Brennpunkt-Thema

Erdrückt die Bürokratie das Handwerk?

06.10.2025

Das österreichische Handwerk sieht sich mehr denn je durch bürokratische Lasten eingeengt. Studien und Verbandsvertreter warnen vor einem Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich und fordern, dass Politik und Verwaltung rasch konkrete Maßnahmen setzen.

Eine aktuelle Studie der KMU Forschung Austria, beauftragt von der Bundessparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), zeigt das Ausmaß der Belastung deutlich: Österreichs Gewerbe- und Handwerksbetriebe wenden jährlich etwa 4,3 Milliarden Euro für bürokratische Auflagen auf. Dabei entfallen rund 70 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr, was etwa 42.190 Vollzeitstellen und knapp 6,6 Prozent der gesamten Personalkapazität im Gewerbe und Handwerk entspricht. Laut der Befragung berichten 70,9 Prozent der Betriebe von einer Zunahme der Bürokratiebelastung in den letzten drei Jahren. Eine spürbare Entlastung geben hingegen nur 0,4 Prozent der Unternehmen an.

Zusätzlicher Druck für die Branchen

Besonders belastend empfinden Betriebe die zunehmenden Dokumentations- und Meldepflichten, vor allem im Arbeits-, Umwelt- und Steuerrecht. Diese haben sich nicht nur vermehrt, sondern sind oft komplex in der Umsetzung oder überschneiden sich inhaltlich. Neue Herausforderungen ergeben sich auch aus Nachhaltigkeitsund EU-Regulierungen. Gesetze wie die EU-CSR-Richtlinie zu Nachhaltigkeitsberichtspflichten, das Lieferkettengesetz oder die EU-Entwaldungsverordnung bringen zusätzliche Anforderungen mit sich. Besonders kleine und mittlere Unternehmen fühlen sich dadurch überfordert. Auch steuerliche und finanzielle Belastungen stellen ein Problem dar. Unterschiedliche Kollektivverträge, komplizierte Lohnverrechnung und voneinander abweichende Vorgaben in den einzelnen Bundesländern erhöhen den Aufwand und das Risiko für Fehler, die schnell teuer werden können. Hinzu kommen langwierige Genehmigungsverfahren und Zulassungsprozesse bei Betriebsanlagen, Energiefragen und Unternehmensgründungen, die die unternehmerische Dynamik hemmen.

Advertorial

Erste Maßnahmen der Regierung

Die Handwerkerschaft und ihre Vertreter bringen bereits konkrete Vorschläge zur Entlastung ein. Ein erster Schritt wurde mit dem Mittelstandspaket der Regierung gesetzt: Ab 1. Juli 2025 entfällt die Normverbrauchsabgabe (NoVA) für leichte Nutzfahrzeuge der Klasse N1, und die Belegausdruckpflicht bis zu einem Betrag von 35 Euro wird abgeschafft. Auch Genehmigungsverfahren in den Bereichen Betriebsanlagen, Energie und Unternehmensgründungen sollen künftig beschleunigt werden.

Bürokratie
© iNueng / iStock / Getty Images Plus via Getty Images

Forderung nach strukturellem Bürokratieabbau

Die Wirtschaftskammer Österreich fordert darüber hinaus einen breit angelegten Bürokratie-Stopp. Ein Rückbau des bürokratischen Mehraufwands um lediglich zehn Prozent könnte laut Schätzungen rund 430 Millionen Euro an Kosten einsparen und etwa 4.200 Vollzeitkräfte wieder produktiv machen. Es werden auch Erleichterungen bei Berichtspflichten und EU-Regelungen gefordert. Insbesondere sollen KMU von verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichten und bestimmten Regelungen, etwa im Lieferkettengesetz, ausgenommen oder zumindest entlastet werden. Eine Anpassung der Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird als dringend notwendig angesehen. Unternehmen verlangen außerdem mehr Rechtssicherheit und Klarheit bei bürokratischen Verfahren. Vorschriften, Vorgaben und Sanktionen müssen verständlich und eindeutig sein, um Risiken kalkulierbar zu halten und unnötige Doppelgleisigkeiten zu vermeiden.

Europa im Blick –mehr Klarheit für KMU

Die Bundesregierung hat zwar mit dem Mittelstandspaket erste Entlastungen beschlossen, doch die Handwerkerschaft blickt skeptisch darauf, ob diese Maßnahmen ausreichen – insbesondere angesichts der weiterhin zunehmenden EU-Regulierungen. Positiv aufgenommen werden jedenfalls europäische Vorschläge, bestimmte Berichtspflichten und Regularien zu entschlacken, vor allem dann, wenn sie KMU überproportional betreffen.

Was jetzt passieren muss

Damit Bürokratieabbau im Handwerk nicht bloßes Lippenbekenntnis bleibt, zeichnen sich mehrere notwendige Maßnahmen ab: Dazu zählen Gesetzesfolgenabschätzungen, die die Auswirkungen neuer Regelungen auf kleine Betriebe konkret beziffern. Auch eine bundesländerübergreifende Harmonisierung von Vorschriften wird gefordert, um widersprüchliche Vorgaben zu vermeiden. Die Digitalisierung von Verwaltungsverfahren soll mit möglichst geringem administrativem Mehraufwand und hoher Nutzerfreundlichkeit erfolgen. Bestehende Vorschriften sollten regelmäßig auf Effizienz und Relevanz überprüft und gegebenenfalls entschlackt werden. Darüber hinaus braucht es gestaffelte Anforderungen und Ausnahmeregelungen für KMU, insbesondere im Bereich Umwelt, Nachhaltigkeit und Berichterstattung.

Entlastung als Chance für Innovation

Für das österreichische Gewerbe und Handwerk ist Bürokratie kein abstraktes Problem, sondern tägliche Realität. Die Belastungen sind hoch – in Geld, Zeit und verlorener Produktivität. Erste Maßnahmen der Regierung bringen zwar Entlastung, doch in vielen Betrieben ist davon noch wenig spürbar. Wenn Österreich im internationalen Wettbewerb bestehen will, sind jetzt substanzielle, gezielte und dauerhafte Vereinfachungen notwendig. Ein nachhaltiger Bürokratieabbau könnte nicht nur Kosten senken, sondern auch Innovationskraft und Beschäftigung fördern.