OGH

Entscheidung zu Corona- Mehrkosten und Nachweisführung

Rechtstipp
22.03.2023

Eine Entscheidung des OGH (6 Ob 136/22a vom 21. 12. 2022) beschäftigt sich nun erstmals mit Mehrkostenforderungen infolge der Covid-19-Pandemie.

Vorab: Der OGH hält fest, dass bei Verträgen auf Grundlage der ÖNorm B 2110 die Folgen der Pandemie grundsätzlich der Sphäre des AG zugewiesen werden. Der AN ist daher berechtigt, Covid-19 bedingte Mehrkosten zu fordern. Dies entspricht im Wesentlichen bereits überwiegend der Literaturmeinung. Zu heftigen Diskussionen führt die OGH-Entscheidung allerdings aufgrund der Ausführungen zur Nachweisführung rund um bauwirtschaftliche Mehrkostenforderungen.

Sachverhalt und Rechtsansicht des OGH

Die Klägerin forderte Mehrkosten infolge der pandemiebedingten Maßnahmen (Tragen von Schutzmasken, Leistungsabfall der Arbeiter, laufende Desinfektion, Stehzeiten etc.). Sie stützte sich beim Klagsbetrag im Wesentlichen auf ein bauwirtschaftliches Sachverständigengutachten, das sich nach Ansicht des OGH lediglich "auf abstrakte Berechnungen ohne jeglichen Bezug zur konkreten Baustelle" beschränkte.

Dies erachtete der OGH im konkreten Fall als unzureichend und wies darauf hin, dass die ­Klägerin ­konkret entstandene Mehrkosten infolge der Pandemie als Nachteil vorbringen müsse und die Fortschreibung der Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum nicht ausreiche. Der OGH bestätigte zwar, dass die Berechnung der Mehrkostenforderungen auf Preisbasis des Vertrags zu erfolgen hätte, jedoch würde dies nichts daran ändern, dass die Verzögerung kausal für die Mehrkosten gewesen sein musste.

Behauptungs- und Beweislast

Damit befeuert die aktuelle Entscheidung erneut die Diskussion zur Frage der Nachweisführung bei bauwirtschaftlichen Mehrkostenforderungen. Im Kern geht es um die Frage, in welcher Tiefe ein Nachteil zu behaupten und zu beweisen ist. Vertreter des sogenannten Einzelnachweises, die einen detaillierten Nachweis jeder einzelnen Mehrstunde bzw. konkreter Mehrkosten, bezogen auf einzelne Störungen, fordern, fühlen sich durch die Entscheidung in ihrer Ansicht aktuell bestärkt. Vertreter der Gegenmeinung (darunter auch die Autoren) können sich dieser Interpretation nicht in vollem Umfang anschließen. 

Klar ist, dass der OGH konkretes Vorbringen und dessen Beweis fordert, inwieweit durch eine Verzögerung auf der konkreten Baustelle ein Mehraufwand entstanden ist, der für den AN einen Nachteil bedeutet. Zum Detaillierungsgrad dieses Vorbringens und der entsprechenden Nachweise sagt der OGH Folgendes: "Soweit sich konkrete Angaben im Klagsvorbringen finden (z. B. zwei Masken pro Arbeiter, Einbettzimmer statt Zweibettzimmer etc.), bleiben diese Behauptungen auf halbem Weg stecken, wird doch nicht angegeben, wie viele Arbeiter wie viele Tage tätig waren, wie viele Masken daher verbraucht wurden, in wie viel Nächten wie viele Einbett­zimmer statt Zweibettzimmern benützt werden mussten etc. Die Klägerin beruft sich auf das § 1168 Abs 1 S 2 ABGB innewohnende Prinzip der Aufrechterhaltung der subjektiven Äquivalenz (vgl. auch 2 Ob 203/08d). Dies könnte etwa zwar bei der Zugrundelegung des vereinbarten Stundenlohns auch für notwendige Mehrarbeiten von Bedeutung sein […], enthebt aber nicht von der Notwendigkeit der Behauptung, welche Mehrarbeiten angefallen sind."

Welcher Schluss ist daraus zu ziehen? Eindeutig abzuleiten ist, dass zur Geltendmachung einer Mehrkostenforderung der dem AN aus Verzögerungen und Störungen entstandene Mehraufwand (Stehzeiten, Mehrstunden, Überstunden, Produktivitätsverluste etc.), bezogen auf die Baustelle, konkret zu behaupten und zu beweisen ist. Dieser ist Grundlage für die Preisfortschreibung. Zwar muss kein Vermögensnachteil im schadenersatzrechtlichen Sinn eintreten, jedoch ein die Äquivalenz störender konkreter Mehraufwand als Nachteil entstanden sein. Mit anderen Worten: Preis und Leistung passen aufgrund der tatsächlichen Aufwände nicht mehr zusammen.

Praxistipp: Dokumentation

In Zukunft wird der Dokumentation auf der Baustelle, insbesondere in Bautagesberichten, noch mehr Bedeutung zukommen. Jeder Ausführende ist gut beraten, hier nicht Zeit und Geld am falschen Platz einzusparen. Die Dokumentation ist und bleibt der wesentliche Erfolgsfaktor zur Durchsetzung von bauwirtschaft­lichen Mehrkostenforderungen.

[Text: DDr. Katharina Müller und Mag. Mathias Ilg, MSC]

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Bau