Baurecht

Garantieabruf bei strittigen Werklohnforderungen?

Katharina Müller, Margherita Müller
05.11.2025

Der OGH bekräftigt: Eine Bankgarantie darf nur gezogen werden, wenn die Werklohnforderung unbestritten und fällig ist. Ein vorschneller Abruf kann teuer werden. Wer offene, aber strittige Forderungen absichern will, muss andere Wege gehen.

Zu verschiedenen Absicherungsmechanismen in der Baubranche haben wir bereits in der Ausgabe 05/2025 ausgeführt – Wer schützt wen? In Zusammenhang mit der Sicherstellung nach § 1170b ABGB hat der OGH sich in einer Entscheidung nunmehr wieder mit den Voraussetzungen zur Verwertung einer derartigen Sicherheit beschäftigt. Er stellte klar: Diese dürfen ausschließlich zur Begleichung von fälligen und unbestrittenen Werklohnforderungen verwertet werden. Die strittigen Teile des Werklohns sind dadurch nicht gesichert. Zudem ist auch für Skontoabzüge ein Vorbehalt nach Punkt 8.4.2 der Önorm B 2110 erforderlich.

Was war geschehen?

Im Rahmen eines Bauprojekts in Wien vergab die klagende Generalunternehmerin zwei Subaufträge („Konstruktiver Stahlbau“ und „Aluschlosser“) an die beklagte Subunternehmerin. Zur Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB wurden zwei Bankgarantien übergeben. Nach Legung der Schlussrechnung und zwischenzeitlicher Zahlung der unstrittigen Beträge forderte die Subunternehmerin eine Ausweitung der Sicherheiten auf die unkorrigierten Schlussrechnungssummen. Die Generalunternehmerin kam dieser Aufforderung nicht nach, weshalb die Subunternehmerin hinsichtlich beider Verträge den Vertragsrücktritt erklärte und die bereits erlegten Bankgarantien zog. Die Generalunternehmerin klagte die Subunternehmerin im gegenständlichen Verfahren auf Rückzahlung der Garantiebeträge.

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Wie wurde entschieden?

Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die Bankgarantien zu Unrecht abgerufen hatte, und folgte damit den Vorinstanzen. Im konkreten Fall hatte die Klägerin nach Prüfung der Schlussrechnungen nur die unstrittigen Teile bezahlt und gegen die übrigen Teile berechtigte Einwendungen erhoben. Im Zeitpunkt des Abrufs waren die betroffenen Werklohnforderungen daher schlicht nicht fällig.
Es lag genau die Situation vor, in der die Parteien zunächst die Frage der Berechtigung von Schlussrechnungskorrekturen bzw. Mehrkostenforderungen klären hätten müssen. Auch wenn § 1170b ABGB dies selbst nicht ausdrücklich regelt, ist die Verwertung von Sicherheiten nach der ständigen Rechtsprechung und der einschlägigen Literatur nur bei Fälligkeit und tatsächlichem Zahlungsverzug des Bestellers zulässig. Der Auftragnehmer kann den natürlichen Einigungsprozess bei Baustreitigkeiten nicht einfach durch vorschnelle Verwertung von Sicherheiten „abkürzen“. Insbesondere kann er auch keine für ihn günstige Beweislastverteilung erzielen.
Außerdem wäre die Verwertung der Sicherheiten selbst dann unzulässig gewesen, wenn sich die gegen die Werklohnforderungen erhobenen Einwendungen später als unbegründet erwiesen hätten. Der OGH verwies in diesem Zusammenhang auf eine frühere Entscheidung.
Auch zur Frage des Vorbehalts bei Skontoabzügen bestätigte der OGH die Auslegung der Vorinstanzen: Auch Skontoabzüge fallen unter die Regelung des Punktes 8.4.2 der Önorm B 2110. Der Werkunternehmer muss also einen fristgerechten und begründeten Vorbehalt erklären, wenn er gegen solche Abzüge Einwendungen erheben will. Ein pauschaler oder nachträglicher Einwand reicht nicht aus.

Was die Entscheidung für die Praxis bedeutet

Der OGH stellt mit der Entscheidung erneut klar: Das Abrufen von Sicherstellungen gemäß § 1170b ABGB stellt kein Mittel zur Durchsetzung strittiger Forderungen dar.
Wenn der Auftraggeber Einwendungen gegen eine Werklohnforderung erhebt, empfiehlt sich eine sorgfältige Prüfung dieser Einwendungen, der Fälligkeit und der Vertragsbestimmungen zur Abrechnung. Eine vorschnelle Verwertung von Sicherheiten birgt erhebliche Risiken und ein nicht zu unterschätzendes Kostenrisiko. Des Weiteren entbindet die Verwertung den Auftragnehmer nicht davon, seine Werklohnforderungen behaupten und beweisen zu müssen, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommen sollte.
Zudem hebt der OGH die Bedeutung von Punkt 8.4.2 der Önorm B 2110 hervor. Wer Nachforderungen stellen will, muss rechtzeitig und konkret Vorbehalt erklären – auch bei vermeintlich „kleinen“ Rechnungskorrekturen wie Skontoabzügen.


Die Autorin

Katharina Müller
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DDr. Katharina Müller ist Partnerin bei Müller Partner Rechtsanwälte, Rockhgasse 6,
A-1010 Wien
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