Hella Architektur Club

Die Krise als Chance

Immobilienbranche
26.01.2024

Beim ersten Hella Architekturclub des Jahres 2024 wurden zwar keine Patentrezepte verteilt, jedoch der Grundtenor sichtbar, dass Architektur als solche nicht zwingend leiden sollte, auch wenn der Rotstift angesetzt wird. Dass wieder andere Zeiten kommen werden, gilt als sicher.
Diskussionsteilnehmer, Moderator und Gastgeber
von links nach rechts: Univ.-Prof. Architekt Dipl.-Ing. Christoph M. Achammer (Vorstandsvorsitzender ATP architekten ingenieure), Mag. Thomas Winkler, LL.M. (CEO UBM Development AG), Andreas Kraler (Geschäftsführender Gesellschafter der HELLA-Gruppe), Rainer Nowak (Ressortleiter Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik Kronen Zeitung), Daniel Riedl, FRICS (Vorstandsmitglied Vonovia SE).

Es war eine illustre Runde auf dem Podium, die zur Diskussion im Wiener Ballhaus geladen war: Univ.-Prof. Architekt Dipl.-Ing. Christoph M. Achammer (Vorstandsvorsitzender ATP architekten ingenieure), Daniel Riedl, FRICS (Vorstandsmitglied Vonovia SE) und Mag. Thomas Winkler, LL.M. (CEO UBM Development AG) stellten sich den Fragen des Moderators Rainer Nowak, neuer Ressortleiter Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik Kronen Zeitung, die sich um das brennende Thema „Baukrise als größte Chance für Kreativität in der Architektur seit 100 Jahren“ drehten. Dabei gesellten sich zu kritischen Tönen auch viele positive Ansätze in Bezug auf zukunftsfitte Strategien und ein fundamentales Umdenken, in welche Richtung sich Architektur entwickeln könnte.

Diskussionsrunde mit Moderator
Die Diskutanten debattierten über die Chancen und Herausforderungen, die die Baukrise für kreative Innovationen bietet.

Es braucht Kreativität

Schon in den Eingangsstatements wurde klar Position bezogen. Thomas Winkler hielt zunächst fest, dass wir keine Baukrise hätten, sondern eine Immobilienkrise. Aber ohne Kreativität würde man aus keiner Krise herauskommen. Daniel Riedl hob die unglaubliche Nachfrage nach leistbarem Mietwohnraum hervor und prangerte allgemeine Überzeugung, dass es sich nicht rechnen würde, diesen zu bauen, an. Auch er ist der Meinung, dass es die Kreativität gerade jetzt brauche, um Lösungen zu finden, um es dennoch zu schaffen. Da sehe er auch die Politik gefordert. Jetzt sei es jedoch an der Zeit, die nötigen Voraussetzungen in die Wege zu leiten, für den Moment, in dem sich die Rahmenbedingungen wieder verbessern würden. Christoph M. Achammer verwies auf die griechische Bedeutung des Wortes „Krise“ und sieht es als Chance einer Branche, die seit mehr als 100 Jahren mit 30 bis Prozent Verschwendung arbeitet, endlich innovativ zu werden. Innovation beginne mit Kreativität.

interessiertes Publikum
Mit Spannung wurde die Debatte der hochkarätigen Diskussionsteilnehmer erwartet.

Modularisierung als Schlüssel

Kritikpunkt von Christoph M. Achammer war, dass es sich um eine Branche handle, die es strikt ablehne, Planung und Ausführung voneinander zu trennen, die 90 Prozent ihrer Produkte über den Großhandel beschaffe. „So eine Branche wäre in jedem anderen Bereich pleite“, hielt Achammer fest. Eine Position, die von Thomas Winkler unterstützt wurde. „Wir müssen dringend damit anfangen zu standardisieren. Seit 100 Jahren gibt es den Prototypenbau. Wenn man Autos genauso bauen würde wie vor 100 Jahren, würde der VW Golf heute 100.000 Euro kosten. Wir müssen modularisieren, nicht improvisieren, wie das heute auf der Baustelle Gang und Gebe ist.“ Daniel Riedl und sein Team beschäftigen sich schon länger mit dem Gedanken der Modularisierung. Auch er sei der Meinung, dass es wichtig wäre Planen und Bauen zusammenzuführen und dafür die Digitalisierung verstärkt zu nutzen. Er sehe jedoch noch ein großes Problem auf die Baubranche zukommen: „Es könnte sein, dass die Bauindustrie in zwei Jahren ähnliche Probleme genau wie die Gastronomie nach der Pandemie bekommt, wieder hochzufahren, weil nämlich die Bauarbeiter es bevorzugen werden zu arbeiten, wo es nicht minus 20 Grad oder plus 40 Grad hat. Es wird vielleicht schwierig sein, jene Ressourcen zu beschaffen, um großvolumig bauen zu können.“ Wiederum anders betrachtet eine große Chance für die Fabriken, dort würde dann seriell und modular Teile vorfabriziert werden, auf der Baustelle nur noch zu ganzen Objekten montiert. Christoph M. Achammer brachte noch kurz das Gründerzeithaus ins Spiel und replizierte damit auf Thomas Winkler: „Das modulare Bauen war schon vor 100 Jahren möglich mit dem Wiener Gründerzeithaus. Es ist das perfekte Beispiel für das, was mit modernen Mitteln wieder gemacht werden sollte. Damals war der Einheitsbauteil der Ziegel, es gab einheitliche Maße für Fenster, das Standardkonzept war eine Mittelmauer mit vorne 5x5 Metern und hinten 3x3 Metern und eine in vielen Varianten dekorierten Fassade.“ Das Faszinierende daran sei, dass die Häuser über 100 Jahre lang flexibel nutzbar waren und heute zu den nachhaltig erfolgreichsten Immobilien gehören würden. „Es war ein Konzept, das gestalterisch und konstruktiv auf solchen Rationalisierungsprozessen aufgebaut hat. Heute geht es darum zu erkennen, dass wir uns verabschieden sollten von Individualprojekten und Produkte zu bauen. Es gibt eine große Anzahl von Produktanforderungen, die uns vernünftig bauen lassen, auch mit hohen gestalterischen Anforderungen. Man muss nicht jedes Mal das Rad neu erfinden.“

Christoph M. Achammer
Professor Christoph M. Achammer betrachtete - durchaus kritisch - die Situation aus Sicht der Architekten und Planer.

Lösungen sind gefragt

Mit der Frage „Was ist zu tun, wie geht es weiter, oder bleibt alles nach dieser Durststrecke alles beim Alten?“ brachte Rainer Nowak ein neues Buch ins Spiel, das gerade das Wien der vorletzten Jahrhundertwende als Kreativitätsepizentrum hervorhebt, unter anderem auch in der Architektur. Was sind die Lösungen und Ansätze? Kann man an dieses viel besungene Wien von damals anknüpfen? Thomas Winkler unterstrich das Engagement seines Unternehmens, das sich ganz dem Holzbau verschrieben hat – eine eindeutige Entscheidung. Noch sei es eine Nische. „Ein Investor fragt aber immer als erstes, ob ein Gebäude in zehn Jahren noch werthaltig ist. Bei einem Baustoff, der nachwächst und als Energiequelle keine fossilen Brennstoffe, sondern nur die Sonne braucht, ist dies wohl am ehesten gegeben. Zusätzlich ist es auch ein Katalysator nachzudenken, wie viel man seriell fertigen kann – bei null Abfall wohlgemerkt.“ Daniel Riedl plädiert in dieser Frage für effizientere Grundrisse und sprach sich für ein Herausverlagern gewisser Nutzungen in Allgemeinflächen und ein Quartierdenken aus. „Das hieße beispielsweise, dass man keinen Esstisch für sechs Personen bräuchte, nur, weil zweimal im Jahr Gäste kommen. Es könnte voll ausgestattete Gästeapartments geben, die man ebenso mieten kann wie eine Küche mit anschließendem Partyraum. Unterm Strich Räumlichkeiten im Quartier, die man buchen kann – ob für Geld oder nicht, sei dahingestellt.“ Er verwies dabei auch auf Modelle in den USA, wo das schon lange Praxis sei, unter anderem auch, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Developer würden Hochhäuser bauen und dazu ein paar luxuriöse Gemeinschaftsküchen. Die soziale Vernetzung wirke auch der Fluktuation entgegen.

Thomas Winkler und Daniel Riedl
Thomas Winkler und Daniel Riedl brachten ihre Argumente aus wirtschaftlicher Perspektive ein.

Verschwendung reduzieren

Die Gedanken führten also dahin, ohne Komfortverlust mit weniger Raum auszukommen. Daniel Riedl warf auch das so genannte „halbe Zimmer“ ein, das es praktisch gar nicht mehr gibt. Dabei würde so viel Potenzial drinnen stecken: Krabbelstube, Homeoffice, Versandlager, Ordination etc. – an Flexibilität kaum zu toppen. Auch Christoph M. Achammer, der Wohnbau hauptsächlich in der Schweiz baut und der Meinung ist, dass man dort in diesen Fragen schon sehr viel weiter sei, würde ein stärkeres „Community Building“ in der Architektur sehr begrüßen: „Wir müssen auch wieder zurück zu den Blockstrukturen, die für den Städtebau sind. In den letzten 50 Jahren wurden im Prinzip nur Einzelobjekte mit Abstandflächen gebaut. Wichtig ist aber, dass in einer Branche, wo Potenzial da ist, 30 bis 50 Prozent Verschwendung zu reduzieren, ohne jemandem etwas wegzunehmen, also wirklich keine Gewinne, sondern nur Verschwendung zu reduzieren, dieses auch zu nutzen. Auf Baustellen werden 20 Prozent der angelieferten Kabel nicht benötigt. Auch bei den Fliesen werden nur 80 Prozent verbaut. Nicht nur aus ökologischen Motiven braucht es hier ein Umdenken: Wir machen zu 30 bis 40 Prozent Dinge, die völlig umsonst sind im Vergleich dazu, wenn wir einen direkten planerischen Prozess machen würden. Darin liegt ein großer Hebel zu einer qualitativen Verbesserung.“

Es wird aber auch gelingen, die Herausforderungen, die auf die Städte zukommen und die heute oft noch ignoriert werden, zu stemmen – etwa durch verpflichtende Energiepläne und –alternativen –, aber sich auch die Qualität des öffentlichen Raumes, den wir letztlich mittelbar durch unsere Gebäude schaffen, in ganz andere Höhen entwickeln wird. Mehr Optimismus kann ich gar nicht sehen.

Christoph M. Achammer

In Sachen Digitalisierung kritisierte Christoph M. Achammer den allgemein mangelnden Fortschritt und Einsatz: „In einer Umfrage in Deutschland kam jüngst heraus, dass 70 Prozent der Meinung sind, dass BIM eine vorübergehende Erscheinung ist.“ Es müsse die Trennung von Planung und Ausführung endlich aufgegeben werden, da die Produkte ja immer schon im Vorprojekt bekannt wären und dementsprechend auch ausgeschrieben werden könnten. „Die Wertschöpfung läge dann bei der Montage und nicht im Einkauf der Produkte.“ Daniel Riedl warf dazu die Vielzahl an Bauordnungen ein. „Anscheinend brennt es überall irgendwie anders. In Berlin wurden in der Gründerzeit Holzstiegenhäuser gebaut, die es heute noch gibt. Ich finde es schräg, darüber noch zu diskutieren, ob man in Holzbauten Stiegenhäuser und Aufzugsschächte auch aus Holz machen darf.“

Unternehmenspräsentation von Hella
Gastgeber HELLA nutzte die Bühne, um auch dem Publikum das Unternehmen zu präsentieren.

Digitalisierung am Vormarsch

Am Ende der Diskussion kam aus dem Publikum noch der Wunsch auf das Kernthema „Wie beeinflusst die Krise die Architektur?“ zurückzukommen und Architektur in diesem Kontext noch mehr zu konkretisieren. Christoph M. Achammer hielt fest, dass er nicht der Meinung sei, dass engere, ökonomische Rahmenbedingungen dazu führen, dass keine innovativen Lösungen gefunden werden können. „Wenn wir Planer mit unseren Auftraggebern auf Augenhöhe arbeiten können, dann können auch ganz innovative Produkte entstehen. In der Architektur kann das die große Stunde, eine große Chance sein. In vielen anderen Bereichen haben die Produktentwickler und Designer einen riesigen Stellenwert – diesen haben wir zum Teil verloren, wenn die Frage am Ende nicht „Drehen Sie es weiter?“, sondern nur noch „Was kostet es?“ ist.“ Auf die Frage, wie sich die nächsten Jahre entwickeln werden, meinte Thomas Winkler, dass sich vieles stark verändern würde: „Wir werden viel mehr montieren als bauen, wir werden viel mehr Standardisierung sehen als Improvisation. Ich hoffe, dass wir dann auch weniger behindert und mehr unterstützt werden.“ Auch für Christoph M. Achammer verdichten sich die Anzeichen, dass das Planen und Bauen in fünf Jahren ganz anders ausschauen wird. „Die Digitalisierung wird massiv auf dem Vormarsch sein, so sehr, dass 30 bis 40 Prozent der Tätigkeiten ersetzt werden – von der Planung bis zur Bewirtschaftung von Gebäuden. Es wird auch gelingen, die Verschwendung zu reduzieren auf ein Niveau, dass uns die Produkte wieder erzeugen lässt und dass in mehr Qualität investiert werden kann. Durch die Digitalisierung wird es auch möglich sein, die jetzt schon knapp bemessene und in ein paar Jahren vielleicht gar nicht mehr vorhandene handwerkliche Workpower zu ersetzen, um die Produkte zu realisieren. Es wird aber auch gelingen, die Herausforderungen, die auf die Städte zukommen und die heute oft noch ignoriert werden, zu stemmen – etwa durch verpflichtende Energiepläne und –alternativen –, aber sich auch die Qualität des öffentlichen Raumes, den wir letztlich mittelbar durch unsere Gebäude schaffen, in ganz andere Höhen entwickeln wird. Mehr Optimismus kann ich gar nicht sehen.“

Wolfgang Rosam und Andreas Kraler
Gastgeber Andreas Kraler, dritte Generation des Familienunternehmens HELLA, und Organisator Wolfgang Rosam
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