COVID-19: Der digitale Alltag an der TU Wien
Das Coronavirus erfasst alle Bereiche der universitären Lehre und macht damit auch vor dem Architekturstudium nicht halt. Eine Bestandsaufnahme aus der Distanz von Yoko Rödel

Die Präsenzlehre an der TU Wien wurde ausgesetzt, Lehrveranstaltungen finden nur noch digital per „Distance Learning“ statt. Neben dem regulären Lehrbetrieb werden auch alle Prüfungen sowie Kolloquien abgesagt, Diplomprüfungen finden ausschließlich online statt und sämtliche Vorlesungen, Seminare und Gruppenarbeiten werden nunmehr per Video-Konferenz abgehalten. Ein Experiment, das technisch funktioniert und dennoch ein Kompromiss ist, bei dem der persönliche Kontakt fehlt. Dies ist insbesondere für die rund 3.500 Architekturstudierenden der TU Wien eine Herausforderung, die sich nun auf die Suche nach neuen Inspirationsquellen begeben müssen.
Strukturierter Alltag
Vom Bett geht’s im Pyjama direkt an den Schreibtisch und wen die Muse nicht küsst, der nimmt sich einfach eine Auszeit vom Alltag. Leichter gesagt als getan, denn nicht jeder Student kann dieser Situation so gelassen begegnen. Aufgrund der Grenzschließungen müssen viele Studierende geplante Auslandsaufenthalte absagen. „Meinen Forschungsaufenthalt in Japan musste ich auf unbestimmte Zeit verschieben. Das bedeutet, dass ich mir nun ein neues Thema für meine Diplomarbeit suchen muss“, so Franziska Tostmann. Austauschstudierende, welche erst vor kurzem nach Wien gezogen sind, trifft die unfreiwillige Isolation besonders hart: „Ich bin es zwar gewohnt mit meiner Familie hauptsächlich per Telefon Kontakt zu halten, allerdings werde ich sie wahrscheinlich nicht über Ostern sehen, was uns alle schon belastet“, sagt die Masterstudierende Marie Schuler der RWTH Aachen. Ein besonders starkes Nervenkostüm brauchen derzeit auch Studierende mit Kindern. Im Fall von Bianca Harnisch, Masterstudierende und zweifache Mutter, erweist sich das Home-Office als Dreifachbelastung aus Arbeit, Studium und Kindern: „Ich habe einen relativ fixen Tagesablauf eingeführt, der sich nicht nur an der beruflichen Situation meines Lebensgefährten, sondern auch am Alltag der Kinder orientiert. Die Tage sind noch dichter als sonst, aber die Wochenenden sind mir heilig – da arbeite oder lerne ich nur, wenn es nicht anders geht.“ Ähnlich verhält es sich bei Bernadette Devai, ebenfalls Masterstudierende und Mutter zweier Söhne: „Ich habe ein Mindmap für jeden Tag erstellt, sowohl für mich, als auch für meinen Mann, meine Kinder und mein Studium. Wichtig ist mir, dass sich alle Komponenten gut in den zeitlichen Tagesablauf integrieren lassen.“ Für Freizeit bleibt dabei wenig Raum. Die Kindergärten sind geschlossen, soziale Kontakte fallen weg und alternative Betreuungsangebote gibt es auch nicht. „Ich muss rund um die Uhr für meine Kinder verfügbar sein, das kostet unglaublich viel Energie“, erklärt Devai. Auch die Lehrenden stellt die Vereinbarkeit von Job und Familie vor neue Herausforderungen. „Ich bin gleichzeitig Universitätsprofessor, Lehrer und Betreuer meiner Kinder in einem und dabei völlig auf mich selbst gestellt“, so Dietmar Wiegand, Professor des Fachbereichs Projektentwicklung und Projektmanagement.
Der Geist des Ortes
Nicht nur das richtige Zeitmanagement, auch die Arbeitsumgebung für das „Home Learning“ ist entscheidend. Dabei spielen auch atmosphärische Einflüsse wie Licht, Farbe und Akustik eine elementare Rolle. Diese haben nicht nur einen nachhaltigen Effekt auf das persönliche Wohlbefinden, sondern sind idealerweise so gestaltet, dass die Umgebung zum Arbeiten anregt. Wenn sich die Papierberge gefährlich zur Seite neigen und den Arbeitsplatz zahlreiche Notizbücher, Skizzen, Stifte und Post-Its schmücken, fühlt sich mancher Freigeist dabei erst so richtig wohl. Da erscheint die Versuchung groß, sich gehen zu lassen. Wem zudem die richtige Struktur fehlt, der kann sich schnell im kreativen Chaos verlieren. „Der Platz, an dem ich arbeite, befindet sich zurzeit an meinem Küchentisch“, sagt Bianca Harnisch. „Zusätzlich ist dieser Ort auch noch das Klassenzimmer eines Volksschülers und einer Oberstufen-Schülerin. Das kann nur funktionieren, wenn jeder auf den anderen Rücksicht nimmt und seine Sachen nach dem Lernen oder Arbeiten auch wieder weg räumt. Meinen Kindern kann ich das erklären, schwieriger ist das für Eltern mit kleineren Kindern – da gibt das Kind noch viel Struktur vor, ob es uns passt oder nicht.“ Letzteres trifft insbesondere auf Bernadette Devai zu. „Ich muss wegen meiner Kinder immer sehr flexibel sein, weshalb ich keinen fixen Platz habe, sondern meinen Arbeitsort situationsbedingt innerhalb der Wohnung wechsle“, erklärt sie.
Lehre auf Distanz
Auch die Professoren haben mit den Auswirkungen der Corona-Krise zu kämpfen. „Wir leiden unter den teilweise schwachen Internetleistungen“, meint Markus Tomaselli, Professor am Institut für Städtebau. „Glasfaser oder 5G wären jetzt eine große Erleichterung. Ich hoffe, die Regierung finanziert nun endlich den Netzausbau als Konsequenz dieser Erfahrungen.“ Abgesehen von der technischen Umsetzung wird der Austausch von Informationen mittels digitaler Plattformen wie TUWel wichtiger denn je. „TUWel ist ein gutes Tool, um Materialien zu sammeln“, erzählt Sabina Riß, Professorin an der Abteilung Wohnbau und Entwerfen. „Es zeigt sich jedoch, dass es für einen direkten Informationsaustausch unter den Studierenden nicht gut geeignet ist.“ Auch Tomaselli sieht hier Defizite: „Die Diskussion von Entwurfskonzepten oder Analysen ist etwas mühsam, da fehlt uns die Erfahrung und der Umgang mit der Distanzlehre im künstlerischen Diskurs.“ Auch der Austausch per Video-Chat kann hier nur bedingt Abhilfe schaffen. „Generell ist es anstrengender, Seminare per Videoübertragung abzuhalten“, sagt Sabina Riß. „Hier hat sich Zoom als Chat-Portal bisher noch am meisten bewährt.“ Also müssen die Lehrenden nun vor allem auf das Eigenengagement der Studierenden vertrauen. „Die Einschränkungen in der Freizeitgestaltung sowie die Kurzarbeit und Homeoffice-Regelungen lassen natürlich mehr Zeit für die Auseinandersetzung mit dem Studium“, beobachtet Tomaselli und meine weiter, „ich bin sehr positiv beeindruckt vom Engagement vieler Studierenden.“ Ähnlich sieht das Sabina Riß: „Meinem Eindruck nach können sich viele sogar noch mehr auf das Studium fokussieren und die Leistungen sind entsprechend gut.“
Ausgang ungewiss
Ob es zu einer Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen kommen wird, ist nicht klar und hängt stark vom Ausgang der Infektionswelle des Virus ab. Neue Simulationsberechnungen der TU Wien und des TU Spin-Offs verdeutlichen, dass die Maßnahmen erste Wirkungen zeigen. Falsch wäre es jedoch, zu früh zum normalen Alltag zurück zu kehren – dann wären die Maßnahmen der letzten zwei Wochen umsonst gewesen. Viel mehr lässt sich dazu nicht sagen, denn langzeitige Prognosen zur Ausbreitung des COVID-19-Virus gibt es nicht. Jetzt heißt es Geduld wahren und dranbleiben, denn andernfalls käme es wieder zu einer raschen Ausbreitung der Epidemie. Offiziell ist die Präsenzlehre noch bis ausschließlich 16. April 2020 ausgesetzt, wie es dann weiter geht, weiß niemand. Eine steht jedoch fest, die Folgen der Pandemie werden noch lange an der TU Wien zu spüren sein.