Wenn der Tischler Harfen baut
Historische Fachwerkhäuser stellen hohe Anforderungen an die Sanierung – vor allem bei alten Treppenanlagen. Ein Beispiel zeigt, wie durch präzises Handwerk und kreative Lösungen moderner Wohnkomfort Einzug hält.
Fachwerkbauten sind Zeitzeugen unserer Baugeschichte und der Handwerkskunst vergangener Generationen. Sie zieren zahlreiche Städte, Dörfer und Siedlungen. Wenn sie gut erhalten sind, findet auch die junge Generation Gefallen am Wohnen im Fachwerk. Was wohnlich sehr reizvoll wirkt, kann für Handwerker mitunter zu einer Herausforderung werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine grundlegende Sanierung der Geschosstreppen ansteht.
Nicht immer Lot und Waage
Gebaut vor mehr als einhundert Jahren, ohne Laser und nur mit einfachen Hilfsmitteln handwerklich errichtet. Je nach Stand der Erbauer dienten solche Häuser in erster Linie dazu, ein Dach über dem Kopf zu haben. Präzise lot- und waagerecht verbaute Böden und Bauelemente sind in diesen Häusern eher die Ausnahme. So kann man viele dieser schönen Zeitzeugen antreffen. Türschwellen und einfache, mit Lehm verputzte Wände.
Setzungen, Risse und eine Vielzahl von Renovierungsarbeiten haben im Lauf der Jahre ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder wurde das Haus durch die Bewohner den jeweiligen Ansprüchen angepasst. Renovierungsarbeiten jeglicher Art machten es möglich, den Wohnkomfort zu heben. Oft hat bei diesen Arbeiten nur ein Bauteil überlebt. Die Geschosstreppe, die mittlerweile von Schädlingen befallen ist, hat ihr endgültiges Ende eingeläutet.

Den Bestand erfassen
Ein erster Blick verschafft Klarheit, Fachwerk! Die Böden nicht in Waage, die Deckenhöhen niedrig und die Lauflängen reichen wahrscheinlich nicht aus, um eine bequeme und sichere Treppe zu integrieren. Zwischen Handlauf und Verkleidung fehlt der Platz für die Finger, und die Kopffreiheit ist ebenfalls unzureichend. Oft wurden bei solchen Bauten die Treppen in Richtung der Deckenbalken eingebaut. So blieb ein Teil zwischen den Balken frei. In diesen Bereich wurde später die Treppe eingebaut. Zu Beginn und am Ende der Öffnung wurde ein Querbalken, ein sogenannter Wechsel, eingezogen. Dieser Balken hatte keine statische Aufgabe. Er diente einzig der Befestigung der Treppe und deren Verkleidung.
Gemeinsam Lösungen finden
Bei der gemeinsamen Suche nach einer Lösung wurden mehrere Aspekte in Angriff genommen: Der Laser verschaffte Klarheit über die Höhenmaße, während der festgelegte Meterstrich die Basis für die geplanten Umbaumaßnahmen im Haus der Bauherren bildete.
Zunächst wurden die Lauflänge angepasst und die Öffnung in der Decke zum Antritt hin vergrößert, wodurch das vorhandene Antrittspodest hinfällig wurde. Diese Maßnahme führte leider noch nicht zum gewünschten Erfolg.
Daher musste auch die Öffnung verlängert werden. Hier wurde die Treppe so gestaltet, dass der Austritt in einer Schräge von 20 Grad endet. Diese Maßnahme verlängert einerseits den Laufweg und verleiht der Treppe ein besonderes Aussehen. Beim Begehen der Treppe wird man gleich in das bestehende Raumgefüge eingeführt. Trotzdem vermittelt die Treppe ein Gefühl der Großzügigkeit. Durch eine geringe Verschiebung der Lauflinie nach außen konnte diese Treppe alle Ansprüche an Sicherheit und Bequemlichkeit erfüllen.
Eine Konstruktion für mehr Raum
Eine weitere Herausforderung war der Platzbedarf für den Treppenlauf. Ein wichtiger Anspruch der Bauherren war es, trotz des vorgegebenen Raumgefüges genügend Platz auf der Treppe zu schaffen und gleichzeitig alle Sicherheitsanforderungen einzuhalten. Um den vorhandenen Platz optimal auszunutzen, fiel die Wahl auf eine Harfentreppe. Dadurch konnte die Laufbreite um etwa 100 Millimeter erhöht werden. Die Harfe trägt anstelle einer Freiwange die Stufen und bildet gleichzeitig das Brüstungsgeländer unterhalb der Treppe.
Da durch diese Konstruktion weder Platz für eine Freiwange noch für einen Handlauf samt Abstand zur Treppenverkleidung benötigt wird, lässt sich der gesamte Platz der Treppenöffnung für die Laufbreite ausschöpfen. Um diesen gewonnenen Platz zu erhalten, fiel die Entscheidung in Bezug auf den Handlauf auf eine leicht rückbaubare Lösung. Der Handlauf wurde auf Haltern aus Metall oberhalb der Wandwange angebracht.
Diese Vorgehensweise ermöglicht einen einfachen Rückbau, wenn Renovierungsarbeiten anstehen oder sperrige Gegenstände, wie beispielsweise neue Möbel, über die Treppe transportiert werden müssen.

Kellerraum-Abschluss als Besonderheit
Dies waren nicht die einzigen Probleme, die im Zusammenhang mit dieser Treppenanlage gelöst werden mussten. Die Geschoßtreppe, die in das erste Obergeschoß führt, sollte gleichzeitig als Abschluss für die darunterliegende Kellertreppe und den darunterliegenden Raum dienen. Hier galt es, zusätzlich eine Tür zu integrieren. Um den Platzbedarf so gering wie möglich zu halten, einigte man sich auf eine Ganzglas-Schiebetür.
Diese Lösung ermöglichte das platzsparende Öffnen und Schließen der Tür, ohne wertvollen Platz im Flur des Hauses zu beanspruchen bzw. in die Laufwege hineinzugreifen. Nun stand die Aufgabe im Raum, eine optische Lösung zu finden, die die Laufschiene nicht allzu dominant wirken lassen sollte. Hierzu wurde in die Harfe ein Querstück integriert. Dieses dient nicht nur zur Befestigung der Laufschiene. Vielmehr trägt es zu einem großen Teil zur Statik im Bereich der Schiebetür bei.
Bauherren in die Gestaltung einbeziehen
Um die Bauherren in die Gestaltung der Harfentreppe einzubeziehen, wurden ihnen Entwürfe der Treppenharfe vorgelegt. Alle wichtigen Maße und Details waren eingezeichnet, sodass sie sich ein Bild der tragenden Teile machen konnten.
Zusätzlich erhielten sie einige Bilder und Informationen. So entstanden mehrere Entwürfe, die so lange angepasst wurden, bis eine Umsetzung möglich und praktikabel war. Das Ergebnis ist die bestehende Ausführung der Harfentreppe. Eine Entscheidung, die die Bauherren bis heute nicht bereuen.
Lösungen für Setzstufen aus Glas
Da die Kellertreppe mit einer VSG-Glas-Schiebetür abgeschlossen werden sollte, wurde dieses Material auch für die Setzstufen und die restlichen Verkleidungen favorisiert. Um auch hier den Sicherheitsanspruch zu erfüllen, wurde mit einem ortsansässigen Glasermeister zusammengearbeitet. Er fertigte die Zuschnitte der Verglasung an und stand bei der Planung mit Rat und Tat zur Seite. So entstanden nützliche Details, die die Treppenanlage zu einem einzigartigen Projekt machen. Da die Setzstufen aus Glas erst nach der Endmontage montiert werden konnten, wurden unter den Trittstufen zwei Leisten angebracht, die eine Nut für die Setzstufen bilden. Zusätzlich minimieren die Leisten eine mögliche Durchbiegung der Trittstufen. Um die Setzstufen nach der Montage einbauen zu können, wurden diese im Bereich der Wandwange tiefer eingefräst.
Dies ermöglichte das Einschieben der Setzstufen. Zusätzlich zur Glasdicke von acht Millimetern mussten beidseitig zwei Millimeter Vorlegeband eingerechnet werden. Zur Befestigung wurde eine spezielle Glashalteleiste entwickelt, die eine Verschraubung an den Trittstufen ermöglicht. Um zu verhindern, dass sich Schmutzrückstände in den Fugen ablagern, wurden die entsprechenden Anschlussfugen mit einem anstrichverträglichen Dichtstoff abgedichtet.
Das Fazit
Fachwerkbauten sind ein Kulturgut und absolut erhaltenswert. Auch wenn viele Gebäude im Bestand nicht den heutigen Toleranzen und Normen entsprechen, lassen sich Lösungen entwickeln, die ein zeitgemäßes Wohnen zulassen. Solche Lösungen müssen nicht zwangsläufig in einem Kompromiss enden. Wenn alle am Projekt Beteiligten auf Augenhöhe und mit Fingerspitzengefühl zusammenarbeiten, entstehen Synergien, die zukunftstauglich, schön und praktikabel sind. Solche Aufträge bieten die Möglichkeit um als Tischler sein volles Potenzial an Kreativität und Handwerkskunst auszuschöpfen. ■



