mostlikely: Strategien für eine inklusive Stadt
Mostlikely – wieder ein Büroname mit Erklärungsbedarf? FORUM wollte es von Mark Neuner, Wolfgang List und Maik Perfahl genauer wissen und traf die drei in ihrem Wiener Büro. Dabei erzählten sie von ihrer facettenreichen Tätigkeit am Schnittpunkt von Architektur, Design und Stadtgestaltung, deren Fokus dem gemeinsamen Leben in der Stadt, dem Umgang miteinander und einer dabei aktiven Teilhabe gilt. Der Versuch einer Annäherung. Christine Müller im Gespräch mit Wolfgang List, Mark Neuner und Maik Perfahl

Mostlikely heißt übersetzt „höchstwahrscheinlich“, warum dieser Begriff und welche Bedeutung hat er für euch?
Maik Perfahl (MP): Wir wollten einen englischen, aber auch Deutsch gut klingenden Namen, der etwas Verspieltes hat. Und „mostlikely“ kann man ja auch mit „höchstliebenswert“ übersetzen.
Mark Neuner (MN): Die Bedeutung „höchstwahrscheinlich“ ist uns eigentlich zum Vorteil geworden. Wir decken mehrere Bereiche ab: Mostlikely-architecture, Mostlikely-sound, Mostlikely-design – als wolle man sagen, das ist höchstwahrscheinlich diese oder jene Richtung. Es gibt Mostlikely als Überbegriff, aber letztlich sind unsere Tätigkeiten und Heransgehensweisen vielfältig.
Wie ist Mostlikely als Überbegriff zu verstehen?
MN: Es kann sein, dass wir ein bis zwei Jahre selten zusammenarbeiten, dennoch beeinflussen wir uns gegenseitig. Das ist auch unser Geheimnis. Wir sitzen dann wohl meist gemeinsam in diesen Räumen, jeder ist jedoch mit einem anderen Projekt beschäftigt, und es kann am Ende sogar sein, dass alles in ein weiteres Projekt einer anderen Person einfließt. Und zwischendurch gibt es ein gemeinsames Projekt zu dritt. Das funktioniert nur, weil wir uns schon so lange kennen, viel gemeinsam haben und doch ganz unterschiedlich sind.
Wie wickelt ihr eure Architekturprojekte ab?
MN: Über meine ZT GmbH. Gerade jetzt entsteht mit Maik gemeinsam ein Projekt, er betreut die digitale Umsetzung von Tragstruktur und Entwurf und bringt sein Spezialwissen ein. Wolfgang unterrichtet Architektur an der TU Graz, Maik Computergrafik an der Grafischen – gerade mal donnerstags sind wir hier zwei Stunden zu dritt.
Woher kennt ihr euch?
MP: Vom Architekturstudium an der TU Wien.
Und euer Interesse am Design?
Wolfgang List (WL): … ist dann einfach passiert.
Arbeitet ihr an Architekturprojekten gemeinsam, oder gibt es eine klare Aufgabenteilung?
MP: Durch die Entwicklung verschiedener Berufsfelder gibt es Schwerpunkte. Ich etwa habe viel mit digitalem Content gearbeitet, mit Renderings, Visualisierungen, Animationen, auch im Bereich Design. Aber eigentlich braucht es keine klare Eingrenzung etwa auf den Bereich Architektur, es fließt ja sowieso immer alles ineinander.
Auch auf eurer Homepage steht das zu lesen.
MP: Es kommt immer darauf an, wie man Felder definiert, wie man nach außen geht, wie man sich vermarktet. Auch verstehen die Leute unter Interdisziplinarität Unterschiedliches.
WL: Wir sind keine Firma im herkömmlichen Sinn, wir arbeiten nur gemeinsam an Projekten, Auf gewisse Weise führen wir eine lose, immer projektbezogene Arbeitsgemeinschaft.
MN: Mostlikely ist eine Art Label, das wir zu dritt betreiben. Dahinter stehen auch verschiedene Formationen und Spezialgebiete. Je mehr Personen wir sind, desto größer ist auch unsere Bandbreite. Anfangs waren wir etwa mit Sound wirklich noch interdisziplinärer. Zu dritt ist unsere Arbeit homogener. Wir sind Gestalter. Ob im Kleinen oder Großen, Architektur ist dabei unser gemeinsamer Nenner, schon allein von der Ausbildung her. Und bei den Architekturprojekten kooperieren wir am meisten.
Eure Tätigkeit reicht von Designobjekten über Interior Design bis zu Architektur.
WL: Ich würde zwischen Design und Architektur keinen großen Unterschied machen. Wir haben mit Innenarchitekturprojekten begonnen, Lokale oder Geschäfte, da muss man schon mal einen Sessel oder Tisch denken, die Grenzen sind fließend.
Interdisziplinarität begleitet euch also immer?
MN: Ja. Wenn wir uns mit einem Projekt befasst haben, wusste man nie, kommt ein Film raus, ein Album, ein 3D-gedrucktes Objekt oder ein Haus? Wir haben nichts ausgeschlossen. Wir machen alles, vom Würstelstand bis zum 100-Betten-Hotel, vom kleinen Schmuckanhänger bis zum Plattenalbum. Das gab es damals vergleichsweise in keinen anderen Büro in Österreich.
WL: Wir haben zur Zeit von Hans Holleins These „Alles ist Architektur“ an der TU Wien studiert. Das hat uns irgendwie geprägt. Diese experimentelle Erfahrung hat uns zusammengeschweißt.
Ihr definiert euch genau über diese Vielfalt.
MN: Die Kunst liegt eigentlich schon darin, dass wir alle unter diesem Label Platz finden und jeder dennoch seine eigenen Kompetenzen behält.
MP: Wir sind eben kein homogenes Team, sondern drei unterschiedliche Charaktere mit ebenso unterschiedlichen Zugängen.
Und was interessiert euch angesichts eurer Diversität an Architektur? Könnte man sagen, dass euch letztlich diese Disziplin eint?
MP: Ja, doch. Mich interessiert an Architektur, was aktuell im digitalen Umfeld passiert. Welche Parallelwelten sich im virtuellen Raum auftun. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Information weltweit immer homogener wird und sich dadurch die Auffassung dessen, was Architektur ist, verändert.
Kommt die reale zwischenmenschliche Beziehung dabei nicht zu kurz?
MP: Nein, man spricht über Mikrofon miteinander, trifft sich, lernt sich kennen, heiratet. Nur wir Laien glauben, dass man dabei vereinsamt. Onlinearchitekturportale haben auch Einfluss auf die Architektur. Vielleicht gibt der Bauherr in naher Zukunft einen Algorithmus ein, sucht sich ein Haus aus, seinen Wunscharchitekten, entscheidet noch die Größe, und es wird es generiert.
Und in 3D ausgedruckt.
MP: Genau. Man merkt ja bereits jetzt, viele Entwurfsprozesse werden zu Kollagentätigkeiten. Bauherren geben Versatzstücke aus dem Netz als Richtung vor.
MN: Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden noch viel verändern. Auf der anderen Seite gibt es Ressourcenknappheit, wir müssen unseren Lebensstil ändern; eine spannende Zeit. Technik und Datenüberfluss schreiten rasant voran, überholen uns. Daher gibt uns die Stadt, die gebaute Umwelt Sicherheit. Ich sehe ein großes Potenzial, in den Fragen nach qualitativem Wachstum in den Städten, nicht nur nach Effizienzsteigerung.
Also geht es vor allem um die Nutzung?
MN: Mehr noch um den Prozess, den man anstößt. Das ist eine Rolle, die uns immer wichtiger wird. Wir müssen die neuen Tools beherrschen, das neue Handwerk. Wir sind noch immer Generalisten, die alle Entwicklungen begleiten und überblicken. Architekten müssten aber öfter Prozesse starten, mitbegleiten, sich involvieren.
WL: Das Schwierigste daran ist, die Menschen zu aktivieren. Wir haben gleich nach der Uni mit dem Büro begonnen, aktiv Projekte umzusetzen, selbst initiiert, damit wir überhaupt Arbeit hatten.
Aber die muss man ja auch finanzieren.
MN: Maik und Wolfgang haben Designprojekte gemacht. 2012 entwarfen sie Lampenschirme, die fünf Jahre zuvor niemand im Internet gekauft hätte, und konnten ein paar Jahre davon leben. Mit kleinen Interiorprojekten haben wir versucht, unseren Weg in der Architektur zu finden. Viele junge Menschen etwa können sich das volle Leistungsspektrum eines Architekten nicht leisten. Wir haben dafür eine Art Handbuch entwickelt und sind eher als Konsulenten aufgetreten.
WL: Die klassische Architektur begleitet dieser Gedanke des besonderen Copyrights. Wir sehen das nicht so streng. Man muss nicht von Anfang bis zum Ende mit dabei sein oder meinen, das Design gehört mir und darf niemals verändert oder weiterverwendet werden.
MN: Unsere Idee und Haltung war es, immer von außen einen Blick darauf zu werfen, neue Wege einzuschlagen.
Wie entstand die Sudden-Workshop-Idee?
WL: Wir haben andere Wege gesucht. Unsere Stärke lag in Designprozessen.
MN: Uns geht es uns darum, mit den Leuten zu arbeiten. Wir wollten ein Ermächtigungstool schaffen, das zeigt, wie schnell man etwas verändern kann.
Es geht auch darum, die Menschen an die Kreativität heranzuführen.
MP: An der Uni oder in der Schule muss eine Aufgabe so schnell wie möglich gelöst werden. Kreatives Arbeiten bedeutet aber, Zeit zum Nachdenken zu haben, daran zu arbeiten und eine Idee weiterzuentwickeln, ohne schon das Resultat zu kennen. Es gilt zu lernen, sich Zeit zu nehmen, um sich überhaupt kreativ zu beschäftigen.
Welchen Stellenwert haben die Stadt und deren Bewohner, deren soziales Umfeld für euch?
WL: Die Interaktion mit den Menschen interessiert uns, wir versuchen neue Wege zu finden, um passende Architekturprodukte zu entwickeln.
Und wie legt ihr das an?
MN: Indem wir mit unserer Arbeit Köder auslegen, um Leute anzusprechen und mit ihnen einen Weg gemeinsam zu gehen. Uns interessieren urbane, öffentliche Typologien, der öffentliche Raum, ein Markt, Werkstätten, öffentliche Plätze, Räume für Veranstaltungen oder Veranstaltungshallen. Dabei geht es sehr stark um die Bewohner, um Partizipation. Genau das versuchen wir aufzugreifen. Ob im Großen oder im Kleinen, bei der Gestaltung öffentlicher Plätze oder beim Design einer Leuchte, die man selbst zusammenbauen kann: Immer geht es darum, die Menschen, deren Ideen und Bedürfnisse mit einzubeziehen.
Ihr müsst also auch initiativ an politische Entscheidungsträger herantreten?
MN: Genau das war die Idee des Sudden Workshops, den ich dann mit Andreas Lint als Prototyp zu bauen begann, um dem um sich greifenden Leerstand eine neue Nutzung entgegenzusetzen. Es ging durchaus um eine größere Mission dahinter. Da braucht es natürlich Eigeninitiative und es ist unumgänglich, an die Stadt heranzutreten. All das ist aber möglich. Und Wien stellt hier einen sehr guten Nährboden bereit.
Schätzt die Gemeinde Wien denn eine solche Eigeninitiative?
MN: Es ist wichtig, der Stadt Ideen aufzuzeigen, dann fallen auch Entscheidungen leichter, am besten anhand temporärer Leuchtturmprojekte.
WL: Wien verfügt grundsätzlich über eine sehr gute Kommunikationsstruktur.
MP: Es gibt viele Sehnsuchtsräume, die aber von Wirtschaft und Konsum für kurzfristige Befriedigung bespielt werden. Sobald ich ein Produkt besitze, ist mein Interesse erloschen, und es geht weiter zum nächsten. Sehnsuchtsräume kann man aber auch anders bespielen, mit Projekten, bei denen Menschen erfahren, dass sie sich einen Platz in der Stadt aneignen und selbst aktiv werden können, nicht über Konsum, sondern über Inhalte motiviert.
Ihr wollt ein neues Bewusstsein schaffen?
MP: Ja, denn es macht glücklich, wenn man selbst etwas geschaffen hat und nicht nur passiv konsumiert – auch wenn das durchaus auch körperlich anstrengend sein kann.
Christoph Thun Hohenstein hat in seinem Vorwort des Buches „Sudden Workshop“ die Thematik einer „Stadt der Zukunft“ angesprochen. Wie könnte eurer Ansicht nach die Stadt der Zukunft aussehen?
MN: Mit der Digitalisierung beginnt eine neue Zeitrechnung, es gibt viele Umbrüche, viele sprechen von Krisen, man könnte es aber auch als Chance sehen. Über digitale Tools kann man der Zivilgesellschaft bessere Möglichkeiten bieten, sich in die Stadtplanung, Entwicklung und Organisation einzubinden. Genau das brächte die Vision einer Stadt hervor, die nicht klassisch top-down verwaltet ist. Der Blickwinkel des Sudden Workshop lässt diese andere Stadt zu.
Eure Idee als Kreative ist es, die Bewohner der Stadt zu einer aktiven Auseinandersetzung anzuregen.
MN: Wir sind mitten drin. Die klassische Stadt wird es immer geben, aber es kommen eben neue Layer, die sich darüberlegen, hinzu.
MP: Diese Räume müssen jetzt geschaffen werden.
WL: Und die Stadt muss das Ausgangsmaterial im öffentlichen Raum zur Verfügung stellen.
“Unsere Idee und Haltung war es immer, neue Wege einzuschlagen.”