Martin Scharfetter und Robert Rier: Eine Portion Glück

28.02.2018

Seit ihrer Bürogründung vor zehn Jahren haben Martin Scharfetter und Robert Rier mit ihren Projekten die Tiroler Architekturlandschaft bereichert. Sie bauen nicht im Zentrum, sondern auf dem Land, setzten mit ihren Wettbewerbserfolgen markante Akzente im öffentlichen Raum: in Kundl, in Bach, in Weer, in Inzing, in Absam, in Hall, in Schwaz, in Pians und anderswo in den Dörfern. Gretl Köfler im Gespräch mit Martin Scharfetter und Robert Rier

Mit dem Kultur- und Veranstaltungszentrum KiWi in Absam ist euch kurz nach Bürogründung ein großer Wurf gelungen. Wie ist es euch ergangen als Shooting Stars?
Scharfetter (M.S.): Ich hatte zuvor das Haus im Heustadl am Lansersee gemacht, dafür so ziemlich alle Preise in Tirol bekommen, und das Projekt war in vielen Medien präsent. Für mich war es damals so, dass das KiWi die logische Fortsetzung der Berufsentwicklung und auch des Erfolgs war – wenn ich das so sagen darf.
Rier (R.R.): Wir haben uns nicht gekannt und sind auf der Suche nach Büroräumlichkeiten eher zufällig zusammengekommen. Die ersten paar Monate war es eine Bürogemeinschaft, die sich dann zu einer Arbeitsgemeinschaft entwickelt hat. Es war schon so, dass uns das KiWi wirklich zusammengebracht hat, und dann haben wir uns gesagt: Ja, eigentlich könnten wir alles miteinander machen.
M.S.: Die Arbeitsgemeinschaft hat sich sehr unkompliziert entwickelt, ohne das Gefühl, dass der eine wichtiger sei als der andere. Die Zusammenarbeit hat von Anfang an gut und selbstverständlich funktioniert – und das tut es auch heute noch.

Ihr habt viele Wettbewerbe gewonnen, das gelingt euch noch immer.
M.S.: Stimmt, alle größeren Projekte stammen aus Wettbewerbserfolgen. Aber wir haben auch Wettbewerbe verloren, worüber ich mich noch heute ärgere; vor allem, wenn es einzigartige, außer­gewöhnliche Bauaufgaben gewesen wären – nicht immer ist die Zeit und die Kraft da, um ein Gewinnerprojekt zu entwickeln.
R.R.: Es gibt Projekte, bei denen wir uns denken, das könnte was werden – und es wird nichts draus. Dann gibt es natürlich Arbeiten, bei denen wir selber zweifeln, und es wird doch was. Im Prinzip gehört sehr viel Glück dazu. Und es gibt ja immer auch noch andere Architekten.

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Was sind eure Erfahrungen mit dem Wettbewerbswesen in Tirol?
M.S.: Meine Erfahrung aus der eigenen Jurytätigkeit ist, dass Wettbewerbe unglaublich dynamische Prozesse mit vielen offenen Parametern sind. In jedem Fall ist die Wettbewerbsvorbereitung ein sehr wesentlicher Faktor für ein gutes Verfahren. Wie dann die Fragestellung formuliert und interpretiert wird, welche Entscheidungen die anderen Teilnehmer treffen, wie die Beiträge gelesen und diskutiert werden, das ist Teil einer Situation, bei der nicht immer das beste Projekt gewinnen muss – oft gewinnt aber auch der beste Kompromiss. Als Teilnehmer entwickelt man sich mit der Erfahrung, aber es gehört, wie gesagt, immer ein Teil Glück zum Gewinnen dazu.
R.R.: An großen offenen Wettbewerben beteiligen wir uns eher nicht, dafür ist unsere Bürostruktur nicht ausgelegt. Unsere Erfolge stammen aus geladenen Wettbewerben bzw. Wettbewerben mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren, was eine geringere Teilnehmerzahl mit sich bringt. Ich habe den Eindruck, dass die Beiträge dort genauer angeschaut, nicht sofort vom Tisch gewischt werden; da ist die Chance größer, auch wahrgenommen zu werden. Es gibt ja Projekte, die sich erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließen. Man muss sich verabschieden von der Idee, der Wettbewerb sei ein objektives, neutrales Verfahren.
M.S.: Da man heute als Architekt zu fast allen größeren und öffentlichen Bauaufgaben nur noch über Wettbewerbserfolge kommt, besteht immer das Risiko, morgen schon ohne Aufträge dazustehen, so geht’s auch hochgeschätzten Kollegen. Große Firmen als private Auftraggeber gibt es in Tirol wenige, und die Hotellerie hat ihre eigenen Architekten. Natürlich stellt sich die Frage, ob man sich für jedes Projekt einem Wettbewerbs­prozess stellen muss, obwohl man bis zu einem gewissen Grad bereits bewiesen hat, was man kann. Es bleibt ambivalent, aber vom Verfahren her gibt es wohl keine bessere Alternative.

Und was kommt nach einem Wettbewerbs­erfolg?
R.R.: Da geht die Arbeit erst richtig los. Die Dinge in die Realität zu bringen, ist die große Schwierigkeit, da gibt’s viele Stolpersteine, und es braucht die unterschiedlichsten Kompetenzen. Das ist sicher ein Grund für Partnerschaften, da man unglaublich schwer alles alleine abdecken kann: Gestaltung, Kommunikation, Theorie, Konzeptuelles, technische und baurechtliche Fragen oder etwa die Kostenkompetenz – der erste Termin beim Auftraggeber beginnt unweigerlich mit der Frage: Was kostet das, wir haben das und das budgetiert. Dann muss man fundiert argumentieren können.
M.S.: Um gute Architektur umzusetzen, muss sehr viel und immer mehr zusammenstimmen. Ohne einen offenen und engagierten Auftraggeber geht gar nichts, und man selbst muss versuchen, stetig professioneller zu werden. Dabei bleibt es ein Kraftakt, ein Projekt baulich umzusetzen und in die Welt zu bringen: Die Materie ist sperrig, muss wirklich im physischen Sinne bewegt und aufgestellt werden. Aber nur durch die Umsetzung wird man besser. Das war meine Erfahrung mit dem ersten Bau in Lans. Es sind überraschende Dinge entstanden, von denen mir klar war, dass ich sie nicht bewusst geplant habe. Der Erkenntnisgewinn war so sensationell, dass man meiner Meinung nach einen solchen Entwicklungsschritt nie auslassen darf.
R.R.: In der Umsetzung trennt sich die Spreu vom Weizen, da zeigen sich die Unterschiede; ich meine damit: wie etwas daherkommt. Wir versuchen immer, das gesamte Leistungsbild abzudecken und geben ungern Teile davon ab – das ist mitunter auch eine wirtschaftliche Komponente.

Ihr realisiert jetzt euren ersten Wohnbau in Schwaz.
R.R.: Es ist ein großer Wohnbau mit 70 Wohnungen in acht Baukörpern. Für das Grundstück haben wir schon über einen Zeitraum von fünf Jahren diverse Studien erstellt.
M.S.: Wir schauen, was sich unter den Bedingungen der Marktwirtschaft umsetzen lässt. Der Bauträger hat seine Kompetenzen in der Projektentwicklung und -vermarktung. Wenn er offen für die Weiterentwicklung seines Produktes ist und unsere Kompetenz in organisatorischen, technischen und gestalterischen Fragen erkennt, wa­rum sollte dann nicht ein gutes Projekt entstehen?

Wie seht ihr die Verantwortung, sich öffentlich zu äußern und einzubringen?
R.R.: Soziale Verantwortung ist ein ernsthaftes Thema in unserem Beruf. Es ist unsere Aufgabe und unser Engagement, für die Öffentlichkeit die Umwelt zu gestalten. Deshalb interessieren uns die öffentlichen Projekte am meisten. Auch wenn es oft schwierig ist, in einem Dorf etwas Qualitätsvolles zu realisieren und nicht an den Befindlichkeiten und Eigeninteressen der verantwortlichen Personen zu scheitern.
M.S.: Die Kommunikation, die „Software“ ist eher mein Kompetenzbereich, das interessiert ­Robert weniger. Ich habe das immer gern gemacht, da erkennt man, wie die Dinge laufen, wie Entscheidungsmechanismen funktionieren; Etwa in den Gesprächen vom aut mit der Stadt Innsbruck, im Kulturbeirat des Landes oder kürzlich in der Kammer beim Landesgestaltungsbeirat: Wenn ich erfahre, wie sie arbeiten, welche Schwierigkeiten sie haben, was die Statuten erlauben, wie viele Projekte vorliegen, wie sie beraten, welche Empfehlungen sie geben. Es wird mir klar, was die Autonomie der Gemeinden bedeutet, mit der wir ja ständig konfrontiert sind. Ich sehe Zusammenhänge und politische Strukturen, aufgrund derer sich unsere bauliche Realität so gestaltet, wie sie sich gestaltet. Man muss an ganz vielen, weichen Parametern schrauben, die zur Baukultur dazugehören. Das ist im weitesten Sinne Kulturarbeit.

Wie ist eure Haltung zur Architektenkammer?
M.S.: Die Standesvertretung gibt es seit langem, das werden wir aktuell nicht hinterfragen. Im Grunde wollen wir alle das Gleiche: gute Bedingungen für unseren Berufsstand. Was ich nicht verstehe ist, dass es dort so viele verschiedene Teams gibt, die manchmal gegeneinander arbeiten, wo doch das Ziel ein gemeinsames ist – das finde ich absurd.
R.R.: Es liegt wohl im Wesen der Kammer, die sich ja aus unterschiedlichen Gruppierungen zusammensetzt, dass zum Teil divergierende Inte­ressen verfolgt werden. Im Grunde ist aber das Engagement der handelnden Personen zu begrüßen.

Wo seht ihr euch in der Zukunft?
M.S.: Jetzt übersiedeln wir erst mal in ein neues Büro mit mehr Platz. Wir haben derzeit so viel zu tun, dass wir gar nicht viel Zeit und Energie zum Nachdenken haben, sondern reagieren müssen.
R.R.: Die momentane Phase ist schon spannend. So viel Arbeit wie jetzt, hatten wir noch nie. Wir hoffen natürlich, dass es so weitergeht, mit größeren, komplexeren Aufgaben. Wir haben keine Scheu vor irgendetwas, wir trauen uns über alles drüber. Man entwickelt mit der Zeit ein gewisses Selbstverständnis.
M.S.: Wir gehen nie mit einer vorgefassten Vorstellung an eine Aufgabe heran, sondern versuchen, eine Situation sinnlich und intellektuell zu erfassen, erst dann reagieren wir darauf. Das ist die Arbeit mit der Realität, mit den Gegebenheiten und vorgegebenen Atmosphären. Sicher eine Vorgangsweise, die uns in räumlich städtebaulichen Fragen besonders auszeichnet.
R.R.: Das Unterschiedliche entwickelt sich von selbst, aus dem Ort, der Umgebung, dem Thema heraus.
M.S.: Wir starten immer bei null und sind bereit, jede architektonische Entscheidung zu hinterfragen. Deswegen sind alle unsere Bauten so unterschiedlich, jedes Projekt komplett anders.

Und wie steht ihr zu den Einfamilienhäusern?
M.S.: Ich habe das Haus für meine Familie gebaut, das ist für mich momentan ein gewisser Endpunkt, denn dabei habe ich versucht, jede Entscheidung ans selbst gestellte Limit zu bringen: gestalterisch, technisch und finanziell.
R.R.: Wenn jemand kommt und ein Einfamilienhaus von uns will, dann machen wir das natürlich gerne, auch wenn das Einfamilienhaus in vielerlei Hinsicht keine große Relevanz hat.

Scharfetter-Riel: “Wir starten immer bei Null und sind bereit, jede architektonische Entscheidung zu hinterfragen.”