Bodenverbrauch

Heißt es bald „Bauer sucht Feld“?

Stadtplanung
25.11.2020

Von: Ulrike Schmidbauer
Der Bodenverbrauch ist ein sträflich unterschätztes Problemfeld mit vielen Facetten. Die Versiegelung von landwirtschaftlich genutzten Böden schreitet munter voran.

Eigentlich ging die Bodenverbrauchskurve in Österreich in den letzten Jahren nach unten, doch aktuell ist sie wieder im Begriff anzusteigen. Es gibt kein zweites Land, das unsere Lebensgrundlage Boden so rasch verbaut wie Österreich. So wurden 2019 täglich dreizehn Hek­tar wertvoller Wiesen und Äcker für Straßen, Siedlungen, Shoppingcenter und Industriehallen verbaut. Das ist das Fünffache des Zielwertes von 2,5 Hektar pro Tag, erstmals festgeschrieben in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Jahr 2002 und wieder verankert im aktuellen Regierungsprogramm. Österreich verliert dadurch jährlich 0,5 Prozent seiner Agrarflächen, das bedeutet in 200 Jahren gäbe es bei Fortschreiten dieser Entwicklung so gut wie keine Agrarflächen mehr in Österreich. Zum Vergleich: Deutschland und die Schweiz verbauen je 0,25 Prozent und Tschechien 0,17 Prozent ihrer Agrarflächen. Der Bodenverbrauch hierzulande wächst dreimal so schnell wie die Bevölkerung. Jährlich werden im Ausmaß von rund 44 Qua­dratkilometern Bodenflächen für Wohnen, Gewerbe, Industrie und Freizeit in Anspruch genommen und somit der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Dieser Produktionsverlust entspricht dem jährlichen Nahrungsbedarf von etwa 20.000 Personen. Dadurch wird Österreich zunehmend von Importen abhängig und der Bestand an Arbeitsplätzen rund um die Landwirtschaft gefährdet. Landwirtschaftlich bewirtschaftbarer Boden ist aber essenziell für die Lebensmittelproduktion, das hat auch die Covid-Krise gezeigt. 1950 standen in Österreich noch 2.400 Quadratmeter an Ackerfläche pro Einwohner zur Verfügung – heute sind es nur noch 1.600 Quadratmeter. Wenn wir so weitermachen, wird es bald nicht mehr heißen „Bauer sucht Frau“, sondern „Bauer sucht Feld“. Von Beton kann man nicht abbeißen, er verstärkt nur den Treibhauseffekt. Versiegelter Boden erhöht darüber hinaus auch die Hochwassergefahr. Ein Kubikmeter unversiegelter Boden kann etwa 200 bis 400 Liter Wasser speichern. Wenn jeden Tag nur sieben Hektar versiegelt werden, ergeben sich daraus vierzehn Millionen Liter Wasser täglich, die nicht versickern können.

An den Grenzen der Legalität

Über die Bewilligung von Bauprojekten auf der grünen Wiese entscheiden in Österreich weder Bund noch Länder, sondern die Bürgermeister. Von der Ansiedelung neuer Einwohner und neuer Betriebe profitiert die Gemeindekassa. Die Einnahmen setzen sich aus den Ertragssteueranteilen, der Grundsteuer sowie der Kommunalsteuer zusammen – letztere ist landesweit die zweitwichtigste Einnahmequelle der Gemeinden und beträgt drei Prozent der Lohnsumme. Bei einem großen Betrieb kommt da viel Geld für eine kleine Gemeinde zusammen. Bürgermeister kommen daher oft in Versuchung, sich an den Grenzen der Legalität oder darüber hinaus zu bewegen, wenn sich beispielsweise Gewerbebetriebe, die für Wohlstand und Arbeitsplätze sorgen, in der Gemeinde ansiedeln oder expandieren wollen. Problematisch wird das Ganze vor allem dann, wenn dies nur auf Flächen möglich ist, deren aktuelle Widmung die gewerbliche Nutzung oder Bebauung nicht zulässt. Legt sich der Bürgermeister bei der Umwidmung quer, so macht es eben eine Nachbargemeinde, und bei der nächsten Wahl schaut es für den Bürgermeister dann oft nicht gut aus. „Es müsste daher auf gesetzlicher und steuerlicher Ebene etwas passieren. Eine überregionale Raumordnung, die die Entwicklung des Bodenverbrauchs berücksichtigt und finanzielle Anreize schafft, wäre eine Option, damit Bürgermeister keine Angst um ihre Gemeindekassa und ihre Popularität haben müssen, wenn sie sich gegen weiteren Bodenverbrauch aussprechen. Beispielsweise könnten Gemeinden Geld bekommen, wenn sie Flächen bewahren und Bauträger Förderungen erhalten, wenn sie Leerstände nutzen. Der Bau auf der grünen Wiese sollte nicht die billigste Lösung sein“, erklärt Michael Bernhard, Nationalratsabgeordneter der Neos.

Brachflächennutzung

In den letzten fünfzig Jahren haben in Österreich zahlreiche strukturelle Veränderungen in Gewerbegebieten zum Entstehen von Brachflächen geführt. Das Phänomen der Betriebsstilllegung hat sich in nahezu allen Branchen niedergeschlagen. Ganze Industriezweige sind verschwunden, Unternehmen wurden fusioniert und höhere Produktionskapazitäten auf größeren Flächen eingerichtet. Die Rückführung dieser bereits vormals genutzten Flächen in den Immobilienkreislauf erschließt ein bedeutendes Potenzial. Sie erspart die Bebauung von Flächen an anderer Stelle und dient der Betriebsansiedlung in der Region sowie der Entwicklung bereits bestehender Betriebe. Ein Großteil dieser Brachflächen befindet sich in gut erschlossenen Lagen. Laut Umweltbundesamt beträgt die verbaute ungenutzte Fläche an Indus­triebrachen, inklusive Gewerbeflächen und leerstehender Häuser, 40.000 Hektar, eine größere Fläche als die Stadt Wien aufzuweisen hat. Um die jährliche Versiegelung einzudämmen und Brachflächen zu revitalisieren, ist ein Maßnahmenbündel erforderlich. Helfen könnte ein Leerstandsmanagement und eine Leerstandsbehebung sowie eine Leerstandsdatenbank. Der jährliche Nettobodenverbrauch sollte laut Vereinbarung auf EU-Ebene bis 2050 den Wert Null erreichen.

Umbau spart Ressourcen

Marco Sillaber, Immobilienentwickler aus Mondsee, hat sich auf die Revitalisierung solcher Brachflächen in Salzburg und Umgebung spezialisiert. Nachdem er gemeinsam mit seiner Entwicklergruppe dem Gußwerk und der Panzerhalle erfolgreich neues Leben einhauchte, wird nun um mehr als 50 Millionen Euro die dritte Brache in Bergheim revitalisiert. Hier war bis vor wenigen Jahren noch der Handelsriese Universal Versand auf einer Nutzfläche von 43.000 Quadratmetern untergebracht. Durch den Umbau des Komplexes konnten wichtige Ressourcen eingespart werden. In einem solchen Projekt stecken bis zu 65.000 Kubikmeter Beton. Würde man die gesamte Struktur abreißen und neu aufbauen, müsste man für den Abtransport der Abfälle bis zum nächsten Recyclinghof einen LKW zweimal um die Erde schicken. Das entspricht Emissionen von rund fünfzehn Tonnen CO₂. Würde man den Komplex in Bergheim neu errichten, müssten allein für die Betonherstellung 204.000 Bäume gepflanzt werden, um die bei der Produktion entstandene Menge an CO₂ in einem Jahr zu absorbieren. Durch die Revitalisierung der Universal Versand-Brache konnte ein halbes Prozent des jährlichen bundesweiten Bauabfalls eingespart werden. „Als Architekt bekommt man selten die Möglichkeit, so enorme Flächen zu gestalten. Hier gibt es riesige Kapazitäten an Raum, Flächen und Ebenen, die viele Blickbeziehungen ermöglichen. Man benötigt aber viel Phantasie, Durchhaltevermögen und eine gute Grundidee, um solche Brachen in Vorbildprojekte zu verwandeln. Um auch die Tageslichtsituation zu optimieren, wurde das Projekt von einer fundierten Lichtanalyse begleitet. Außerdem ist es wichtig, einen Türöffner zu Politik und Behörden zu haben, da die ursprünglichen Widmungen oft eine Umorientierung nicht zulassen. Denn Projekte scheitern meist an der Errichtung zusätzlicher Parkplätze“, erklärt Philipp Buxbaum von smartvoll Architekten, die von Marco Sillaber mit dem architektonischen Konzept zu Adaptierung und Neunutzung des Bestands beauftragt wurden.

Auch Abfall verbraucht Boden

Überall dort, wo ein Neubau entsteht, aus-, umgebaut oder saniert wird, fallen unweigerlich auch Baustellenabfälle an, die fachgerecht entsorgt werden müssen. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes beträgt der jährliche Abfall an Baurestmassen rund zehn Millionen Tonnen, an Bodenaushub fallen jährlich in etwa 33 Millionen Tonnen an. Beide zusammen stellen rund 57 Prozent des gesamten österreichischen Abfallaufkommens dar. Die Menge dieser Abfälle ist von 2009 bis 2017 um 70 Prozent gestiegen. Im Baustoffrecyclingverbund gibt es mittlerweile 110 Recyclinganlagen, Tendenz steigend. „Zwar werden in Österreich knapp 88 Prozent aller mineralischen Bauabfälle aus dem Rückbau wiederverwendet, meist aber nur in minderwertiger Form. Der Schutt abgerissener Häuser wird vorwiegend aus ökologischen und ökonomischen Gründen für Trageschichten in Straßen, Parkplätzen, Gehwegen, Radwegen und als technisches Schüttmaterial verwendet – also downgecycelt. Allein der Aushub benötigt täglich zehn Fußballfelder an Deponiefläche, und nur ein Drittel davon kann wiederverwertet werden. Momentan gibt es 600 Deponien für den Aushub, die sehr leicht genehmigt werden können“, erläutert ­Martin Car, Geschäftsführer des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbandes.

Next great Transition

Schaffen wir in den nächsten zehn Jahren keine Reduktion der Treibhausgasemissionen und verfehlen die Klimaziele, drohen Österreich 8,7 Milliarden Euro an Strafzahlungen. Anstatt diese hohen Zahlungen zu riskieren, sollten wir besser jetzt in unsere Zukunft investieren. Das Raumordnungsgesetz hat somit eine Schlüsselstellung bei der Umsetzung der angestrebten Klimaneu­tralität bis 2040, denn jeder neue Bau auf der grünen Wiese hat eine Auswirkung auf die globale CO₂-Bilanz. Menschen brauchen den Boden zum Leben wie die Luft zum Atmen. Der Boden ist die Haut der Erde, und weder Erde noch Mensch sind ohne Haut überlebensfähig. Wir brauchen daher einen Wandel hin zu einem intelligenteren Wirtschaftsdenken. Der Wohlstand einer Volkswirtschaft ist nicht nur an der Kennzahl des Bruttoinlandsprodukts, sondern auch am Erhalt unseres Naturkapitals wie Boden, Luft oder Wasser zu beurteilen. „Um diesen Wandel anzunehmen, müssen die Menschen zumindest die Grundlagen des zu lösenden Problems verstanden haben, denn ohne Verständnis wäre jede ‚Regel‘ nur mit autokratischen Methoden zu exekutieren. Wir befinden uns jetzt in der ‚Next Great Transition‘, und dieser Wandel muss in den Köpfen passieren. Im Kern geht es dabei um den Umgang mit den physischen Grenzen des Planeten, es geht um Nachhaltigkeit, Kooperation und Miteinander anstatt Au sbeutung, Konkurrenz und Krieg“, schildert Wolfgang Pekny, Geschäftsführer der Plattform Footprint. Es ist höchste Zeit für einen Richtungswechsel, eine grundlegende Wende. Es bräuchte definitiv mehr solcher Initiativen wie jene in Bergheim, mehr vergleichbares Engagement auf Bauherrenseite und mehr architektonische Konzepte, denen nicht der eigene Fußabdruck in der Hochglanzmedienlandschaft und Biografie mittels spektakulärer Neubauten wichtig ist, sondern die Heilung unserer misshandelten Umwelt, die Schonung der Ressourcen und ein bewusster und achtsamer Umgang mit unserem „Raumschiff Erde“ – wie es der engagierte Aktivist Wolfgang Pekny etwas plakativ, aber umso eindringlicher formuliert.

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