Insekten beschädigen Unterdeckbahnen

Redaktion Dach Wand
17.04.2013

Am Steildach eines landwirtschaftlich genutzten Gebäudes kam es sechs Jahre nach der Eindeckung zu Feuchteschäden. Ein Gutachter stellte als Grund Lochfraß durch Kleidermotten in der Unterdeckbahn fest. Ein Einzelfall?

Jeder verantwortungsbewusste Baufachmann ist bemüht, die zum Zeitpunkt seiner Baumaßnahme gültigen anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Dazu orientiert er sich nicht nur an den für das Bauteil maßgebenden Verordnungen, Normen und Fachregeln, sondern auch an den vom Materialhersteller veröffentlichten Verarbeitungshinweisen und technischen Datenblättern. In Deutschland gibt es für Steildächer neben den Fachregeln des ZVDH die gültigen technischen Normen, in Österreich die ÖNorm B 4119 zu beachten.

In allen genannten technischen Unterlagen fehlt bisher jedweder Hinweis auf die Problematik der Beschädigung von normgemäßen Unterdeck- und Unterspannbahnen für Dacheindeckungen durch Insekten bei Verlegung solcher Bahnen aus anorganischen Stoffen. Auch in der Fachliteratur findet man bisher – ob aus Unkenntnis oder Interessenkonflikten, das entzieht sich meiner Kenntnis – keine Hinweise auf diese Problematik. Es gab bisher vereinzelt Gerüchte darüber, dass sich Dachbahnen „auflösen“ würden, doch auf Nachfrage nach belegbaren Objekten konnten diese nicht benannt werden.

Advertorial

Lochfraß – ein aktuelles Beispiel
Auf einem rund 500 Quadratmeter großen Steildach eines landwirtschaftlich genutzten Gebäudes wurde im Juli 2005 eine Unterdeckbahn auf einer Brettschalung vom Dachdecker gemäß den Verarbeitungsrichtlinien des Bahnenherstellers verlegt und nach rund zwei Wochen die Eindeckung mit Dachziegeln auf Konterlattung fachgerecht ausgeführt. Der Dachaufbau ist folgender: Dachkonstruktion Pfettendach, Dachschalung 24 Millimeter raue Bretter, Unterdeckbahn mit Überdeckung nach den Verarbeitungsrichtlinien des Herstellers, 30/50-Millimeter-Konterlattung, 30/50-Millimeter-Dachlattung, Dacheindeckung Tondachziegel.

In seinem technischen Datenblatt gibt der Hersteller an, dass seine Unterdeckbahn aus einem Verbund von PE-HD und PP besteht. Ihre Eignung wird als Unterspann-, Unterdeck- und Schalungsbahn für Steildächer mit Harteindeckung und Schiefer benannt. Ihre Widerstandsklasse gegen Schlagregen ist W1, Nachweis Widerstand gegen Schlagregen durch ein Prüfzeugnis der TU Berlin.

In seinen Verarbeitungsrichtlinien schreibt der Hersteller: „Eine insektenundurchlässige oder winddichte Ausführung kann durch das Verkleben der Überlappungsstöße mit doppelseitigem Klebeband hergestellt werden.“

Im Frühjahr 2011 kam es bei dem aufgeführten Gebäude zum Bruch von Dachziegeln. Infolgedessen zeigten sich plötzlich Feuchteschäden in den unter dem Dach befindlichen Räumen. Der Bauherr stellte fest, dass Regenwasser aus dem Dach ins Gebäude lief. Beim Austausch der beschädigten Ziegel wurde sichtbar, dass die vorhandene Unterdeckbahn durch unterschiedlich große Löcher perforiert war. Ein beauftragter Gutachter stellte bei Ortsbesichtigung fest, dass dadurch die geforderte Eigenschaft der Regendichtigkeit der Dachfläche nicht mehr gegeben ist.

Zunächst fiel auf, dass die Lochanordnung sich über den Stoßfugen der Bretterschalung häufte. Die ursprünglich dicht gestoßen eingebauten Schalungsbretter hatten im Laufe der Liegezeit aufgrund ihrer Austrocknung die Stoßfugen um Millimeter geöffnet. Durch diese Spalten fraßen sich die Raupen der, wie der beauftragte Gutachter feststellte, Kleidermotte (Tineola bisselliella). Es wurden auch abgestorbene Raupen gefunden (der Sachverhalt ist auf den vom Gutachter angefertigten Fotos deutlich sichtbar).

Basiswissen zur Kleidermotte
In der Literatur (Pestizid-Aktions-Netzwerk e. V., Wikipedia „Kleidermotte“, Umweltbundesamt „Schädlingsratgeber“ u. a.) wird die Kleidermotte als unscheinbarer vier bis neun Millimeter großer Schmetterling beschrieben, der keine Nahrung aufnimmt und seine 50 bis 250 Eier bevorzugt in warmen Räumen ablegt. Die Materialschäden werden durch die Larven, als Raupen bezeichnet, verursacht. Sie werden sieben bis 9,5 Millimeter lang, sind weißlich oder weiß-gelb und haben einen gelbbraunen Kopf. Die Raupen ernähren sich von keratinhaltigen Materialien wie Wolle, Haare oder Federn. In der Literatur wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass Fraßbefall durch sie auch bei Mischtextilien aus organischen und anorganischen Materialien bekannt ist. Auch in Verpackungsmaterialien aus anorganischen Stoffen wurden sie schon nachgewiesen. Die Raupen nehmen die Materialien nicht zur Nahrung auf, sondern scheiden diese sofort wieder aus. Entdeckt werden Kleidermotten meist erst dann, wenn Fraßlöcher – wie im geschilderten Fall der Unterdeckbahn – sichtbar sind. Da sie nicht von selbst verschwinden, müssen sie bekämpft werden.

Kampf der Motte
Doch der Einsatz von chemisch-synthetischen Mottenbekämpfungsmitteln, sie gehören zu den Biozidprodukten, ist nicht ungefährlich. Chemische Biozide gelten grundsätzlich als gefährliche Stoffe, ihr Einsatz birgt Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier.

Deshalb ist es nicht vertretbar, Dachbahnen solche Mittel zuzusetzen, um einen Insektenbefall zu verhindern. Die Zusätze können in die Raumluft übertreten, Lebensmittel kontaminieren oder mit dem Regenwasser in die Umwelt gelangen. Zudem könnten sie durch die im Dachraum anzutreffenden hohen Temperaturen ausgasen und damit in die Umwelt gelangen. Außerdem sind sie nach einigen Jahren ausgegast und somit in der Bahn nicht mehr vorhanden. Deshalb ist augenblicklich ein insektizider chemischer Schutz der in Dach und Fassade genutzten technischen Textilien nicht möglich.

Ein anderer Ansatz ist der Einbau sogenannter „Insektengitter“. Es handelt sich um anorganische textile Gewebe oder Gewirke, ähnlich wie sie aus der Armierung von Fassadenputzen bekannt sind. Doch sind diese zum einen nicht dicht genug, um die kleinen Raupen nicht durchschlüpfen zu lassen, zum anderen zeigt sich, dass die Raupen sich durch solche Gewebe oder Vliese durchbeißen können.

Welche Unterdeckbahnen sind betroffen?
Zunächst meint der Hersteller des hier beschriebenen Sachverhalts, es wäre ein Einzelfall. Dem ist nicht so. Meine Recherchen ergaben, dass es mit der gleichen Dachbahn bereits um das Jahr 2000 einen ähnlichen Schadensfall gab. Der seinerzeit tätige Zimmermann berichtete, auf einem landwirtschaftlichen Gebäude diese Unterdeckbahn verlegt zu haben. Nach etwa zwei Jahren stellte man Wassereintritt im Bereich der auf dem Dach verlegten Solarelemente fest. Nachdem an diesen Stellen die Dachfläche geöffnet wurde, stellte der Verleger Lochfraß im Bereich der Stöße der Brettschalung fest.

Nach Aussage des Zimmermanns war ersichtlich, dass die Raupen der Motte sich aus dem Gebäudeinneren durchgefressen hatten. Er reklamierte umgehend bei dem Baustofffachhandel, der ihm diese Unterdeckbahn empfohlen und geliefert hatte. Die genaue Typenbezeichnung der Bahn ist ihm nicht mehr bekannt, jedoch handelt es sich seiner Aussage nach um das gleiche Fabrikat. In diesem Fall lieferte der Fachhändler umgehend Ersatz mit der Bahn eines anderen Herstellers, womit im Jahr 2001 das Dach im beschädigten Bereich ausgebessert wurde. Allerdings wurde die restliche Dachfläche nicht geöffnet, sodass dort noch immer die ursprüngliche Dachbahn liegt. Immerhin dringt nach Aussage des Verarbeiters in diesem Bereich Regenwasser in das Gebäude ein, wie ihm der Bauherr mitteilte.

Anlässlich der Fachmesse Bau 2013 sprach ich sowohl den betreffenden Bahnhersteller wie auch mehrere andere Dachbahnhersteller auf das Problem des Insektenfraßes an. Die Recherchen dazu laufen noch und sind noch nicht gänzlich abgeschlossen. Jedoch berichtete mir ein anderer Hersteller, um das Jahr 2000 bei einem Gebäude, das mit einer Unterdeckbahn aus dem eigenen Programm eingedeckt wurde, die gleiche Problematik mit Insektenfraß erlebt zu haben. Das Unternehmen zog daraus die Konsequenz und nahm diesen Dachbahnentyp aus dem Vertrieb.

Fazit
Die in diesem Beitrag geschilderten Fälle und erwähnten Personen (aus rechtlichen Gründen können weder Namen noch Ortsangaben veröffentlicht werden) sind dem Autor bekannt und teilweise auch dokumentiert. Auch dem Hersteller der betroffenen Unterdeckbahn ist der Sachverhalt seit 2011 bekannt. Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen künftig von Herstellern empfohlen werden. Zumindest sollte ein deutlich lesbarer Hinweis in den Verarbeitungshinweisen erscheinen, der auf die Problematik des möglichen Lochfraßes durch Insekten verweist.

Doch drängen sich aufgrund des Schadensfalls folgende Fragen auf: Kommt so etwas nur bei landwirtschaftlich genutzten Gebäuden vor? Sind technische Textilien vor Insektenfraß sicher? Sollten nun, nachdem der Insektenfraß allein durch die unvorhergesehene Dachöffnung festgestellt wurde, alle mit einer Unterdeckbahn ausgeführten Steildächer überprüft werden? Muss in den entsprechenden Normen und Richtlinien der Hinweis auf Insektenfraß aufgenommen werden? Welche Maßnahmen werden künftig Hersteller dagegen empfehlen, und wann unterrichten sie Handel und Verarbeiter?

Dem Dachdecker oder Zimmermann kann man, solange keine praktikable Lösung angeboten wird, nur empfehlen, sich vom Hersteller der auf seiner Baustelle zu verlegenden Dachbahnen eine schriftliche Erklärung zum Problem des Insektenfraßes geben zu lassen. Zudem sollte er seinen Bauherrn dahin gehend deutlich informieren, dass es bisher keinen wirksamen Schutz vor Insektenfraß gibt. Ob das allein auf landwirtschaftlich genutzte Gebäude zu begrenzen ist oder auch andere Gebäude betreffen kann, ist zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend darzustellen.

Noch muss man von Einzelfällen der Bahnenbeschädigung durch Insekten sprechen. In meiner jahrzehntelangen Berufserfahrung sind mir persönlich solche Fälle noch nicht begegnet. Doch als Techniker weiß ich, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt und oft nur durch Schadensfälle auf die Probleme aufmerksam gemacht werden kann. Deshalb bitte ich alle, denen an einer Problemlösung gelegen ist, mir ihnen bekannte und dokumentierbare Anwendungsfälle mitzuteilen bzw. mögliche Lösungen aufzuzeigen.

Text Hans Jürgen Krolkiewicz