Interview

Auf dem Boden der Tatsachen

Architektur
26.02.2020

Seit vier Jahren lebt Hanna Burkart bewusst ohne festen Wohn- und Arbeitsplatz. Sie wohnt an den Orten, mit welchen sie sich beschäftigt. Diese werden in Form von Analysen und Dokumentationen beschrieben, wodurch sich neue Perspektiven auf die Architektur und die Raumwahrnehmung eröffnen.

Wie entstand in Ihnen der Wunsch alles aufzugeben und fortan ohne Wohnsitz zu leben? Gab es da einen bestimmten Erkenntnismoment?
Hanna Burkart:
Ja, den gab es. Der Initiator war eine zweimonatige Reise im Jahr 2015, bei der ich wunderbare Begegnungen mit tollen Menschen hatte. Dabei wurde mir erneut bewusst, dass der Zustand des Reisens ein Moment ist, der mir sehr gut gefällt und womit ich mich auch mehr identifizieren kann als mit den Routinen des Alltags. Schon während der Reise hatte ich beschlossen, meine Wohnung aufzugeben, sobald ich nach Wien zurückkommen würde. Das war nicht leicht, denn ich habe fünf Jahre lang in einer wunderbaren Altbauwohnung gelebt, Diesen Entschluss habe gefasst, ohne zu wissen, was mich erwarten oder was danach passieren würde.

Wurde Ihre Entscheidung auch von dem Wunsch getragen, sich neu zu orientieren?
Nein, es war ein Impuls, dem ich gefolgt bin. Ich spürte, dass es mich in eine andere Richtung drängt. Kleinere Entscheidungen fallen mir eher schwer, da kann ich mitunter viel Zeit vor einem Supermarktregal verbringen. Bei essentiellen Themen ist das anders - da denke ich gar nicht nach und das ist auch gut so, denn sobald wir ins Denken kommen, beginnt das Zweifeln und die Folge davon ist, das wir vieles schlussendlich gar nicht tun.

Wie definieren Sie den Begriff des Nomadentums?
Wenn man den Begriff weiter fasst, leben sehr viele von uns als Nomaden, weil arbeitsbedingt viele von uns auf Reisen sind. Früher zog man an jene Orte, wo das Vieh gut weiden konnte, heute zieht man an Orte, wo man Geld verdienen kann. Beide Formen beinhalten, dass man an Orte lebt, wo die Arbeit stattfindet.

Gibt es Kriterien, nach welchen Sie sich Ihre Orte aussuchen oder würden Sie eher sagen, die Orte kommen auf Sie zu?
Natürlich habe ich Wunschorte oder Orte, die mich interessieren, aber schlussendlich kommen sie dann auf mich zu.

Wie ist es Ihnen möglich Arbeit zu finden, die sich mit Ihrer flexiblen Lebensweise verträgt?
Meine Lebensweise ist meine Arbeitsweise. Ich entscheide mich dort zu leben, wo meine Arbeit gefragt ist. Das ergibt sich durch explizite Projektanfragen, Auftragsarbeiten, selbst initiierte Projekte oder durch „Artist in Residencies.“ Einhergehend halte ich Vorträge über meine Lebens- und Arbeitsweise und verkaufe die Kunstwerke, die während meiner ortsbezogenen Projekte entstehen.

Woher kommt Ihre besondere Beziehung zur Architektur und wie würden Sie die heutigen Arbeitsweisen von Architekten und Planern bewerten?
Ich komme aus einer Architektenfamilie, daher kenne ich die Arbeitsweisen und damit verbundenen Probleme sehr gut. Ich liebe Architektur, aber nicht den Job, wie er heutzutage abläuft. Da mangelt es an Zeit und an Geld. Investoren und Auftraggeber wollen den größtmöglichen Profit, dadurch leidet die Qualität der Projekte. Die Bauindustrie ist eine der größten Lobbys weltweit. Die Bauordnung trägt ihr Übriges dazu bei. Als Architekt trägt man eine große Verantwortung - aber das gilt für uns Alle. Es ist essentiell, Dinge zu hinterfragen und sie nicht einfach in Kauf zu nehmen. Wenn wir wollen, dass sich Verhältnisse zum positiven verändern, müssen wir Verantwortung für das eigene Handeln und Denken übernehmen.

Ein Aspekt Ihrer Arbeit beinhaltet die detaillierte Dokumentation Ihres jeweiligen Aufenthaltsortes. Welchen Methoden liegen diese Analysen zugrunde? Gibt es dabei einen bestimmten Fokus?
Meine Arbeitsgrundlagen sind die Zeit und die Fähigkeit sich dem Ort, den Menschen und dem Tun hinzugeben, gepaart mit dem physischen Erleben des Raums. Auf diese Weise manifestiert sich ein Wissen über Umgebungen, welches sich in den Analysen widerspiegelt. Diese Ortsportraits sind die Basis, um weitere Planungsmaßnahmen zu treffen, sei es für Eigentümer, Architekten, für mich selbst oder für alle, die Verantwortung über den Ort haben.

Im Zuge Ihrer Arbeit haben Sie gemeinsam mit Philipp Furtenbach eine Objektserie an Möbeln geschaffen, die diese Art zu leben unterstützt. Sie erinnert sehr stark an das Interieur japanischer Teehäuser. Welche Idee liegt diesem Konzept zugrunde?
Die Serie mit dem Titel „Grund“ ist entstanden, als Philipp Furtenbach und ich am Anfang unserer gemeinsamen Wohnphase beschlossen haben auf sämtliche Mobiliar zu verzichten, um anhand eines 1:1 Modell herauszufinden, was für Möbel wir tatsächlich bei uns haben wollen, wie diese aussehen und von welcher Materialität sie zu sein haben. Wir haben uns entschlossen am Boden zu leben und ein System entwickelt, das auf dem Grundmaß von 70 x 70 cm basiert. In der Vervielfachung ergibt das 70 x 140 cm für Tischplatten, 140 x 210 cm bzw. 210 x 210 cm für unsere Schlafteppiche, weiters gibt es Sitzpölster, Decken, Liegen. Alles kann gestapelt und leicht transportiert werden. „Grund“ funktioniert sowohl in kleinen als auch in großen Räumen. Bei den Materialien war uns wichtig, dass wir den Ursprungsort und die Menschen, die damit arbeiten, kennen. So haben wir zum Beispiel die ganze Schur Schafwolle einer Herde von einer Bauernfamilie im Mühlviertel gekauft um daraus unsere „Schlafteppiche“ zu machen.

Welchen Kriterien sind Sie bei der Wahl der Materialien gefolgt?
Es war uns wichtig, dass die Dinge Identität haben und dass wir wissen, woher sie kommen. Wir sind daher in zwei Jahren sehr viel durch Österreich gereist – sowohl um die Orte zu besuchen, von wo die Rohstoffe bezogen werden, als auch um die Handwerker kennen zu lernen, die mit den Materialien arbeiten. Durch diese bewusste Materialwahl haben wir ein Mobiliar geschaffen, das in der Materialität von höchster Qualität ist, wodurch auch Orte, die eigentlich nicht zum Wohnen geeignet sind, innerhalb kürzester Zeit zu einem begehrenswerten Habitat werden.

Wie hat sich Ihre Wahrnehmung von Architektur durch die Perspektive vom Boden aus gewandelt?
Wenn man am Boden lebt, nimmt man Räume natürlich ganz anders war. Zum einen perspektivisch, da stört es viel mehr, wenn der Raum mit Dingen zugestellt ist, während Leere ein sehr angenehmes Gefühl erzeugt. Zum anderen haptisch und physisch: Der Boden selbst bekommt einen größeren Stellenwert, ein Holzboden ist einem Betonestrich weitaus überlegen, wegen seiner Wärme, Weichheit und Natürlichkeit. Physisch betrachtet, spielt Wärme auch eine wichtige Rolle, wenn man in hohen Wohnungen lebt - so wie es bei uns die Altbauwohnungen sind - merkt man, dass es am Boden 2-3 Grad kälter ist. Des Weiteren braucht es Haltung, um lange am Boden sitzen zu können. Das war ich anfangs nicht gewohnt, umso besser fühle ich mich jetzt, da ich lange entspannt am Boden sitzen kann.

Ist es nicht auch ermüdend die immer gleichen Dinge im Koffer zu haben? Sehnen Sie sich dann nicht nach einem eigenen, kleinen Reich?
Die Dinge, die ich bei mir habe, sind von Bedeutung für mich und ich habe einen persönlichen Bezug zu Ihnen. Sie sind wie die Serie „Grund 3“ von höchster Qualität und haben Identität. Ermüdend kann nur etwas sein, das belastet. Wenn das so ist, ist es wichtig, sich davon zu lösen. Was ich mit einem eigenen Reich verbinde ist, wenn ich in Ruhe und bei mir bin. In den letzten Jahren habe ich gelernt, wie ich diesen Zustand unabhängig von gegebenen Orten und äußeren Bedingungen immer mehr in mir selbst finden kann. Für mich ist das einer der größten Reichtümer. Materiell betrachtet, sehe ich jeden Ort als mein Reich, an dem ich mich befinde, dem ich Aufmerksamkeit und Hingabe schenke. Ob das der Gehsteig, ein Wald, mein Auto oder eine Fabrikhalle ist. Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, dass wir für alles das wir sehen und nützen Verantwortung haben, nicht nur für das was wir unseren Besitz nennen.

Es gibt ja auch praktische Hürden, seinen Wohnsitz aufzugeben, denn unser Sozialsystem kennt den Wohnungslosen nicht – wie sind Sie damit umgegangen?
Natürlich gibt es Hürden und man muss kreative Lösungen finden. Ich habe viel improvisiert. Es ist auch wichtig das zu lernen, dann scheitert man nicht an solchen Umständen. Man braucht einen langen Atem und darf sich nicht gleich vom ersten Hindernis, das sich einem in den Weg stellt, entmutigen lassen.

Was sind diese Hindernisse, die Ihnen begegnet sind?
Wir haben in Österreich aufgrund der Kompetenzverteilung in den Bundesländern sehr unterschiedliche Rechtslagen. In Wien ist die Gesetzeslage so streng, dass man nicht an Orten wohnen darf, die dafür nicht geeignet sind. Das macht auch Sinn, denn sonst würde aufgrund der angespannten Wohnungslage Raum an Bedürftige vermietet, der sich nicht zum Wohnen eignet. Ich finde dennoch, dass die Definition dessen, was sich zum Wohnen eignet hinterfragt und entsprechend geändert werden sollte.

Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Erfahrungen im Rahmen einer Ausstellung zu verarbeiten?
Das habe ich in der Vergangenheit bereits getan und habe ich auch in Zukunft vor. Dabei geht es mir nicht nur darum, meine Arbeiten zu präsentieren, sondern das ganze Setting als eine Art begehbare Installation zu gestalten. Wichtig ist mir dabei, dass das über mehrere Tage hinweg stattfindet und die Menschen im Idealfall auch über Nacht bleiben können, um ein Gefühl für den Ort zu entwickeln.

In welcher Sparte würden Sie Ihre Arbeit positionieren - Sehen Sie sich eher als Künstlerin, Designerin, Aktivistin, Konzeptionistin…?
Das liegt am Projekt. Wenn überhaupt, dann verwende ich diese Definitionen auch nur um ein besseres Verständnis in der Kommunikation zu schaffen. Ich selbst sehe mich als Alles und mehr - immer. Wenn wir uns nur als eine Sache oder Person sehen, beschränken wir uns in unserem Sein und in unserem Können.

Haben Sie das Gefühl, sich Selbst und die eigene Lebensweise vor anderen verteidigen zu müssen?
Jeder Mensch geht seinen eigenen Weg. Wenn man seinen Weg findet und ihn dann auch noch geht, dann hat man nichts zu verteidigen. Man weiß, dass es das Richtige ist - ganz gleich was andere für eine Meinung darüber haben. Wenn Menschen kritische Meinungen zu meinem Schaffen äußern, dann finde ich das interessant, denn dann passiert etwas in Ihnen. Im Idealfall führt man darauf aufbauend eine bereichernde Unterhaltung.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihren Wohnerfahrungen?
Sehr viele und zwar auf allen Ebenen und das ist eine fortlaufende Entwicklung. Ein Aspekt, der mir dabei besonders klar wurde und mir davor nie so essentiell erschien, ist, wie stark ein Ort durch die Menschen geprägt wird. Kein noch so schönes Gebäude entfaltet sich, wenn es leer steht und gleichzeitig kann ein Nicht-Ort zu einem Tempel werden, wenn die Menschen damit sorgsam umgehen. Meines Erachtens sollte dem Planen von sozialen Raumgefügen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden und mindestens denselben Stellenwert haben, wie das Planen von Gebäuden selbst.

Wie lange wird Ihr Experiment noch dauern?
Das ist kein Experiment, das ist meine Arbeit und mein Leben innerhalb einer Phase. Wie lange diese Phase noch anhält, kann ich nicht sagen. Meistens kommen solche Fragen von außen. So nach dem Motto – wann baust du endlich ein normales Leben auf? Aus heutiger Sicht kann ich mir nicht vorstellen wieder eine normale Wohnung zu mieten, aber wer weiß schon was kommt. Derzeit fühlt es sich gut an, so wie es ist.

Mehr Informationen: www.hannaburkart.com

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