Vergaberecht

Mietvertrag oder Bauauftrag?

Bauauftrag
02.11.2021

Die Beschaffung eines Gebäudes zur Nutzung ist vergaberechtlich nicht immer ausschreibungspflichtig.

Handelt es sich um einen Bauauftrag, ist das nach den Regeln des Bundesvergabegesetzes (BVergG 2018) auszuschreiben. Ansonsten sind "Verträge über Erwerb, Miete oder Pacht von Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichen Vermögen oder Rechten daran, ungeachtet deren Finanzierungsmodalitäten", vom Vergaberecht ausgenommen (§ 9 Abs. 1 Z 10 bzw. § 178 Abs. 1 Z 10 BVergG 2018).

Was ist ein Bauauftrag?

Grob gesagt liegt ein Bauauftrag dann vor, wenn sich der öffentliche oder Sektorenauftraggeber gegen Entgelt eine Bauleistung beschafft; also

  • wenn er selbst eine Bauleistung beauftragt oder
  • wenn die Bauleistung nicht von ihm oder von einem Dritten beauftragt wird, diese Bauleistung aber nach den vom öffentlichen oder Sektorenauftraggeber "genannten Erfordernissen" ausgeführt wird und er "einen entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des Vorhabens hat" (§ 5 Z 3 bzw. § 177 BVergG 2018).

Nach der Judikatur ist entscheidend, ob die Vorgaben "marktüblich" sind und somit einem "Drittvergleich" standhalten, also ob es sich um Vorgaben handelt, die üblicherweise bei einer vergleichbaren Immobilie von den künftigen Nutzern (z. B. Mietern) gemacht werden.

Dabei ist egal, wie diese Erfordernisse und dieser Einfluss eingebracht werden, also ob der öffentliche oder Sektorenauftraggeber mit dem Dritten einen Kauf-, Miet-, Leasing- oder Pachtvertrag oder sonst eine zivilrechtliche Konstruktion vereinbart. Ebenso ist egal, ob der formale schriftliche Vertrag erst nach oder schon vor Errichtung der Bauleistung abgeschlossen wird; wenn der entscheidende Einfluss auch vorläufig nur informell erfolgt und der Vertrag erst später abgeschlossen wird, liegt trotzdem ein Bauauftrag vor.

Eine aktuelle Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Entscheidung vom 22.4.2021, C-537/19, zu dieser Abgrenzungsfrage Stellung genommen. Es ging um die Anmietung eines noch nicht errichteten Gebäudes durch einen öffentlichen Auftraggeber, auf das dieser insbesondere folgende Einflüsse ausübte:

  • Er hatte gemäß dem Mietvertrag eine Option auf die Anmietung zusätzlicher Flächen sowie gewisser Verbindungsbrücken zwischen Bauteilen. Diese Flächen und Brücken waren aber    ohnehin schon geplant. Dass die Option ausgeübt wurde, stellte daher laut EuGH keinen entscheidenden Einfluss auf die Planung dar.
  • Dass bei Abschluss des Mietvertrags noch keine Baugenehmigung vorlag, war ebenso nicht relevant, da dies bei Großbauvorhaben eine gängige Praxis sei.
  • Er kontrollierte die Ausführung des Bauvorhabens. Auch das ist bei Anmietung erheblicher Flächen laut EuGH nicht unüblich und bedeutete keinen entscheidenden Einfluss auf die  Gestaltung.
  • Der Mietvertrag enthielt in Form einer Bau- und Ausstattungsbeschreibung eine Vielzahl an detaillierten Anforderungen. Auch diese gingen aber laut EuGH nicht über die üblichen  Anforderungen eines Mieters bei einer solchen Immobilie hinaus.

Dadurch wurde also laut EuGH der vergaberechtlich zulässige Rahmen für die Beschaffung einer ausschreibungsfreien Immobilie nicht überschritten. Überdies plante der Vermieter (Bauträger) für den Fall eines kompletten oder teilweisen Wegfalls der Vermietung an den öffentlichen Auftraggeber entsprechende Vorkehrungen, um die Flächen auch anders vermieten zu können.

Die Grundzüge und die Struktur der Immobilie waren daher insgesamt zu Beginn der Mietvertragsverhandlungen bereits festgelegt und wurden danach nicht wesentlich geändert. Ein relevanter Einfluss auf die architektonische Gestaltung oder die konkrete Projektplanung lag nicht vor. Es war daher nach dem EuGH zulässig, dass dieser Beschaffungsvorgang nicht nach den Regeln des Vergaberechts ausgeschrieben wurde.

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