Fenster+Türen

Fokus Tageslicht

Tageslicht
10.05.2021

Seit vielen Jahrtausenden wird der Kraft der Sonne gehuldigt – während die besondere Bedeutung von Tageslicht in unserer digitalen Hemisphäre beinahe in Vergessenheit geraten ist. Nun wird in der österreichischen Baubranche das Potenzial natürlicher Lichtressourcen wieder neu entdeckt.

Traurig aber wahr: Keine andere Generation vor uns verbrachte so viel Zeit in geschlossenen Räumen - die pandemische Grenzerfahrung im Homeoffice trug ihr Übriges dazu bei. Hierdurch wurden nicht nur neue Debatten rund um die Gestaltungsmöglichkeiten von Innenräumen neu entfacht, sondern gleichzeitig auch die Digitalisierung exponentiell vorangetrieben. In der Architektur bewirkte jene Entwicklung nicht nur eine zunehmende Abkehr von altbewährten Entwurfsmodellen – auch die Nutzung von natürlichen Ressourcen wie dem Tageslicht trat dabei zunehmend in den Hintergrund. Keine Frage, intelligente Lichtsteuerungssysteme, wie diese etwa bei den innovativen Smarthome-Technologien zur Anwendung kommen, verfügen über ein enormes Zukunftspotential - ein Allheilmittel sind sie deswegen jedoch noch lange nicht. Erfreulicherweise ist in der hiesigen Architekturszene wieder eine zunehmende Hinwendung zu einer nachhaltigen Tageslichtplanung zu beobachten. Grund genug, einen Blick über den digitalen Tellerrand zu wagen und die vielfältigen Anwendungsgebiete von Tageslicht aufzuzeigen.

Die klare Linienführung, die minimalistische Formensprache, weite Öffnungen sowie natürliches Licht lassen Innen- und Außenraum ineinanderfließen.

Faszination Sonnenlicht

Die Beziehung zwischen Sonne und Erde fasziniert uns Menschen schon seit vielen tausend Jahren. Bis heute wird etwa in Asien großen Wert daraufgelegt, die Gebäude nach der Sonne auszurichten. Demgegenüber wurde in unserer abendländischen Kultur lange Zeit vielmehr der Dunkelheit Aufmerksamkeit geschenkt – eine Anschauung, welche sicherlich aus den zehrenden Erfahrungen mit den langen, kalten und vor allem lichtarmen Wintern resultierte. Als im siebten Jahrhundert nach Christus erstmals Glasfenster hergestellt werden konnten, fand auch in Europa eine zunehmende Hinwendung zum Licht statt. Es entstanden die ersten Hallenkirchen und die Strahlen der Sonne wurden zum Sinnbild des Spiritus Sanctus. Viele Jahrhunderte später gipfelte die Faszination für das Licht in die Moderne, deren Gebäude mit freien Grundrissen und großem Fensterflächenanteil ein völlig neues Raumgefühl entstehen ließen. Aus jenen transparenten Kuben erwuchs wiederum der umstrittene Stil des Dekonstruktivismus, welcher eine radikale Entmaterialisierung der Architektur bewirkte und teilweise vollständig transluzente Gebilde hervorbrachte. Jene Pervertierung der modernen Baukultur war nur von kurzer Dauer und weckte erstmals Zweifel am Sinn und Zweck von gläsernen Architekturen. So stellte sich einmal mehr die Frage: Wie viel Licht braucht der Mensch?

Light-Life-Balance

Im Zusammenspiel aus natürlichem Licht, weißer Putzarchitektur, warmen Holz und Pflanzengrün entsteht ein wahrer Wohlfühlort.

Egal ob Morgen- oder Nachtmensch: Wir alle verfügen über eine biologische Uhr, welche sich in erster Linie am Tageslicht orientiert. Das Licht der Sonne wirkt sich dabei nicht nur positiv auf unsere Stimmung aus, durch dessen hohen Blauanteil fördert es die Leistungsbereitschaft und bewirkt gleichzeitig die Ausschüttung des Hormons Melatonin, welches in der Nacht zu einem ruhigen Schlaf beiträgt. Obwohl also natürliches Licht zu den wichtigsten Voraussetzungen für unser Leben gezählt werden kann, scheint es in unseren modernen Lebensrealitäten zunehmend aus dem Alltag verdrängt worden zu sein. Über viele Jahrzehnte hinweg wurden sämtliche Innenräume mit Lampen und dimmbaren Leuchten ausgestattet – mit fatalen Folgen für Mensch und Umwelt: Mehrere Studien besagen, dass mehr als die Hälfte aller Europäer Zuhause das Licht einschalten muss – und das am helllichten Tag. Die Digitalisierungswelle des globalen Zeitalters hat jene Entwicklung noch nachhaltig verstärkt, wobei die technischen Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Beleuchtung immer weiter ausgereift und überdies für jedermann erschwinglich wurden. Ein anderes Extrem stellen Gebäude mit großem Fensteranteil dar, wobei stets mit einer Überbelichtung und einer Blendung zu rechnen ist – letzteres kann sich wiederum nachteilig auf das menschliche Auge auswirken. „Hauptsache hell“ ist also auch keine Lösung - hier gilt es die richtige Balance aus Lichtmenge- und Richtung zu finden.

Die Oberlichter der Volksschule Absam in Tirol sind entweder nach Norden oder nach Süden ausgerichtet, so entsteht eine ineinander gestaffelte Oberlichtstruktur.

Die Kunst des Lichtes

Dass es auch anders gehen kann, zeigt ein Blick nach Sri Lanka, dem ehemaligen Ceylon. Auch viele Jahrzehnte nach der Kolonialherrschaft ist der Einfluss der Briten dort noch heute deutlich spürbar. Dies spiegelt sich nicht nur in Kultur und Gesellschaft, sondern ebenfalls in der Architektur wider. Von jener postkolonialen Moderne zeugt auch das „Kodikara House“ von Lalith Gundasa, welches sich in Sri Jayawardenpura befindet und ein Beispiel dafür ist, dass es durchaus möglich ist, Tradition und Moderne miteinander zu vereinen. Darüber hinaus zeigt sich, dass Gundasa die Kunst des Lichts in Perfektion beherrscht. So ist es ihm gelungen, trotz einer äußerst beschränkten Grundstücksfläche unterschiedlichste Tageslichtsituationen auf mehreren Geschoßebenen zu kreieren. Unter dem Einsatz von Lichthöfen wird die Illusion eines schier endlosen Raumes erweckt, denn die Singhalesen wissen: Lichtstrahlen sind linear – umso klarer die Gebäudeform, umso stärker ist auch die Wirkung des Lichts. Gleichzeitig werden durch die Reflexionen mit den weiß verputzten Oberflächen und dem kontrastierenden Holz die Grenzen zwischen innen und außen verwischt. Jene Stilmittel dienen jedoch nicht nur einer ansprechenden Optik, sondern sollen überdies einen bewusstseinserweiternden Effekt haben. Jener Aspekt steht im engen Zusammenhang mit der Lehre des Buddhismus, wobei stets das Credo verfolgt wird, nicht nur den Blick, sondern gleichsam die Gedanken zu entgrenzen.

Blick in die Alpen

In Form von Lichtkegeln werden die Sonnenstrahlen in das Dachgeschoß der Volksschule Absam in Tirol geholt.

Auch in Österreich finden sich eine Reihe von Bauten, welche nicht nur wegen ihrer räumlichen Qualitäten, sondern ebenfalls aufgrund einer intelligenten Tageslichtnutzung überzeugen. Ein besonders beispielhaftes Gebäude ist etwa die Volksschule Absam, welche von Schenker Salvi Weber im Innsbrucker Land realisiert wurde. Insbesondere der Dachgeschoßausbau, wobei das Sonnenlicht in Form von Lichtkegeln durch das Walmdach geführt wird, zeugt von einer überragenden visuellen Behaglichkeit. Es entsteht eine ineinandergesteckte Oberlichtstruktur, welche unterschiedliche Lichtsituationen und zugleich wunderbare Bezüge zum Außenraum schafft. Auch das von Smartvoll Architekten entwickelte Loft in einer ehemaligen Panzerhalle in Salzburg ist ein wahrer Lichtfänger. Um die Helligkeit überall im gleichen Maße zu gewährleisten, verzichtete Smartvoll auf die sonst üblichen Galerien und hielt das obere Fensterband vollständig frei. Um die gesamte Fläche ausreichend mit Licht versorgen zu können, wurde das Loft als „Open Space“ mit unterschiedlichen räumlichen Situationen und Lichteinfällen konzipiert, welche durch frei schwingende Treppenaufgänge gegliedert werden. Hierin zeichnet sich nicht nur das gestalterische Können der österreichischen Architekten ab, sondern gleichsam der sensible Umgang mit den Baumaterialien und die Fähigkeit natürliche Ressourcen effizient zu nutzen.

Über die raumgreifende Treppenskulptur erlebt man den Lichtraum als ein spannungsgeladenes räumliches Erlebnis.

Der goldene Weg

Es gilt wie so oft: Der goldene Weg liegt in der Mitte. In diesem Sinne haben die vorigen Beispiele eindrücklich gezeigt, dass es keineswegs vollverglaste Fassaden braucht, um einen Raum adäquat mit Tageslicht zu versorgen. Selbst kleinste Fensteröffnungen können bei einer wohlüberlegten Positionierung einen Raum taghell werden lassen und dabei die Raumwirkung nachhaltig verändern. Außerdem zeigte sich, dass die Tageslichtplanung maßgeblich über die Qualität eines jeden Gebäudes entscheidet und daher bereits während der frühen Entwurfsphasen Berücksichtigung finden sollte – dasselbe gilt vor energetischen Gesichtspunkten. Vor Aspekten des Umweltschutzes hat sich das architektonische Leitbild der österreichischen Baubranche bereits nachhaltig verändert, wonach auch die Möglichkeiten im Umgang mit Tageslicht immer weiter verfeinert werden. Sofern also die Potenziale rund um die Anwendungsgebiete von natürlichen Lichtquellen weiter ausgeschöpft werden, ist die Chance groß, dass die österreichischen Planer*innen in Sachen Tageslichtplanung auch in Zukunft eine Vorreiterrolle einnehmen und auf diese Weise den Weg zu einer nachhaltigen und energieeffizienten Architektur ebnen werden.

Durch die freischwingenden Treppenläufe wird der „Open Space“ des Lofts in verschiedene Raumsituationen gegliedert.