Musik verbindet – die „kitt-brothers“
Zwei Wiener Glasermeister schafften es, viele Jahre lang die Glaserschaft mit ihrer Musik zu erheitern und über die Grenzen Wiens hinaus gesellschaftlich zusammenzuhalten. Landesinnungsmeister Ludwig Ortner „Wiggerl" und Gustav Zahlner „der fesche Gustl", beide gemeinsam die „kitt-brothers" genannt.


Am Anfang war … eine Idee. In einem Artikel der Glaserzeitung regte Innungsmeister Felix Sattler monatliche Zusammenkünfte der Kollegen an und erläuterte deren Vorteile. „Was meinen Sie dazu, Herr Kollege?“, mit der Aufforderung per Brief oder Karte die Meinung mitzuteilen. Gewagt, denn zu dieser Zeit war die Kluft Rot-Schwarz noch deutlich zu spüren. Inspiriert dazu wurde er durch die Kollegen in München, wo erfolgreich ein Stammtisch eingeführt worden war. Die Vertreter der Innung waren im Mai 1966 Gäste am Deutschen Glasertag. Im September darauf gab es eine herzliche Gegeneinladung nach Wien. Beim umfangreichen Besuchsprogramm wurden Freundschaften geknüpft.
Der erste Wiener Stammtisch fand schließlich am 5. April 1967 statt. Zirka 40 Kollegen kamen und unterhielten sich harmonisch bei glänzender Atmosphäre. Gleich bei diesem Stammtisch wurde ein einmaliges humanitäres Projekt gestartet. Acht Monate davor hatte eine Mure in Flattach elf Häuser niedergewalzt, in denen drei Menschen starben. Der Kurier-Redakteur Franz Traintinger organisierte einen Wiederaufbau und war auf der Suche nach Glasern, welche die Häuser verglasen . 19 Wiener Glasermeister erklärten sich spontan dazu bereit und reisten bald darauf nach Kärnten zur Arbeit, wo schon Kärntner Kollegen warteten. Am 6. Juli 1967 fand die feierliche Einweihung und Übergabe der Häuser an die geschädigten Familien statt. Danach beschlossen die Glaser in Napplach einzukehren und gleich einen Stammtisch abzuhalten. Das war die Geburtsstunde der „kitt-brothers“.
Fortan waren die Beiden bei jedem Glasertreffen sofort an ihren Instrumenten und sorgten mit Musik und Witz für heitere Stimmung und freundschaftliche Beziehungen unter den Kollegen. Beide waren gute Schifahrer und trugen ihre Unbeschwertheit bis nach Tirol, wo sie stets an den legendären Glaserschirennen teilnahmen und noch in der höchsten Altersklasse gegeneinander antraten.
Ludwig Ortner war Sohn einer Fabrikantenfamilie aus Linz. Hier wurde noch großer Wert auf Hausmusik gelegt. Die Familie besaß ein historisches Hammerklavier.
Ludwig lernte schon früh Geige spielen. Doch: „Alles was Tasten hatte war nicht sicher vor ihm“, weiß sein Enkel Michael Vlasic, Glasermeister in Wien, zu berichten. Und so erlebten wir ihn auch, mit der Ziehharmonika und am Klavier. „Opa war ein Naturtalent, er hörte irgendwo eine Melodie und konnte sie sofort und ohne jedes Notenblatt nachspielen“.
Gustav Zahlner kam aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater war Polizist, die kinderreiche Familie wohnte in einer kleinen Haumeisterwohnung in Ottakring.
In einer gutbürgerlichen Familie hatten die Kinder ein Instrument zu lernen. Gustav lernte Geige. Er übte folgsam, doch waren die Eltern außer Haus, lockten ihn seine älteren Schwestern mit Kinogeld fort, damit sie ihre Ruhe hatten. Er wurde ein leidenschaftlicher Tänzer, Wienerliedersänger und Unterhalter, somit gern gesehen bei den Frauen.
Beide mussten als junge Burschen in den Krieg ziehen und diesem auch einigen Tribut zollen, bis sie ihre eigene Firma in Wien besaßen. Das zufällig entstandene Musiker-Duo entwickelte eine herzliche Männerfreundschaft bis zum Tod. Am 12. Jubiläums-Stammtisch verlieh die Kollegenschaft den beiden „kitt-brothers“ eine „Goldene Schallplatte“. Auf blauem Samt in Gold gerahmt, hatten sie beide, bis zuletzt, diese Auszeichnung in ihren Wohnungen hängen.
Als sie Pensionisten wurden, blieben sie dem Stammtisch immer öfter fern und zogen sich langsam in ihre Wohnorte Baden und Reichenau zurück. Bei Nacht heimzufahren mieden sie zusehends. Für einen Besuch zum 30. Jubiläumsstammtisch musste man sie heftig überreden. Doch kaum waren sie beisammen, saß „der Wiggerl“ schon am Klavier und „der fesche Gustl“ hatte die Gitarre um. An diesem Tag im Dezember 1997 spielten sie ein allerletztes Mal gemeinsam auf.
Privat trafen sie ein letztes Mal 2008 zusammen, als ich ihnen für die 100-Jahr-Chronik der Mollardschule alte Geschichten entlocken wollte. In Ludwig Ortners Wohnung in Baden haben sie mir bei Kuchen und Kaffee so einiges verraten. Gustav Zahlner, der umtriebigere der beiden, viele Jahre bereits verwitwet, starb im selben Jahr ganz plötzlich und wurde knapp 90 Jahre alt. „Jetzt habe ich meinen letzten Freund verloren“, klagte Ludwig Ortner. Seinen innigen Wunsch den Gustl wenigstens noch einmal am Grab besuchen zu können, erfüllte ich ihm gerne mit einem Ausflug nach Reichenau. Er fühlte sich nach dem Tod seiner Lebenspartnerin sehr einsam. Heuer im Jänner folgte er ihnen nach, nachdem er 94 Jahre alt geworden war. Damit wurden die „kitt-brothers“ unwiderruflich Geschichte. Wir können aber mit Überzeugung sagen – so etwas kommt nicht wieder, aber schön, dass sie für uns da waren!