Interview

"Jeder Baustoff hat seine Stärken"

Nachhaltigkeit
15.02.2024

Werner Sobek gehört zu den weltweit renommiertesten Architekten und Ingenieuren. Doch den Entwurf von Bauwerken überlässt der gebürtige Schwabe und Wahlwiener mittlerweile weitgehend seinen Nachfolgern. Ihn beschäftigt ein anderes Thema: die Ökologisierung der Bauwirtschaft.
Architekt Werner Sobek fordert die Ökologisierung des Bauwesens
Architekt Werner Sobek fordert die Ökologisierung des Bauwesens. 

Herr Sobek, Sie leben seit kurzem in Wien. Wie gefällt es Ihnen?
Werner Sobek:
Danke, ausgezeichnet. Meine Frau, unsere Tochter und ich haben uns gut eingelebt. Wir lieben die Stadt. Und mittlerweile sagen unsere Wiener Freunde zum Abschied auch schon „servus“ oder „baba“ anstatt „Auf Wiedersehen“.

Das ist ein echter Erfolg. Ich gratuliere. Aber lassen Sie uns über ein Thema sprechen, dass Ihnen noch mehr am Herzen liegt: die Ökologisierung des Bauwesens. Wie groß ist der Beitrag der Bauwirtschaft an den globalen CO2-Emissionen?
Sobek: Diese Frage habe ich mir vor einigen Jahren auch gestellt. Ich habe das dann akribisch durchgerechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es mehr als 50 Prozent sind. In anderen Worten: Die Bauwirtschaft ist der mit Abstand größte Produzent von Treibhausgasen.

Bislang war man immer von 38 Prozent ausgegangen – natürlich auch viel. Woher stammt die Diskrepanz?
Sobek:
In den bisherigen Berechnungen haben zwei Elemente gefehlt. Das eine war die Infrastruktur – also Brücken, Straßen oder auch Rohrleitungen. Die hat man nicht vollständig inkludiert. Der andere Fehler bestand darin, dass nur Emissionen in der Herstellungs- und  Betriebsphase der Gebäude berücksichtigt wurden – nicht aber die jene, die beim Transport oder dem Bau des Gebäudes selbst entstehen. Und auch nicht jene, die im Zuge eines Umbaus bis hin zum Rückbau erzeugt werden…

… also die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus.
Sobek:
Ich spreche lieber von der „Umlaufzeit“. Ein Gebäude lebt nicht und es zeigt auch kein zyklisches Verhalten.

Wenn man ihre Zahlen heranzieht, liegt ein Schluss nahe: Das Erreichen der Klimaziele ist ohne Ökologisierung der Bauwirtschaft nicht möglich. Wie kann das gelingen? Sollten wir in Zukunft nur mehr mit Lehm und Holz bauen?
Sobek:
Ich halte nichts davon, bestimmte Baustoffe zu verteufeln. Es gibt keine guten und keine bösen Baustoffe. Es gibt nur Baustoffe, die für den konkreten Einsatzzweck besser oder eben weniger gut geeignet sind als andere. Anders gesagt: Es geht darum, für den Einzelfall jeweils den besten Baustoff zu wählen.

Was sind die Kriterien aus ökologischer Sicht?
Sobek
: Ich halte drei Kriterien für besonders wichtig. Erstens: die Verfügbarkeit. Wenn der Baustoff regional nicht verfügbar ist, sollte man ihn nach Möglichkeit auch nicht verwenden. Es ist zum Beispiel nicht sinnstiftend, mit Lehm bauen zu wollen, wenn es vor Ort keinen Lehm gibt. Lehm über große Entfernungen anzuliefern bedeutet, seine ökologische Qualität mit hohen transportbedingten Emissionen zu belasten. Zweitens: Die mit der Herstellung des Baustoffs erzeugten Emissionen. Drittens: Die Menge an Abfällen, die bei der Verwendung und Herstellung des Baustoffs entstehen.

Die österreichische Bundesregierung möchte die Verwendung von Holz bei öffentlichen Bauvorhaben forcieren…
Sobek:
…Holz ist ein großartiges Material. Wir müssen es noch viel mehr und vielfältiger einsetzen. Aber wir müssen auch hier präzise argumentieren. Ein gefällter Baum bindet kein CO2 mehr, und der nachgepflanzte Setzling hat zunächst nur eine geringe CO2-Bindungskapazität. In der Summe sinkt also beim Fällen eines Baumes die CO2-Bindung aus der Atmosphäre. Dieser Effekt ist klein, wenn man nur vereinzelt Bäume aus dem Wald entnimmt, also bei einer nachhaltigen Forstwirtschaft, wie sie bei uns üblich ist. Er ist groß, wenn man – wie dies immer wieder in anderen Ländern anzutreffen ist – alle Bäume eines Waldes gleichzeitig fällt. Wir müssen also dafür sorgen, dass Forstwirtschaft weltweit in verantworteter Weise geschieht.

Richtiger Umgang mit dem Baustoff Holz

Warum ist das so wichtig?
Sobek: Die CO2-Bindung durch die Wälder ist extrem wichtig, weil sie, nach den Ozeanen, die wichtigste natürliche Hilfe bei der Reduktion des vom Menschen verursachten Kohlendioxidgehaltes in der Atmosphäre ist. Die Bindungsleistung unserer Wälder dürfen wir nicht verlieren. Sie ist mit technischen Mitteln auf absehbare Zeit nicht leistbar. Ein zweiter Punkt ist wichtig: Wir müssen die Neben- und Abfallprodukte bei der Überführung eines Baumes in Holzprodukte weiter reduzieren. Und wir sollten Holz nicht mehr thermisch verwerten, da wir sonst den im Holz gebunden Kohlenstoffes wieder in Form von CO2 in die Atmosphäre geben. Was glauben Sie: Wieviel Prozent eines Baums finden sich nach der Verarbeitung zu Schnittholz und Holzprodukten, beispielsweise Plattenwerkstoffen, in einem Gebäude wieder?

Wenn Sie schon so fragen: nur die Hälfte?
Sobek:
Knapp 30 Prozent. Ein Baumstamm ist im Querschnitt rund und im Längsschnitt konisch. Wenn man daraus Balken oder Bretter sägen möchte, die rechteckig und geradlinig sind, entsteht viel Verschnitt. Diesen kann man für die Papier- und Kartonproduktion, für die Herstellung von Holzwerkstoffen und anderem verwenden. Das ist gut so. Was dann noch übrig bleibt, sollten wir konsequent in biologische Kreisläufe zurückführen.

Also doch lieber Beton als Holz?
Sobek:
Aber nein, das habe ich nicht gesagt. Jeder Baustoff hat seine Stärken und Schwächen. Holz hat ökologische Vorzüge – wenn man bestimmte Voraussetzungen erfüllt: eine nachhaltige Forstwirtschaft, kurze Transportwege und den Einsatz für den richtigen Zweck. Mit Holz kann man vieles und sollte man viel mehr bauen. Letztlich haben wir aber gar nicht so viel Holz wie wir brauchen.

Es geht also kein Weg am Beton vorbei?  
Sobek:
Vielfach ja. Wir haben aber auch noch viele weitere Baustoffe wie Naturstein, Lehm, Stahl, Aluminium usw. Wir müssen diese Baustoffe eigenschaftoptimal und recyclinggerecht einsetzen, und wir müssen dabei auch stets auf die Emissionen achten. Wenn man beispielsweise ein Fundament im Grundwasser errichten muss, macht es wenig Sinn, dafür Stampflehm oder Holz zu verwenden. Da ist Beton unschlagbar. Auch wenn es um Schalldämmung in bestimmten Frequenzbereichen geht. Oder um Resistenz gegen Insektenbefall. Und vieles, vieles mehr. Wenn man dagegen eine hohe hygrische und/oder thermische Qualität von Innenwänden fordert, sind Holz und Lehm unschlagbar. Also: Wir müssen die Vielfalt der uns zur Verfügung stehenden Baustoffe nutzen. Generell gilt: Man sollte alle diese Baustoffe so sparsam wie nur irgend möglich verwenden.

Wie groß ist das Einsparungspotential?
Sobek:
Da sehe ich viel Luft nach oben. Es gibt eine Untersuchung aus England. Dort hat man Hochhausbauten in London hinsichtlich ihres Materialverbrauchs untersucht. Das Ergebnis: Es wurden 30 Prozent mehr Material verwendet als bei Erfüllung aller gesetzlichen Normen notwendig gewesen wäre. Man hat dann die Ingenieure gefragt, warum das so ist. Ihre Antwort: Unsere Honorare sind so niedrig, dass wir für Optimierungen keine Zeit haben. Ähnliches habe ich als Prüfingenieur oftmals auch von den Aufstellern der statischen Berechnungen in Deutschland gehört. Während also die Bauherren glauben, Geld zu sparen, wenn sie die Honorare der Ingenieure drücken, ist das Gegenteil der Fall. Natürlich arbeiten nicht alle Beteiligten mit dem Antrieb zur sparsamen Verwendung der Baustoffe. Auf den Baustellen erlebt man deshalb leider oft genug, dass lieber mehr „billiger“ Baustoff eingesetzt wird, wenn man dafür „teure“ Arbeitszeit einsparen kann. Ich bin aber überzeugt, das sich dies notgedrungen ändern wird.

Was ist aus Ihrer Sicht die Lösung? Wie kann man die Ökologisierung des Bauwesens vorantreiben?
Sobek:
Generell gilt: Der Schutz der Natur und damit auch die Sicherung der Lebensgrundlagen für uns Menschen ist mit dem Prinzip der Maximierung der Gewinne aus unseren wirtschaftlichen Handlungen unvereinbar. Auf der Basis dieser Erkenntnis müssen wir das Bauschaffen völlig neu aufstellen…

…aber wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?
Sobek:
Auf der technischen Ebene sehe ich dabei folgende Ansätze, die rasch Wirkung zeigen können: Wir müssen das materialsparende, das recyclinggerechte und das abfallarme Bauen fördern und wir müssen die Freisetzung von CO2 reduzieren, was nur durch eine vernünftige Bepreisung gelingen kann. Ich bin überzeugt, dass es dadurch innerhalb der nächsten fünf Jahre zu Folgendem kommen wird: Der Bauherr muss im Zuge eines Bauantrages den Materialverbrauch und die Rezyklierbarkeit des geplanten Bauwerks aufzeigen und er muss einen Emissionsplan einreichen – egal ob für ein Einfamilienhaus oder eine Eisenbahnbrücke. Für die Emissionen, die bei der Herstellung der Baustoffe und der Bauteile sowie bei den Bauprozessen vor Ort entstehen, wird ein realistischer Preis veranschlagt: Je höher die Emissionen, desto höher die Kosten. Auf diese Weise kommen wir sehr zügig zum emissionsminimalen Bauen als Voraussetzung für eine Net-Zero-Weltgesellschaft.