Technologie und Bauwirtschaft, wie digitale Standards die Branche verändern. Im Fokus standen Building Information Modeling (BIM), Common Data Environments (CDE, gemeinsame Datenumgebung) und digitale Produktpässe als Instrumente für Compliance und Transparenz entlang des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks.

Auf dem Podium sprachen unter anderem Clemens Neubauer, Head of BIM Excellence bei der Porr Group und Geschäftsführer von pde Integrale Planung in Wien, Clemens Horvath, Leitung Kundenbetreuung bei A-Null Bausoftware in Wien, Christoph Eichler, CEO von Vie Build in Wien, Julia Weber, Head of Sustainability bei Doka in Amstetten, sowie Thomas Hoppe, Präsident des Verbands der Ziviltechniker- und Ingenieurbetriebe (VZI) und Geschäftsführer von Hoppe architekten in Wien. Hoppe verwies auf die Bedeutung von Kompetenzen in den Führungsebenen: „Uns fehlt eine Ausbildung für Geschäftsleitungen und Mittelstand in den größeren Bürostrukturen, die erklärt, warum BIM Sinn macht und wo die echten Mehrwerte und eine interne Wertschöpfung liegen.. Erst wenn wir Führungsebenen für eine zweckorientierte Datennutzung gewinnen, wird BIM zum Effizienzhebel. Und wir müssen uns darauf einigen, welche Daten wir nutzen wollen und wie wir sie in nutzbare Informationen umwandeln können.“
Die energiepolitische Dimension der Transformation wurde in einer eigenen Session zur Energiepolitik im Gebäudebereich beleuchtet. Ein Faktencheck widmete sich neuen EU-Richtlinien, nationalen Energiestandards und Dekarbonisierungszielen und der Frage, was diese für Planung, Sanierung und Neubau bedeuten.
Christian Pöhn von der Magistratsdirektion der Stadt Wien, Geschäftsbereich Bauten und Technik, betonte, dass der Gebäudesektor eine Schlüsselrolle beim Übergang von einem fossilen Zeitalter in eine dekarbonisierte Welt spiele. „Damit der Weg von der Richtlinie zur Realität gelingt, brauchen wir standardisierte Energiekennzahlen, die physikalischen Regeln folgen und Kosten seriös abbilden statt bloßer Wunschwerte“, so Pöhn. Im anschließenden Fachdialog diskutierte er gemeinsam mit Georg Stadlhofer, Geschäftsführer von Drees & Sommer Österreich in Wien, Theresia Reiter, geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Alpenland in St. Pölten, Nicole Kirchberger, Abteilungsleiterin „Regionale und urbane Transformation und Klimawandelanpassung“ im Klima- und Energiefonds in Wien, sowie Fritz Mühlener, Geschäftsführer des Ifea Instituts für Energieausweis in Wien, wo Planung, Normung und Politik bereits gut ineinandergreifen und wo es noch Anpassungsbedarf gibt, damit die Dekarbonisierung im Gebäudebestand schneller vorankommt.
Leistbarkeit, Mindeststandards und Finanzierung
Die wirtschaftliche Perspektive stand im abschließenden Panel „Wieviel Norm verträgt die Leistbarkeit? Projektkosten, Förderung & Finanzierung im Reality-Check“ im Vordergrund. Diskutiert wurde, wie sich technische Standards auf Kosten, Fördermodelle und Finanzierungen auswirken.

Peter Bauer, Vizepräsident der Kammer der Ziviltechniker*innen in Wien, plädierte für klar definierte, kostengünstige Mindeststandards im Gebäudebestand. Als Beispiel zog er den Straßenverkehr heran, in dem für alle Fahrzeuge Mindestanforderungen gelten: „Ähnlich sollten wir auch im Gebäudebestand Mindeststandards wie Rauchmelder in Treppenhäusern setzen: einfache, kostengünstige Maßnahmen, die die Sicherheit wesentlich erhöhen.“ Nicht jede Maßnahme müsse dem jeweils neuesten Stand der Norm entsprechen, Mindeststandards sollten aber als Gesellschaft klar definiert werden. Das würde auch Haftungsfragen entschärfen, die sich aus der Verkehrssicherungspflicht des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) ergeben. Wichtige Grundlage sei zudem eine präzise Unterscheidung zwischen Gesetzen und Standards: „Gesetze geben Ziele vor, Standards die Methode“, so Bauer.
Beatrix Rauscher, Gruppenleiterin des Kompetenzzentrums „Bahninfrastruktur, Regulative Bau, Ingenieurservices, Normen“ in der Baudirektion der Stadt Wien, unterstrich die Bedeutung einer klaren Begrifflichkeit. Beim Thema „Bauen außerhalb der Norm“ müsse unterschieden werden, ob es sich um eine klassische Norm, eine EU-Richtlinie oder eine Richtlinie des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) handle, und welchen Zweck diese Regelungen jeweils erfüllen – etwa Mindestanforderungen oder Sicherheitsniveaus. Ebenso wichtig sei, den tatsächlichen Einfluss von Anpassungen auf die Baukosten zu verstehen.
Gerhild Bensch-König, Geschäftsführerin von Raiffeisen Wohnbau und Präsidentin des Netzwerks Salon Real in Wien, machte deutlich, dass aus ihrer Sicht nicht die Normen die Preise in die Höhe treiben, sondern insbesondere Materialpreise, Zinslast durch lange Genehmigungsverfahren sowie gestiegene Löhne und Baukosten. Neubauten nach dem Stand der Technik seien für sie selbstverständlich, es gelte jedoch, Überdimensionierungen zu vermeiden.
Auch Doris Molnar, Vorständin von Gedesag in Krems, sieht die größten Kostentreiber im Bereich Finanzierung: „Ein Prozent mehr Zinsen heißt ein Euro mehr Miete pro Quadratmeter. Am Ende müssen wir uns als Gesellschaft fragen: Wieviel Wohnfläche brauche ich wirklich und was ist mir eine Wohnung wert.“
Standardisierung als Enabler
Den Abschluss der Jahrestagung bildete ein offenes Plenum sowie ein Resümee von Stefan Wagmeister, Teamlead Bau und gremienübergreifendes Community-Management bei Austrian Standards in Wien. Er hob hervor, dass die Jahrestagung Bau ihren Platz als etablierte Plattform der Branche gefunden habe und Standardisierung als „Ermöglicher“ wirke – sowohl im Zusammenspiel mit gesetzgebenden Institutionen als auch in der Digitalisierung. Für das Gebäudedatenmodell brauche es eine gemeinsame Sprache und klare Regeln dazu, welche Daten in welcher Qualität, von wem und wann übergeben werden. In dynamischen Feldern wie der Digitalisierung im Bausektor müssten Standards zudem schneller und vorausschauender entwickelt werden – mit guten generischen Lösungen, die dann zyklisch weiterentwickelt werden können.




