Richard Rogers: Mein Credo ist Kooperation
Anlässlich des Blue Award 2014*, eines internationalen Wettbewerbs für Studierende, kam Lord Rogers of Riverside – so der offizielle Titel des britischen Architekten Richard Rogers – als Ehrenpräsident der Jury nach Wien. Bevor die Preisträger zu den Themen Klimawandel, Energieeffizienz, Urbanisierung und Umweltschutz jedoch festgestanden waren, hielt der Pritzker-Preisträger 2007 einen Vortrag in einem übervollen Kuppelsaal an der TU Wien. Ruhig, sachlich, charmant – und sehr englisch – präsentierte Richard Rogers nicht nur einen kleinen Überblick seiner internationalen Bauten, sondern vermittelte einen durchaus optimistischen Standpunkt zur globalen Krise, dessen Kernthema die kompakte, nachhaltige – und autofreie – Stadt darstellt. Schließlich werden in den nächsten 50 Jahren 80 Prozent der Menschen in Städten leben. Darüber hinaus hat Richard Rogers auch einige andere sympathische Konzepte – nicht nur als Architekt, auch als Mensch, Lordschaft oder Stadtbürger. Manuela Hötzl im Gespräch mit Lord Rogers of Riverside

Wir sitzen hier in einer – für ein Interview – ungewöhnlich großen Runde: Neben der renommierten, internationalen Jury des Blue Award 2014 (Albert Dubler, Jana Revedin, u. a.) und der Gastgeberin Françoise-Hélène Jourda sind auch ehemalige Mitarbeiter und Freunde gekommen, um Richard Rogers zu begrüßen. Seine Basis bildet Teamarbeit, und dies scheint nicht nur ein Gedanke, sondern ein Lebenskonzept. Die Stimmung ist ausgelassen und privat.
Herr Rogers, ich habe gehört, dass Sie eine sehr spezielle und engagierte – und im besten Sinne nachhaltige – Struktur in Ihrem Büro eingeführt haben: viele Partner, flache Gehaltsstufen – und die Gewinne gehen an Wohltätigkeitsorganisationen.
Das ist nichts Besonderes, würde ich sagen. Wir haben diese Struktur nicht erfunden – ich würde sogar sagen: „gestohlen“. Ich bin ein großer Freund guter Ideen und Traditionen, diese zu studieren, anzupassen, weiterzuentwickeln. Genügend andere Organisationen machen Ähnliches. Ich glaube an Zusammenarbeit und Kooperationen. Das ist fast ein Credo – es liegt mir im Blut. Ich kann nicht anders. Im Leben – und vor allem auch als Architekt – geht es ohne Teamarbeit nicht mehr. Und ja, es stimmt, wir haben in unserem Büro keinen Besitzer, die Gehälter sind so geregelt, dass das höchste Gehalt nicht mehr als das Achtfache des niedrigsten haben darf. Also möglichst wenig Unterschied zwischen arm und reich – das gilt im Büro, das gilt aber auch außerhalb des Büros für die Gesellschaft. Wir haben auch Urlaub, Karenz und Freizeit geregelt. Familie ist sehr wichtig – man sollte Zeit haben, sich darum kümmern zu können.
Zaha Hadid ist durch ihre Aussage, dass es nicht ihre Pflicht sei, auf Dinge wie Arbeitsverhältnisse zu schauen, in Misskredit geraten. Dabei ging es auch um Todesfälle, die beim Bau des Al-Wakrah’s-Stadions passiert sind. Wie würden Sie auf solche Vorwürfe reagieren?
Wir haben auch eine Verfassung für unser Unternehmen, in der verschiedene Punkte auch festlegen, für wen wir nicht bauen – etwa militärische Organisationen sind ausgeschlossen. Aber die Definitionen sind nicht immer so klar, denn: Zählt dazu auch etwa die Polizei? Wir beurteilen das je nach Projekt. Und persönlich habe ich entschieden, in bestimmten Ländern nicht zu bauen. Saudi-Arabien zählt dazu. Ich finde es dort schrecklich. Vor allem weil ich – wie meine Frau – an Gleichberechtigung der Geschlechter glaube und dafür eintrete.
Es geht demnach auch um Ethik?
Ethik ist ein Teil von Nachhaltigkeit. Es existiert keine Nachhaltigkeit ohne Ethik. Die alten Griechen haben zum Beispiel jeden neuen Stadtbürger einen Schwur leisten lassen, die Stadt besser zu machen und sie schöner zu verlassen, als sie war, als sie gekommen sind. Das gilt ja für uns alle. Mein Lieblingswort ist „Fairness“. Das ist Teil meiner Philosophie. Zu teilen ist dabei ein sehr wichtiger Aspekt. Ich kann das sehr gut. Ich würde sogar sagen, „teilen“ ist meine Profession.
Und Sie haben schon Bauherren abgelehnt.
Ja sicher. Wir sind als Architekten Sklaven, aber Sklaven der Gesellschaft. Im dem Sinne, dass wir gegenüber der Gesellschaft verantwortlich sind und diese Verantwortung auch zeigen müssen. Es geht um Demokratie; mehr Demokratie auf allen Ebenen.
Was würden Sie als Ihre Meilensteine zwischen Centre Pompidou und Pritzker-Preis nennen?
Glück (lacht). Das ist wirklich schwer zu sagen, aber ich habe so oft gedacht: Jetzt gebe ich auf. Glücklicherweise habe ich es doch nicht getan und immer weitergemacht.
Warum haben Sie Architektur studiert? Gab es nie andere Pläne. Oder hat Sie Ihr italienischer Onkel, der Architekt war, beeinflusst.
Meine Eltern wollten, dass ich Medizin studiere. Ich war dafür aber schlichtweg zu dumm. Außerdem bin ich Legastheniker und hatte deswegen Probleme in der Schule. Damals wusste man nicht damit umzugehen. Deswegen habe ich gezeichnet.
Jetzt geht es Ihnen wirtschaftlich gut. Für das erste Haus respektive die ersten drei Häuser – als „Team 4“ mit Norman Foster, dessen Frau und Ihrer – haben Sie fünf Jahre geplant und gebaut. Das kann nicht wirtschaftlich gewesen sein.
Es war ein Desaster. Ich bin relativ taff, ich weine nicht so schnell. Aber die Arbeit als „Team 4“ hat mich total zerstört. Nach diesen drei Häusern wollte ich kein Architekt mehr sein. Und die Ökonomie war ein Teil des Desasters: Am ersten Haus haben sechs Architekten fünf Jahre lang geplant – inklusive Norman Foster und mir. Natürlich war das nicht wirtschaftlich. Es hat meine Sichtweise auf den Architektenberuf total verändert. Es mag wunderschön sein zu designen, aber so kann man auf Dauer nicht arbeiten.
Und dann hatten Sie Glück und haben den Wettbewerb für das Centre Pompidou gewonnen. Eines der wichtigsten Gebäude des vergangenen Jahrhunderts. Ein Monument …
Das haben jetzt Sie gesagt.
… nicht nur als Objekt, sondern auch als städtebauliches Element – wollte ich noch hinzufügen.
Im Falle von Centre Pompidou hatten wir vor allem großes Glück mit dem Bauherrn. Die Regierung und die Kulturabteilung standen hinter uns und haben uns sozusagen den Rücken freigehalten. Es war ideal. Und wir hatten immer wieder großartige Bauherren, die zumindest das Projekt verstanden haben und es auch realisieren wollten. Und zum Monument: Die Öffentlichkeit, oder besser: das gesamte Volk wollte das Centre Pompidou überhaupt nicht. Es ist in den Jahren, außer einmal in der „New York Times“, kein einziger Artikel erschienen, der das Gebäude gelobt hätte. Jeder hat es gehasst.
Das ist ja jetzt wohl anders. Konnten Sie die Eröffnung aber damals genießen? Es ist nicht so üblich, die Architekten bei solchen Anlässen zu feiern.
Bei der Eröffnung des Centre Pompidou durfte ich in der hinteren Reihe stehen. Aber es gibt eine nette Geschichte zur Eröffnung von Lloyds in London: Ich saß neben dem Direktor von St. Pauls und beschwerte mich, dass außer mir niemand aus dem Team eingeladen worden war. Weder die Partner noch Statiker usw. Zur Erheiterung hat er mir die Geschichte von Christopher Wren erzählt, dem Generalarchitekten Englands nach dem großen Brand in London und dem Erbauer der St.-Pauls-Kathedrale. Wren musste fast 40 Jahre lang seinen Entwurf für die Kathedrale immer wieder ändern – zuerst am Papier, dann am Bau. Irgendwann konnte er nicht mehr und hat einfach einen riesigen, hohen Holzzaun um die Baustelle herumgebaut, damit sie niemand mehr sehen konnte. Es hat sich also nichts geändert …
Das war dann wohl der erste Bauzaun …
Wahrscheinlich.
Sie haben in Ihrem Vortrag sehr viel über Städte erzählt. Städte sind die Orte, in denen wir uns treffen, austauschen – und an denen wir in Zukunft leben werden. Sie haben lange die Londoner Stadtplanung beraten. Ist es schwierig, als Architekt im Sinne von Nachhaltigkeit auf die Veränderungen zu reagieren?
Ich denke, es fällt der gesamten Gesellschaft schwer. Wir lernen von Fehlern, wir lernen von den Veränderungen der Umwelt, vom Klimawandel. Nachhaltigkeit ist kein Begriff, keine Anleitung oder Idee. Nachhaltigkeit ist das, was wir lernen. Städte sind unsere einzigen möglichen Lebensräume. Vor 100 Jahren haben zehn Prozent der Menschen in Städten gelebt, jetzt sind es 50 Prozent, und in 50 Jahren werden es 80 Prozent sein. Wenn wir es nicht schaffen, die Stadt nachhaltig zu organisieren, wird unser Leben an sich nicht nachhaltig sein.
Um welche Themen geht es da?
Städte sind die Maschinen, die unsere Welt antreiben. Es geht um Bewegung, öffentlichen Raum, Luft und Licht. Die Stadt muss eine kompakte Stadt sein. Nur dann ist sie nachhaltig. Ein Haus im Grünen oder eine zerstreute Siedlung ist nie nachhaltig, kann es gar nicht sein. Man sollte niemals neue Städte auf dem Land bauen. England hat da eine lange Tradition. Und es ist sicher auch eine kulturelle Frage, warum in Tokio 80 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmittel fahren und anderswo nur 20 Prozent.
Vergangenes Jahr hatten Sie anlässlich des 80. Geburtstags eine große – und bunte – Ausstellung an der Royal Academy in London. Man kann sagen, über Ihr Lebenswerk. Der Titel der Ausstellung hieß „Inside. Out“ und zeigte neben Modellen auch viele Fotos, Notizen, Zeitungsausschnitte und Zeichnungen. An der Wand war zu lesen: „A place for all people, the young and the old, the poor and the rich.“ – Das haben Sie nun alles zur Stadt gesagt. Die Notiz ist aber der Beginn des Wettbewerbs zum Centre Pompidou.
Öffentlicher Raum war auch beim Centre Pompidou ganz wichtig. Er soll für alle da sein. Diese Philosophie, die ich oben beschrieben habe, kommt bei mir aus meiner Geschichte und ist in der Humanistik der Renaissance begründet. Meine Mutter, sie war Töpferin, hat mir beigebracht, vor nichts Neuem Angst zu haben, und mein Vater hat mir vermittelt, dass Kunst ein Teil des Lebens ist. Öffentlicher Raum oder meine Vorstellung davon ist die physische Umsetzung dieser Philosophie und all ihrer Komponenten.
Die Ausstellung hat Ihr Sohn designt?
Ja, ein Sohn ist Designer geworden. Keiner Architekt. Aber ich habe einen Philosophen, einer ist beim Fernsehen. Ich habe fünf Söhne – dafür sind alle meine Enkelkinder Mädchen.
Sie denken nicht ans Aufhören?
Ich gehe jeden Tag ins Büro. Die Leute fragen mich oft, warum ich nicht in Pension gehe. Aber in Pension geht man nur, wenn man etwas tun will – etwas anderes. Dafür habe ich einen Grund. Ich habe eine wunderbare Familie, eine fantastische Frau, ein gutes Restaurant und ein tolles Büro. Warum soll ich also in Pension gehen?
* Blue Award für Nachhaltigkeit in der Architektur prämiert Arbeiten, die sich mit Nachhaltigkeit in der Architektur sowie in Stadt- und Raumplanung auseinandersetzen. Auslober: Abteilung für Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen der TU Wien. Ziel: weltweit das Thema Nachhaltigkeit in der Ausbildung zu forcieren und ein internationales Uni-Netzwerk aufzubauen. Der Blue Award steht unter der Patronanz der International Union of Architects und wurde im September 2014 zum dritten Mal vergeben.