Cuno Brullmann: Ideen fallen nicht einfach so vom Himmel

01.06.2015

Seit nunmehr fast 20 Jahren lehrt Cuno Brullmann an der TU Wien. Beinahe 500 Diplomarbeiten hat er in dieser Zeit betreut und noch mehr Studierende geprägt. Seit Anfang des Jahres ist er als Professor emeritiert. FORUM traf Brullmann in seinem Pariser Atelier, um über sein Wirken als Architekt zu sprechen und die Zeit seiner Wiener Lehrtätigkeit an der Universität Revue passieren zu lassen. Fabian Dembski im Gespräch mit Cuno Brullmann

Mittlerweile haben Sie mit Ihrer Professur an der TU Wien ja fast die 20-Jahr-Hürde erreicht.
Ja, das ist auch für mich unglaublich. Ich habe da so meine Theorie: Man sollte als Professor nicht länger als zehn Jahre an einer Schule bleiben und danach woanders hin wechseln. Auch wenn neue Professuren vergeben werden, sollten die Verträge nicht mehr als zehn Jahre umfassen. Bei mir sind es jetzt schon 19. (lacht)

Sie haben in den 1970er-Jahren begonnen, als Architekt zu arbeiten.
1970 habe ich an der ETH Zürich das Diplom gemacht. Danach bin ich nach London. Zuvor war ich während des Studiums bereits in Tokio und bin ein Jahr lang um die Welt gereist.

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Die Zeit damals scheint uns heute von Legenden und Mythen umwoben, etwa mit Buckminster Fuller, Cedric Price oder Archigram. Was hat Sie als angehender Architekt damals fasziniert, und was davon ist geblieben?
Da entstand sehr viel Neues. Mich hat alles interessiert, was sich bewegte, also die Flexibilität in der Architektur, die ich in Japan kennengelernt habe. Architektur, die nicht definitiv ist, die stets verändert werden kann; etwa die Entwürfe von Archigram wie die „Walking Cities“ und Ähnliches; also wandelbare Architektur, die sich verändern kann. Vielleicht war das auch ausschlaggebend, nach London zu Peter Cook und AA zu gehen. Ich wollte einfach sehen, was damals dort entstand.

Sie beherrschen viele Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, sogar etwas Japanisch. Wie prägt Sprache die Architektur?
Eine interessante Frage. Heute ist alles sehr international, überall hört man Englisch. Aber eigentlich prägt nicht die Sprache die Architektur, sondern vielmehr die Traditionen, die aber letztlich natürlich auch zur Sprache gehören. In Japan gibt es die große Tradition nichtpermanenter Häuser, weil das Land ständig mit Feuer, Erdbewegungen und Erdbeben konfrontiert ist. Es gibt dort fast nichts Historisches mehr – alles wurde immer wieder neu errichtet. Eben dieses ständige Sich-Bewegen ist für Japan typisch. Die Kultur des Temporären sozusagen.

Ganz genau. Das Gegenteil zu Europa, wo alles doch eher sehr …
… schwerfällig ist? Wie etwa in den 1960er-Jahren?

Ja! Wenn man sich dafür interessiert hat, gab es ganz spannende Richtungen und Personen, die interessante Dinge gemacht haben. Ich bin damals für das Centre Pompidou nach Paris gegangen. Das war eine andere Welt. Was wir da gemacht haben und was da sonst geschah, war total konträr; vor allem in Frankreich. England war zu der Zeit viel offener und ist es auch heute noch.

Könnte man sagen, das Centre Pompidou hat in Paris eine neue Kultur des Bauens eingeläutet?
Nun, es war zumindest ein Auslöser. George Pompidou war an sich ein sehr fortschrittlicher Mensch, der sich für Kunst und Architektur auch wirklich interessierte. Er war es, der diesen Wettbewerb wollte. Nach ihm gab es dann ein Loch mit seinem Nachfolger Giscard d’Estaing. Mitterrand hingegen engagierte sich dann wieder mehr. Danach war es damit aber wieder vorbei, und in letzter Zeit passiert wieder etwas mehr.

Sie haben dann für und mit Richard Rogers und Renzo Piano gearbeitet. Was war Ihr erstes selbstrealisiertes Projekt?
Bei Renzo Piano habe ich das erste Gebäude umgesetzt, das B & B (Anm.: B & B Italia Offices, 1971–73), ein für Renzo Piano realisiertes Projekt, wohlgemerkt. Aber ich trug dabei doch eine ziemliche Verantwortung. Der B-&-B-Bau ist wirklich spannend und eigentlich ein Vorläufer des Beaubourg. Bereits damals sind all die Ideen für das spätere Centre Pompidou entstanden.

Apropos Museen – Sie haben auch ein modulares System für die Cité de Science in Paris entwickelt, eine Sekundärarchitektur.
Das modulare Konstruktionssystem. Es gab eine riesige Halle, die ursprünglich als Schlachthof geplant war, jedoch nie in Betrieb ging. Das Gebäude wurde in den 1960er-Jahren als weltweit modernster Schlachthof geplant. Für die Kühe haben sie gewendelte Rampen konstruiert, auf denen man die Tiere langsam hinaufgeführt hätte. Unglaubliche Szenen! (lacht)
Quasi über die Spirale dem Tod entgegen.

Auf halbem Weg sozusagen hat man dann doch noch herausgefunden, dass es Wahnsinn ist, die Kühe lebend nach Paris zu bringen. Das Gebäude stand dann für Jahre leer, bis man beschloss, es in ein technisches Museum umzubauen. Den entsprechenden Wettbewerb hat Adrien Fainsilber gewonnen. Wir gewannen jenen für den Innenausbau der riesigen Hallen und entwickelten ein System, um ein Gebäude im Gebäude machen zu können. Ein System, mit dem sich Ausstellungsräume, Büros, Konferenz- oder Vortragssäle realisieren lassen; man kann damit im Innenbereich an sich alle Arten von Volumen bauen.
Eine komplexe Sache!

Ich glaube, es hat nie ein so weit entwickeltes System gegeben. Es erlaubte viel Flexibilität, doch dann kam gleichzeitig die Überlegung, wie weit man gehen sollte. Temporäre Ausstellungen bestimmen zeitliche Grenzen, innerhalb derer eine solche wiederverwendbare Systemanwendung auch ökonomisch gut tragbar ist – also jedenfalls die große Struktur. Die spezielle Anwendung ist aber für jede Ausstellung eine andere. Wie weit soll man also gehen mit einem solchen System? Soll es alles können oder nicht? Es muss einiges leisten, aber nicht zu viel, sonst ist es nicht mehr finanzierbar. Vieles macht man dann eben nur temporär, und im Anschluss wird eben entsorgt.
Aber Sie haben auch herausragende Verkehrsbauten realisiert.
Am Pariser Gare de Lyon etwa mein erstes Parkhaus. Dieses Projekt war damals revolutionär. Parkhäuser waren zuvor regelrechte Maschinen zum Abstellen von Autos. Man hatte ganz auf den Menschen vergessen, der im Auto sitzt. Dass dieser etwa nach seinem Auto sucht und ein gewisses Sicherheitsbedürfnis hat. Unser Konzept baute daher auf Transparenz auf, damals etwas ganz Neues. Wir haben etwa komplett verglaste Lifte bis in das Untergeschoß errichtet. Man fühlt sich nicht so eingesperrt und sieht in das Parkhaus. Auch leuchtende Wände haben wir erfunden. Psychologisch funktioniert das wie ein Fenster. Licht nur von oben ist irgendwie erdrückend. Von der Wand her gibt das „Luft“. Das funktioniert wirklich gut.
Transparenz in der Architektur scheint Ihnen überhaupt sehr wichtig zu sein.

Ja natürlich, das kommt aus Japan. Transparenz ist für mich grundlegend ebenso wie das Spiel mit Transluzenzen, mit Überlagerungen und Moiréeffekten. Raum hat keine Grenzen.
Wann kommen Ihnen die Ideen? Sie sprechen vom Architekten als Erfinder. Wie beginnen Sie ein Projekt?

Ich habe da so meine Methodik: Man muss zuerst wirklich viel wissen über das, was man tut. Bei einem Auftrag überkommt einen dann oft die Lust, auch gleich loszulegen. Aber bevor man sich nicht alles wie Bauplatz, Umfeld und Beschaffenheit des Geländes erarbeitet hat, sich nicht genau über das gewünschte Raumprogramm informiert hat, kann man nicht beginnen. Architektur ist keine Skulptur, sie hat normalerweise eine Funktion zu erfüllen. Und bei komplexen Bauten ist es umso wichtiger, sich erst alle Grundlagen zu erarbeiten, bevor man eine Idee zu Papier bringt. Erst dadurch ergibt sich eine gewisse Logik. Ideen fallen nicht einfach so vom Himmel, auch die muss man sich erst einmal erarbeiten. Es bedarf einer gewissen Neugierde, um zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Und es bedarf viel Input und Inspirationsquellen, die gehören gefördert. Also sollte man so viel wie möglich reisen und ansehen.

Wohin hat sich die Architektur in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt, und wie sieht die Zukunft aus?
Nun, der Computer hat viel verändert, er hat neue Möglichkeiten eröffnet, hat aber auch eine gewisse Gefahr mit sich gebracht. Diese vielen schönen Bilder, die zwar faszinieren, aber einfach nur Bilder sind – oft werden diese Bilder aber auch gebaut. Nur vergisst man, rechtzeitig zu überlegen, wie diese realisiert werden sollen. Es sind dann letztlich nur leere Formen. Das ist schade. Architektur sollte kohärent sein. Aber es scheint nun doch so, als gehe man wieder einen Schritt zurück und mache sich Gedanken über die Logik einer Konstruktion, über die geeigneten Materialien. Man befasst sich wieder mehr mit der Konstruktion und nicht mehr allein nur mit der Form.

Wie sehen Sie das Thema Nachhaltigkeit?
Ich halte davon nichts, wenn es dabei nur darum geht, Energie zu sparen. Wenn man in einem Gebäude nicht mehr angemessen leben kann, wenn man in einem Wohnhaus so kleine Fenster einbaut, dass es zwar gut isoliert ist, aber diese nicht mehr geöffnet werden können, geht das für mich zu weit. Selbst ein Gebäude, das nicht perfekt gedämmt ist, kann Qualität haben. Wenn es eben kurzfristig zu kalt oder zu warm wird, dann ist das nicht so schlimm. Mit den übertrieben isolierten Bauten ist man – gerade in Österreich und in der Schweiz – an einen Punkt angelangt, der die Architektur regelrecht zerstört. Unglaublich viele Gesetze für Nachhaltigkeit auch im Bereich Brandschutz oder des Wohnbaus tun ein Übriges. Wenn man das alles in den Computer eingibt, schafft dieser das Projekt ja schon allein, da braucht es keinen Architekten mehr. (lacht) Da wird einfach zu viel geregelt.

Wie ist es mit der Utopie, ist der Versuch, diese umzusetzen, Ihr Motor, das Utopische in der gebauten Welt?
Für mich ist es wichtig, dass Studenten lernen, frei zu denken. Utopie kann Ideen fördern. Daraus habe ich auch mein Entwerfen „Utopia-Real“ entwickelt. Zuerst gibt es ein freies, fast utopisches Konzept, und erst im Anschluss frage ich, wie dieses auch konstruiert und gebaut werden kann. Überhaupt fasziniert mich die Utopie seit langem, aber sie beschäftigt auch viele andere namhafte Architekten und Künstler. Ideen darüber sind in mein kürzlich erschienenes Buch „Re-Searching Utopia“ eingeflossen.

Wie sieht es an der Uni aus – hat sich an der Lehre der vergangenen 19 Jahre etwas verändert?
Viel. Ich bin an die Uni gekommen, als Krier, Dahinden und Schweighofer gegangen sind. Kurz vor mir kamen Will Alsop und Helmut Richter. Ich denke, wir haben damals schon ein Stück neue Welt hierhergebracht. Wir waren ein Super-Dreiergespann. Richter wurde dann krank, das war sehr schlimm, und Alsop wurde überhaupt nicht verstanden. Mit seinen Utopien und freien Ideen verkörpert er einfach eine andere Welt. Aber für die Studenten ist er so inspirierend.

Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der Architektur an der TU ein?
Ich sehe eine Gefahr darin, dass die Architekturfakultät nicht mehr weltoffen denkt und sich zu sehr abkapselt – das ist ja sehr österreichisch. Aber es gibt natürlich auch sehr gute international tätige österreichische Architekten.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zeit nach der TU aus?
Ich unterrichte jedenfalls weiter und betreue noch meine Diplome. Aber ich möchte auch ein paar andere Dinge machen, etwa mich wieder mehr in Projekte involvieren. Außerdem interessieren mich Forschung und Entwicklung. Viel Wohnbau habe ich eigentlich nicht gemacht, und ich glaube, das war für die Uni auch gut so. Ich habe ja immer betont, das ist die Abteilung für Wohnbau und Entwerfen (lacht) – damit es nicht zu einseitig wird. Das ist letztlich aber meine Sorge bezüglich meiner Nachfolge.

Redaktion

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