Schenker Salvi Weber: Mit Hirn, Hand und Bauchgefühl
Die Schottenfeldgasse Nummer 72 ist seit zirka zwei Jahrzehnten Inkubator für junge Architekturbüros. Diesen Monat traf Architektur & Bau Forum „Schenker Salvi Weber“ dort zum Gespräch. Vor knapp zehn Jahren haben sie hier auf einem angemieteten Schreibtisch mit ihren ersten selbstständigen Projekten begonnen. Inzwischen belegen sie mit über 25 Mitarbeitern eine ganze Etage. Getrud Purdeller im Gespräch mit Andres Schenker, Michael Salvi und Thomas Weber

Was hat euch jeweils zur Architektur gebracht?
Andres Schenker (AS): Mir wurde die Architektur quasi in die Wiege gelegt, da meine Eltern beide Architekten sind. Ich habe zwar versucht, mich dem zu entziehen und auszubrechen, aber am Ende bin ich dann doch bei der Architektur hängen geblieben.
Thomas Weber (TW): Bei mir gibt es keine Vorbelastung dieser Art, allerdings sind wir, als ich ein Kind war, in einen Rohbau eingezogen, in dem wir etwa fünf Jahre gelebt haben. Vielleicht ist davon irgendwas hängen geblieben.
Michael Salvi (MS): Auch bei mir gab es, ähnlich wie bei Andres, einige architekturaffine Menschen im familiären Umfeld, die mich sehr geprägt haben. Dazu kam von klein auf die Freude am Zeichnen. Mit 15 wollte ich eigentlich noch Sportschuhdesigner werden, aber da daraus nichts geworden ist, blieb es bei der Architektur.
Und wie habt ihr euch in dieser Konstellation zusammengefunden?
TW: Das ist ein Stück weit diesem Haus hier geschuldet. Ich hatte hier, als ich mich gerade selbstständig gemacht hatte, eine Tischmiete bei S.o.f.a. Architekten und Michael arbeitete gleich gegenüber bei Michael Wallraff. Kennengelernt haben wir uns allerdings am Flughafen in Zürich, als wir beide jeweils für ein Projekt in die Schweiz gependelt sind. Zwei drei Monate später hatte
Michael ebenso begonnen, selbstständig an Wettbewerben teilzunehmen, und irgendwann hatten wir zufälligerweise den gleichen am Tisch liegen. Wir haben uns dann entschieden, anstatt als Konkurrenten gemeinsam anzutreten, und Michael holte auch noch Andres mit ins Boot.
AS: Michael und ich kannten uns vom Fußballspielen in Bern. Wir haben aber auch schon bei dem einen oder anderen Projekt, wie etwa der MAK Nite Fashion Show, zusammengearbeitet und hatten immer schon vor, mal einen Wettbewerb gemeinsam zu machen.
MS: Da wir dann gleich zu dritt waren, haben wir nicht nur einen, sondern gleich zwei Wettbewerbe gemacht. Einer davon war ein zweistufiges Verfahren, bei dem die erste Stufe anonym war, die zweite aber nicht mehr, und da wir es in die zweite Runde geschafft hatten, mussten wir so schnell wie möglich ein Büro gründen, um ernst genommen zu werden.
Wie ist die Aufgabenverteilung unter euch?
MS: Nach den ersten Wettbewerben wurden wir gleich zu einem weiteren kleineren eingeladen, und von Dietrich | Untertrifaller, bei denen Thomas vor seiner Selbstständigkeit lange Zeit Projekt- und Büroleiter war, erhielten wir gleichzeitig drei Projekte ab der Einreichung. Daraus ergab sich die Aufgabenteilung: Zwei von uns kümmerten sich um die Abwicklung der Projekte und einer wurde freigespielt für Wettbewerbe und Akquise. Seitdem haben wir zwar immer wieder versucht, etwas anderes auszuprobieren, aber eigentlich hat sich die Aufteilung bis heute bewährt.
Wie trefft ihr die Entwurfsentscheidungen?
TW: Auch wenn Michael und ich vorwiegend die Projekte abwickeln und Andres die Wettbewerbe betreut, treffen wir Entwurfsentscheidungen möglichst zu dritt. Da wir finden, dass aus Konsens immer die schwächste Architektur entsteht, scheuen wir dabei auch nie die Diskussion.
AS: Durch unsere unterschiedliche Vergangenheit sind wir relativ verschieden. Oft spannt sich zwischen uns ein Dreieck auf, wo sich zwei von uns in einer Position finden und der andere weniger, das wechselt sich ständig.
MS: Wir haben von Anfang an eine gute Streitkultur gepflegt. Es zählen die besten Argumente, und nicht selten setzt sich dabei dann einer durch.
AS: Wir stimmen also nicht demokratisch ab, sondern wählen eher den Weg des größten Wider- standes.
MS: Diese Diskussionskultur versuchen wir inzwischen, auch unter unseren Mitarbeitern zu etablieren, damit Projekte, die in die Ausführung gehen, auf möglichst hohem Niveau umgesetzt werden, zumal auch hier viele Entscheidungen getroffen werden müssen.
Ihr seit jetzt fast zehn Jahre alt. Inwiefern habt ihr euch während dieser Zeit verändert bzw. weiterentwickelt?
AS: Die Bürostruktur hat sich besonders während der Phase, in der wir die Post am Rochusmarkt geplant haben, stark verändert. Nachdem wir relativ unnatürlich und schnell gewachsen sind, mussten hier teilweise Strukturen nachgezogen werden.
TW: Waren unsere Mitarbeiter am Anfang hauptsächlich junge Studienabsolventen, so haben wir sukzessive immer mehr mit Erfahrung ins Büro geholt.
MS: Theoretisch stehen wir jetzt gerade an einer Stelle, an der unser Team jederzeit wieder ein Projekt dieser Größe abwickeln könnte, ohne dass wir als Partner von diesem völlig vereinnahmt wären.
Wie geht ihr an Entwürfe heran? Habt ihr eine bestimmte Entwurfsmethode, und mit welchen Entwurfswerkzeugen arbeitet ihr?
TW: Unser Entwurfswerkzeug Nummer eins ist unser Gehirn.
MS: Hirn und Hände würde ich sagen. Ich glaube, wir entwerfen relativ klassisch, mit einem großen Hang zu unterschiedlichsten Techniken. Wir bauen exzessiv Modell, sei es im Maßstab 1:500, wo man einfach beginnen muss, um eine städtebauliche Lösung zu finden, oder im Maßstab 1:100, der oft weit über den Maßstab der Wettbewerbsabgabe hinausgeht. Wir sehen darin aber die Qualität, etwas entwickeln zu können und daraus ein Bild zu schöpfen, das auch eine Emotionalität generiert. Im Idealfall dient es auch später noch dazu, um mit dem Bauherrn über das Projekt sprechen zu können. Das analoge Arbeiten steht bei uns weit vor dem digitalen.
AS: Am Anfang geht es darum, in der intensiven Auseinandersetzung mit der Aufgabe eine Idee zu entwickeln bzw. ein Image zu generieren. Das passiert, wie Michael sagt, oft anhand von Modellen, aber auch anhand von Referenzprojekten, der Umgebung oder einfach Bildern, die man im Kopf hat. Diese gilt es dann, zu Papier zu bringen, sei es nun in Form einer Skizze oder direkt im CAD.
TW: Bei jedem Projekt geht es auch darum, für sich bestimmte Inhalte in den Vordergrund zu stellen. Während das bei manchen ganz klar der Städtebau ist, entwickeln wir andere Projekte eher von innen heraus. Ging es bei der Post am Rochusmarkt etwa ganz klar darum, ein Gebäude zu entwerfen, das sich perfekt ins Stadtgeflecht einfügt, so versuchen wir bei einem aktuellen Wettbewerb gerade, eine Schule auf einer Ebene zu entwickeln, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei nun um die beste Lösung aus städtebaulicher Sicht handelt oder nicht.
MS: Mindestens genauso entscheidend wie die Entwurfstechnik ist aber auch ein riesiges Repertoire an möglichen Lösungen und spannenden Themen, das man sich aneignet, wenn man, so wie wir, seit einigen Jahren intensiv Wettbewerbe macht.
AS: Oft ist es nur das kleine Detail irgendeines fünften Ranges, das man völlig aus dem Kontext herausgerissen ganz neu interpretiert und irgendwo ganz anderes wieder einsetzt.
Was zeichnet für euch den aktuellen Zeitgeist in der Architektur aus? Und inwiefern entsprecht ihr diesem bzw. inwiefern nicht?
MS: Für mich gibt es mittlerweile zwei Architekturwelten: Unsere jüngeren Mitarbeiter leben schon eher in der zweiten, nämlich in einer stark von Bildern geprägten Instagram-Welt, an der wir ja auch teilnehmen und von der wir uns ebenso inspirieren lassen. Es handelt sich dabei um eine virtuelle reale Welt, die neben der Welt des tatsächlich Gebauten koexistiert. Diese Welt der Bilder zeichnet sehr gut die aktuellen Tendenzen ab, wie Pastelltöne, geometrische Formen oder Details aus Messing. Wenn man diese Welt als Vergleichsmoment heranzieht, dann entsprechen wir dem Zeitgeist nicht wirklich. Gleichzeitig existieren in der Welt des tatsächlich Gebauten jedoch viele Referenzen, die für dasselbe stehen wie unsere Projekte. Rein formal, architektonisch kann ich den Zeitgeist in Wien gerade nicht greifen, da Architektur hier derzeit sehr pragmatisch generiert wird. Allerdings nimmt man etwa im Wohnbau schon gewisse Tendenzen wahr, wie partizipative Ansätze oder die thematische Besetzung von Wohnen. Auch der Städtebau wird im Sinne einer sozialen Nachhaltigkeit viel mehr mitgedacht. Hier versuchen wir ebenso, unseren Bei- trag zu leisten, was jedoch im Einklang mit dem Bauherrn funktionieren muss.
TW: Für zeitgeistig halte ich auch das eher Globale, der kompletten Vernetzung der Welt Geschuldete, das Architektur austauschbar macht. Österreichische Architekten bauen ebenso in Chi- na wie in Abu Dhabi und Amerika. Dabei entstehen Architekturschö pfungen, die in ihrem Design ortsunabhängig sind. Auf der anderen Seite rückt bei vielen Architekten eine Baukultur in den Mittelpunkt, die stark von regionalen Tendenzen geprägt ist. Unsere Architektur reagiert eher auf die Charakteristik einer regionalen Baukultur. Wir sind keine global agierenden Architekten in dem Sinne, dass wir weltweit an irgendwelchen Museumswettbewerben teilnehmen. Unsere Projekte sind stark geprägt von der jeweiligen regionalen Baukultur.
AS: Aus dem Westen kommend und schon seit einigen Jahren in der Architekturszene aktiv haben wir bereits mehrere regionale Bauströmungen mitgenommen. Vor 15 Jahren war die Baukultur in Österreich bzw. in Wien etwa noch eine ganz andere als in der Schweiz oder in Vorarlberg. Die Tendenz geht hier wieder ein bisschen zurück in die Baukultur, wie sie im Westen viel- leicht schon länger gelebt wird: nicht mehr ganz so plakativ, sondern etwas sensibler im Umgang mit dem Bestand.
Welche Entwicklung habt ihr während der letzten 10 bis 20 Jahre, in denen ihr den Architekturdiskurs nun verfolgt, wahrgenommen, und inwiefern hat euch diese beeinflusst?
TW: Im Gegensatz zu vielen Wiener Architekturbüros, die vor etwa 20 Jahren gegründet wurden, haben wir diese Welle der sehr expressiven und plakativen Architektur gar nicht mitgemacht. Während Michael und ich unsere ersten Erfahrungen in älteren und gestandenen Büros wie Dietrich | Untertrifaller und Jabornegg & Pálfy gemacht haben, wurde Andres, der bei Zaha Hadid gearbeitet hat, auf eine ganz andere Art damit konfrontiert. Wenn diese Architektur auch vielleicht eine Blase war, so steckte ein ganz anderer Intellekt dahinter. Ich merke, dass viele Büros sich bis heute damit auseinandersetzen müssen, wie viel von diesem alten Plakativen noch in ihren Projekten steckt, und wo sie sich heute befinden. Wir hatten eine andere Ausgangslage und können diese Geschichte daher eigentlich nicht erzählen. Generell würde ich sagen, dass sich regionale Baukulturen heute wieder etwas mehr herauskristallisieren. Während die Architektur der Nullerjahre sehr austauschbar war, konzentriert man sich jetzt wieder vielmehr darauf, wo ein Objekt steht.
MS: Ich sehe das genauso. Das globale Agieren der Architekten, das in seiner extremsten Form in eine ikonografische Stararchitektur von wenigen weltweit bekannten Protagonisten gemündet ist, scheint zu einer fast reaktionären Phase geführt zu haben, zurück zu einem lokalen Wissen und einer spezifischen Baukultur. Es kann auch mit den aufgekommenen Energie-Themen zu tun haben, dass die Fülle an Anforderungen heutzutage wie- der zu pragmatischeren, aber nicht zwingend banaleren Lösungen führt. Als Vertreter der Young Viennese Architects (Yo.V.A.) durften wir unlängst eine Reise nach Indonesien machen und haben auch dort die Erfahrung gemacht, dass bei vielen Architekten das Erhalten alten Wissens ganz weit oben steht, und man versucht, dieses wieder in den kontemporären Architekturalltag einzubinden. Also eigentlich die gleiche Tendenz, die auch hier zu beobachten ist.
AS: Die Nullerjahre waren in der Architektur ein bisschen so wie die Achtzigerjahre in der Popkultur. Computerprogramme wie Rhino und Maya waren quasi das Pendant zum Synthesizer und gaben der Architektur ganz neue Möglichkeiten, die bis zum Geht-nicht-mehr ausgereizt, vielleicht auch überreizt wurden. Jetzt merkt man, dass das vielleicht doch nicht der richtige Zugang war. Auch mich hat dieses Neue angezogen. Man hat dann vieles ausprobiert und schließt jetzt aber eigentlich wieder dort an, wo man vorher war.
Allerdings mit den neuen Entwurfswerkzeugen, die man sehr wohl in die heutige Architekturproduktion integriert hat?
MS: Ja, die Entwurfswerkzeuge sind geblieben. Man hat inzwischen gemerkt, dass man diese auch für durchwegs adäquatere Lösungen anwenden kann. Es gibt inzwischen auch die Tendenz, dass die Bauwirtschaft am liebsten von diesen profitieren möchte, indem Entwürfe, etwa für eine Fassadengestaltung, digital erfasst werden und für Produktionszwecke genutzt werden können. Die digitalen Entwurfswerkzeuge werden inzwischen integraler verwendet.