Hydraulischer Abgleich

In Heizungsanlagen schlummert enormes Einsparpotenzial

10.07.2025

Experten schätzen, dass bis zu 80 Prozent aller Heizungsanlagen nicht optimal eingestellt sind. Die Folge sind überheizte Räume, unterversorgte Heizkörper und unnötig hohe Energiekosten. Der hydraulische Abgleich schafft Abhilfe.

Der hydraulische Abgleich gilt als eine der effektivsten, aber auch oft unterschätzten Maßnahmen zur Optimierung von Heiz- und Kühlsystemen in Gebäuden. Trotz seiner großen Relevanz für Energieeinsparung, Klimaschutz und den Nutzerkomfort fristet er in der Praxis oft noch ein Schattendasein – vor allem im Bestand. Im vom Innovationslabor renowave.at vermittelten Gespräch mit Kevin Bauer und Gabriel Brandstetter, Geschäftsführer von Wohnio, sowie René Maderthaner vom Ingenieurbüro Maderthaner, erklären die Experten, wo die technischen Herausforderungen liegen und welche Rolle der hydraulische Abgleich im Zusammenspiel mit aktuellen gesetzlichen Vorgaben und zukünftigen Marktchancen bietet.

Gebäude Installation: Welche Bedeutung messen Sie dem hydraulischen Abgleich im Rahmen energieeffizienter Gebäudetechnik bei – insbesondere im Kontext der aktuellen politischen und regulatorischen Anforderungen wie dem GEG oder BEG?

Kevin Bauer (links) und Gabriel Brandstetter
Der hydraulische Abgleich gilt als Schlüsseltechnologie für mehr Energieeffizienz im Gebäudebestand – doch seine Umsetzung in der Praxis bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich: Kevin Bauer (links) und Gabriel Brandstetter von Wohnio. ©Wohnio

Gabriel Brandstetter: Der hydraulische Abgleich ist ein zentrales Element energieeffizienter Gebäudetechnik – nicht nur aus technischer Sicht, sondern zunehmend auch im Hinblick auf politische und regulatorische Anforderungen. Energieeinsparung im Bestand gelingt nur dann, wenn auch die Wärmeverteilung im Gebäude optimal funktioniert.
Kevin Bauer: Ohne hydraulischen Abgleich arbeiten die meisten Heizsysteme in älteren Bestandsgebäude ineffizient – egal wie modern der Wärmeerzeuger ist. Vor dem Hintergrund der Klimaziele und der Dekarbonisierung des Gebäudebestands ist ein korrekt ausgeführter Abgleich daher kein „Nice-to-have“, sondern essenziell.
René Maderthaner: Der hydraulische Abgleich hat eine sehr große Bedeutung in der Haustechnikoptimierung. Der Tausch von alten/defekten Komponenten und das ordentliche Einregulieren mit geeigneten Verfahren sind der erste Schritt für einen kostenschonenden Gebäudebetrieb und sollte standardmäßig – zum eigenen Besten – durchgeführt werden, sowohl bei Neubau als auch im Bestand. Nur ist bei uns in Österreich kaum jemand dahinter. In Deutschland ist ein hydraulischer Abgleich im GEG gesetzlich verankert worden und somit Pflicht für alle Neu- und Bestandsbauten. In Österreich gibt es lediglich für Wien eine relativ unbekannte Pflicht zur Durchführung des hydraulischen Abgleichs bei Änderungen oder Neuinstallation des Heizungssystems.

Wie hoch schätzen Sie das ungenutzte Potenzial eines korrekt durchgeführten hydraulischen Abgleichs in Bestandsgebäuden – sowohl energetisch als auch wirtschaftlich?
René Maderthaner: Recht hoch. Der ROI liegt oft bei zwei bis fünf Jahren. Wir sehen oft in größeren Gebäuden im kommunalen Raum zum Beispiel, wie Schulen, Pflegeheimen, etc. wie viel Potenzial auf der Strecke gelassen wird. Oft gibt es über die Jahre Zubauten und hydraulische Systeme aus Alt- und Neubau sollen plötzlich zusammenspielen. Hier ist in der Planung und Errichtung großes Fehlerpotenzial, was sich dann suboptimal auf den Gebäudebetrieb auswirkt.
Kevin Bauer: Wir sehen in der Praxis Einsparpotenziale von bis zu 15 Prozent – und das allein durch die Optimierung der Wärmeverteilung, ohne dass der Wärmeerzeuger ausgetauscht wird. In Kombination mit intelligenter Regelung der Energieflüsse lassen sich sogar noch höhere Effizienzgewinne von bis zu 30 Prozent erzielen. Gerade in Altbauten mit überdimensionierten Heizsystemen ist das wirtschaftliche Potenzial enorm.

Alexandra (links) und René Maderthaner (rechts)
Alexandra (links) und René Maderthaner (rechts) leiten das Ingenieurbüro Maderthaner in Waidhofen an der Ybbs. Sie begleiten Projekte vom ersten Entwurf bis zum laufenden Betrieb – mit Gebäudesimulationen, Haustechnikanalysen, Monitoring-Konzepten und unabhängiger Fachplanung. ©Ingenieurbüro Maderthaner

Welche Herausforderungen begegnen Sie in der Praxis bei der Umsetzung des hydraulischen Abgleichs, etwa in Bezug auf Planung, Bestandserfassung oder Nutzerkommunikation?
Gabriel Brandstetter: Eine der zentralen Herausforderungen ist die unzureichende Datenlage in Bestandsgebäuden. Viele Heizungsanlagen wurden über Jahrzehnte hinweg verändert – oft ohne aktuelle Pläne oder verlässliche Dokumentation. Das erschwert die Bestandserfassung und macht klassische Verfahren fehleranfällig und ineffizient. Gleichzeitig ist der Nutzen eines hydraulischen Abgleichs für viele Eigentümer und Nutzer schwer nachvollziehbar, da technische Zusammenhänge nicht sofort sichtbar sind. Deshalb haben wir ein modulares System entwickelt, das sich flexibel und ohne große Eingriff in die Bausubstanz an unterschiedlichste Gebäudetypen anpassen lässt.
Kevin Bauer: Wohnio erfasst die relevanten Anlagendaten digital, erstellt einen digitalen Zwilling und analysiert das Verhalten der Heizungsanlage im laufenden Betrieb. Dadurch werden sowohl der Ist-Zustand als auch die konkreten Optimierungspotenziale in Echtzeit sichtbar.
René Maderthaner: Unsere größte Herausforderung ist es, zu diesem Schritt zu motivieren. Niemand kann im Vorhinein mit Sicherheit sagen, was dabei herauskommt, wie viel Einsparpotenzial tatsächlich im Heizungssystem liegt. Meist herrscht eine gewisse Scheu, was da nicht alles zutage kommen könnte und in welchen Folgekosten das resultiert. Oft ist es nämlich nicht nur das Berechnen und Einstellen, was eine Heizungsoptimierung ausmacht, sondern oft ist auch ein Tausch technischer Komponenten nötig, oder bei einer Smart-Building-Lösung, mehr Sensorik, die nachgerüstet werden muss.

Inwieweit setzen Sie digitale Werkzeuge oder automatisierte Verfahren ein, um den hydraulischen Abgleich effizienter und transparenter zu gestalten?
Kevin Bauer: Digitale Werkzeuge sind der Kern unseres Angebots. Unsere Lösung basiert auf einem IoT-gestützten System, das sich ohne Eingriff in die Bausubstanz in bestehende Heizsysteme integrieren lässt. Sensoren erfassen kontinuierlich die Temperaturverläufe sowohl zentraler als auch dezentraler Anlagenteile. Auf dieser Datenbasis erstellen wir einen digitalen Zwilling der Heizungsanlage, der das thermische Verhalten im laufenden Betrieb analysiert. So erkennen wir Optimierungspotenziale automatisiert und ermöglichen einen dynamischen hydraulischen Abgleich, der sich laufend an veränderte Nutzungsbedingungen oder Witterungseinflüsse anpasst.
Gabriel Brandstetter: Neben der einmaligen Optimierung schaffen wir damit auch die Grundlage für eine dauerhafte Überwachung und kontinuierliche Betriebsoptimierung – transparent, skalierbar und nachvollziehbar für alle Beteiligten.
René Maderthaner: Wir setzen in der Planung stark auf digitale Zwillinge und smarte Messdatenanalysen. Gerade bei größeren oder komplexeren Gebäuden liefern messdatenbasierte Verfahren deutlich präzisere Ergebnisse als rein rechnerische. Wir selbst führen den Abgleich nicht aus, begleiten aber die Umsetzung, analysieren die Daten und sorgen dafür, dass ein nachvollziehbares Protokoll vorliegt. Insofern begrüßen wir die Möglichkeit der messdatenbasierten Methoden für hydraulische Abgleiche.

Wie gelingt es Ihnen, Investoren und Bauherren von der Notwendigkeit und dem Mehrwert eines hydraulischen Abgleichs zu überzeugen – gerade bei engen Budgets und kurzen Bauzeiten?
René Maderthaner: Unsere bisherige Erfahrung: Ja, es gelingt uns unsere Kunden zu überzeugen, warum ein hydraulischer Abgleich in ihren Gebäuden absolut Sinn macht. Die Umsetzung ist dann bei wenig bis kein Budget oft einfach momentan nicht machbar. Dabei wäre es die kostengünstigste Option die Energiekosten zu senken.
Gabriel Brandstetter: Die Kombination aus hoher Wirkung und geringem Aufwand macht den hydraulischen Abgleich mit unserer Lösung zu einem klaren „No-Brainer“. Die Resonanz am Markt bestätigt das: Die Einsparpotenziale sind erheblich, der Investitionsaufwand minimal – das überzeugt sowohl Bauherren als auch Investoren. Viele entscheiden sich schnell, weil die wirtschaftlichen Vorteile auf der Hand liegen. Unsere Lösung ist so konzipiert, dass sie ohne bauliche Eingriffe, mit kurzen Umsetzungszeiten und unabhängig von staatlicher Förderung funktioniert.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Webinar Tipp

Effizient heizen – Betriebsoptimierung, optimierte Wärmeverteilung und hydraulischer Abgleich
Renowave veranstaltet am 22.10.2025 von 17-18:30 ein Webinar zum Thema „Effizient heizen – Betriebsoptimierung, optimierte Wärmeverteilung und hydraulischer Abgleich. Zielgruppe sind größere Bestandshalter, Hausverwaltungen und weitere Interessierte. Details zum Webinar finden sich unter www.renowave.at.