Umweltstandards

"Geschlossene Lieferkette" als Zuschlagskriterium

Vergaberecht
20.10.2021

Sozial- und Umweltstandards werden immer häufiger ein vergaberechtliches Thema.

Eine Entscheidung aus Deutschland beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Zulässigkeit eines Zuschlagskriteriums bei der Bewertung von Angeboten.
Wenn auch deutsche Entscheidungen vorsichtig zu betrachten sind, weil sich die Rechtslage von jener Österreichs (zumindest im Detail) unterscheidet, so sind die Überlegungen doch interessant. Immerhin ist die Basis – die EU-Vergaberichtlinien – in beiden Ländern dieselbe.

Der Ausgangsfall: "geschlossene Lieferkette" in der EU als Pluspunkt

Ein Auftraggeber sah als Zuschlagskriterium der "geschlossenen Lieferkette" zusammengefasst Folgendes vor: Bei Nachweis einer geschlossenen Lieferkette (komplette Produktion) in der EU, in GPA-Unterzeichnerstaaten oder in der Freihandelszone der EU erhält ein Angebot Zusatzpunkte bei der Bewertung.

Die Entscheidung: Zuschlagskriterium "geschlossene Lieferkette" vergaberechtswidrig

Die deutsche Vergabekammer des Bundes entschied am 1. 12. 2020 (VK 1 – 90/20), dass dieses Zuschlagskriterium vergaberechtswidrig war.
Zwar wurde bestätigt, dass auch ökologische und soziale Aspekte bei den Zuschlagskriterien berücksichtigt werden können. Der grundlegende Zweck (Versorgungssicherheit sowie Umwelt- und Sozialstandards) war daher nicht zu beanstanden.
Allerdings war das Zuschlagskriterium zu abstrakt-generell ausgestaltet. Die Ausschreibung knüpfte nur an die Unterzeichnung gewisser internationaler Abkommen an, was aber keinen ausreichenden Bezug zum Zweck – Versorgungssicherheit und Umwelt- und Sozialstandards – darstellte.
Das Gericht hat gemeint, dass es zwar zumindest innerhalb der EU noch gemeinsame Umwelt- und Sozialstandards gebe. Insoweit sei also die Schlussfolgerung offenbar zulässig gewesen, dass höhere Standards eingehalten würden, wenn die gesamte Lieferkette innerhalb der EU liege. Aber für die Unterzeichnerstaaten des GPA-Abkommens (z. B. auch USA, Singapur, Taiwan, Armenien, Jordanien, Libanon, Mexiko, Kolumbien) gelte das nicht mehr. Das GPA-Abkommen regelt die Gewährung eines ungehinderten Zugangs zu den jeweiligen Märkten für öffentliche Aufträge, nicht aber die Einhaltung bestimmter Sozial- und Umweltstandards.
Insoweit stellte dieses Zuschlagskriterium daher einen Verstoß gegen die Bietergleichbehandlung dar: Wenn die Lieferkette teilweise in Drittstaaten außerhalb der EU lag, die nicht dem GPA-Abkommen beitraten, hätte ein Angebot keine Bonuspunkte bekommen, obwohl sich daraus keine schlechteren Umwelt- und Sozialstandards als in GPA-Unterzeichnerstaaten außerhalb der EU ableiten ließen.
Der Auftraggeber verteidigte sein Zuschlagskriterium auch damit, dass in der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU ein Diskriminierungsverbot für GPA-­Unterzeichnerstaaten steht. Das Gericht hielt entgegen, dass dies nur eine Diskriminierung von Unternehmern aus GPA-Unterzeichnerstaaten verbiete, nicht aber auch die Diskriminierung von Unternehmern aus anderen Drittstaaten erlaube (was durch dieses Zuschlagskriterium gerade der Fall war).
Das Gericht sah auch einen Verstoß gegen die vergaberechtliche Vorgabe, dass ein Zuschlagskriterium auftragsbezogen sein muss (im Gegensatz zu Eignungskriterien, die sich auf Eigenschaften des Unternehmens allgemein beziehen und nicht den Wert oder die Qualität der zu erbringenden Leistungen betreffen). Der Produktionsstandort sei eine unternehmensbezogene Eigenschaft; aus der bloßen Anforderung der Produktion in den hier festgelegten Staaten ergebe sich eben kein Rückschluss auf die Qualität der Produktion.

Dr Praxistipp

Zuschlagskriterien dürfen auch nichtmonetäre oder nichtwirtschaftliche Umstände berücksichtigen, beispielsweise die Versorgungssicherheit oder bestimmte Umwelt- und Sozialstandards. Sie müssen aber so gestaltet sein, dass auch tatsächlich ein inhaltlicher, angebotsbezogener und diskriminierungsfreier Zusammenhang zwischen den zu erfüllenden Voraussetzungen und den zu erreichenden Zwecken erkennbar ist.  (sm)

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