Michaela Raggl: Die vielseitige Planerin im Porträt
Sie ist erst spät ins Tischlerhandwerk eingestiegen. Umso mehr liebt sie den Umgang mit dem Werkstoff Holz – und kann ihre Leidenschaft in der Tischlerei Kirchmair in Tirol voll ausleben.

Westlich von Innsbruck, in der 4.100 Seelen-Gemeinde Inzing, liegt der Traditionsbetrieb Tischlerei Kirchmair. Dort, wo seit mehr als hundert Jahren mit hoher handwerklicher Präzision Möbel und gesamte Inneneinrichtungen geplant und umgesetzt werden, hat sich auch der berufliche Traum von Michaela Raggl verwirklicht.
Die 31-Jährige ist seit drei Jahren im Betrieb und hat einen vergleichsweise unüblichen Werdegang hinter sich: Nach der HTL für Elektrotechnik arbeitete sie in einem Medizintechnikbetrieb und studierte für einige Semester das Fach – und dann kam Corona. „Während der Pandemie hat sich für mich alles geändert und ich bin in beruflicher Hinsicht in einer echten Sinnkrise gelandet“, erzählt Raggl. Sie richtete sich eine kleine Werkstatt ein und merkt schnell, dass genau jene Leidenschaft, der sie schon als Kind nachgegangen ist, ihre berufliche Zukunft prägen soll: „Mein Vater hatte einen kleinen Maschinenpark zuhause und mich hat die handwerkliche Arbeit immer fasziniert.“ Ein paar Corona-Jahre sollten noch ins Land ziehen, bis sich Michaela Raggl schließlich 2022 dazu entschied, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie machte sich auf die Suche nach einem Lehrbetrieb und wurde schließlich in Inzing fündig.
„Perfect Match“
„Die Tischlerei Kirchmair hat mich als Betrieb sofort angesprochen und wir haben beim Bewerbungsgespräch gemerkt, dass wir gut zusammenpassen“, so Raggl weiter. Durch ihre Vorbildung im technischen Bereich kann sie schnell mit Erfahrung punkten und holte den Rest der Lehre rasch nach – seit mittlerweile zwei Jahren ist sie ausgelernt und steht im Betrieb voll und ganz ihre Frau. Ihre Leidenschaft fürs Handwerk lebt sie sowohl in den Bereichen Planung als auch in der Werkstatt aus. „Eigentlich war innerbetrieblich der Bedarf für die Planung größer, aber ich wollte mir den Einsatz in der Produktion nicht nehmen lassen“, lacht sie.
Die Abwechslung sei ihr wichtig: „Ich mag es, wenn es körperlich anstrengend ist und gleichzeitig schätze ich es, wenn es auch für den Grips herausfordernd ist.“ Gemeinsam mit Kirchmair-Geschäftsführer Christian Matt und dem Team fand man eine perfekte Lösung und Raggl arbeitet in etwa zu 50 Prozent in der Planung und zu 50 Prozent in der Produktion. Hätte sie die Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen, wäre sie wohl gleich in den Tischlerberuf eingestiegen – gleichzeitig kann sie auch ihre bisherige Lebenserfahrung gut im Handwerk einbringen. „Es hat lange gedauert, aber jetzt bin ich endlich gelandet.“ Die Affinität zur Technik ist ihr übrigens geblieben und die zeigt sich auch im jetzigen Betrieb: „Wir haben aktuell in der Planung auf ein innovatives 3D-Zeichentool umgestellt. Ich durfte das Projekt aktiv vorantreiben und wir merken, dass dieser Bereich gerade sehr an Fahrt aufnimmt – das ist schon cool, etwas beitragen zu könnnen.“ Dass sie es als Frau wirklich drauf hat, konnte sie schon im Laufe ihrer Zeit an der HTL für Elektrotechnik beweisen. „Manchmal müssen sich Frauen im Handwerk in Sachen Glaubwürdigkeit doppelt anstrengen, um gesehen zu werden – glücklicherweise ist davon in meinem aktuellen Betrieb nichts zu spüren.“
Kirchmair in Paris
Aber nicht nur das ist einer der Gründe, warum Michaela Raggl unbedingt dort bleiben will, wo sie gelandet ist. „Mich hat von Anfang an die Ausrüstung in der Werkstatt beeindruckt, sie ist einfach top.“ Herausragend sind auch die Projekte, die ihr Arbeitgeber umsetzt – und die alleine durch Mundpropaganda weit über das Inntal hinaus bekannt sind: So wurde vor einigen Jahren eine Wohnung in Paris komplett von der Tischlerei geplant und umgesetzt – mitten im Zentrum, in einem über 400 Jahre alten Gebäude mit allen Herausforderungen, die damit verbunden sind. Auf kleinstem Raum wurde eine kleinfamilientaugliche Wohnung mit hohem Anspruch an Design und Ästhetik realisiert. Für eine Wohnung im Pariser Ballungszentrum besonders herausragend: Schrank- und Stauraum wurden fast unsichtbar und dennoch leicht zugänglich gestaltet und lassen das klare Design der Wohnung für sich wirken. Schlafzimmer, Schrankraum und Bad sind im oberen Stockwerk auf einer Ebene vereint, nur die Toilette ist in einem kleinen Nebenraum untergebracht. Dieses Konzept hat eine für die Wohnungsgröße ungewöhnliche Großzügigkeit ermöglicht.
Material- & detailverliebt
Aktuell ist die Innenraumgestaltung einer Wohnung in Mailand in Planung, freilich auch „spannende Sachen“ in heimischen Gefilden – der Fokus liegt auf Möbeltischlerei im gehobenen Bereich mit individuellen Lösungen und hoher Beratungskompetenz. Gebaut wird alles direkt im Betrieb, von der Stange wird nichts zugekauft. Verwendet werden in der Regel Massivhölzer, u.a. Eiche, Ahorn, Tanne oder Fichte – aber auch aufwändige Altholzprojekte wie beispielsweise die Einrichtung von Chalets werden umgesetzt. Bei allen Projekten ist das Thema Oberflächenbearbeitung eine Herzensangelegenheit. Um die Langlebigkeit und Pflegeleichtigkeit zu erhalten, werden ausschließlich Öle auf natürlicher Basis oder ökologisch besonders positive Wasserlacksysteme verwendet – auf lösungsmittelhaltige Beschichtungen wird komplett verzichtet. Für fugenlose Inneneinrichtungselement wird darüber hinaus schon seit 25 Jahren auf den Mineralwerkstoff Corian gesetzt, der direkt im Betrieb verarbeitet wird. Raggl selbst ist als Planerin und „Werkstattaficionado“ bei der Montage der Möbel zwar selten direkt vor Ort – ihre Expertise ist nämlich schon vorher gefragt, wenn es ums Maßnehmen geht.
So wird sichergestellt, dass dann auch in Sachen Produktion alles glatt läuft. Hausinterne Monteure kümmern sich schließlich darum, dass die Möbel millimetergenau dort landen, wo sie hin sollen. Und nach jedem Projekt werden auf einer großen Wand im Betrieb die Bilder der fertigen Werke fürs gesamte Team präsentiert. „Das freut mich besonders – zu sehen, was dabei rauskommt, wenn wir für unsere Kund*innen Möbel und Inneneinrichtungen planen und umsetzen.“ Und wer weiß, vielleicht nimmt Michaela Raggl ja bald in Mailand das Maßband in die Hand. www.tischlereikirchmair.at