Visionäre Ökodörfer

Baustoff
27.08.2014

Alternative Baustoffe Zukunftsweisende Pionierprojekte entstehen oft außerhalb des öffentlichen Fördersystems. Dies beweisen beispielsweise das Sprungbrett Aspern und der Garten der Generationen in Herzogenburg, zwei Brennpunkte des architektonischen, baubiologischen und gesellschaftlichen Experiments.
Das Kettenlinienhaus am Sprungbrett Aspern war der erste Niedrigenergie-Experimentalbau aus Strohballen, Lehmputz und Recyclingmaterialien.

Fast könnte man es vor der Kulisse der in rasantem Tempo heranwachsenden Neubauten übersehen, das sogenannte Sprungbrett Aspern in Wien. Die Initiative der Organisation United Creations stellt eine Art spielerisches Ökodorf dar, in dem prototypisch innovative Bau- und Lebensformen erforscht werden. In den vergangenen drei Jahren entstanden auf der 4.500 Quadratmeter großen Zwischennutzungsfläche Projekte wie ein Biomeiler, eine Jurte, ein Hanfbeton-Mock-up oder eine Trockentrenntoilette. Das erste und bisher größte experimentelle Bauprojekt ist ein Haus aus Strohballen und Lehm, das aufgrund seiner Form den Namen Kettenlinienhaus erhielt. Mit ihm wollte man unter Beweis stellen, dass es möglich ist, durch einfaches und gemeinsames Selberbauen ein sehr kostengünstiges Gebäude zu errichten, das in Hinblick auf Energieverbrauch und Behaglichkeit die Standards eines zeitgemäßen Niedrigenergiehauses erreicht und zugleich schon während des Bauprozesses umweltschonend und ressourceneffizient ist. Ein Experiment, das geglückt ist. Das dabei entwickelte Know-how brachten die Strohballenbauer Paul Adrian Schulz und Gerhard Scherbaum mit ihrem Verein Stroh2gether gleich bei einem Folgeprojekt ein, dem Gemeinschaftshaus für den Verein Garten der Generationen im niederösterreichischen Herzogenburg. In den vergangenen Jahren erwarb dieser neben landwirtschaftlichen Flächen schrittweise 1,2 Hektar Bauland. Dort will man nun ein Wohnprojekt umsetzen, das bezüglich generationenübergreifendes Wohnen, Selbst- und Mitbestimmung, minimaler Fußabdruck und Permakultur ein Modellprojekt für gemeinschaftliches und ressourcenschonendes Wohnen ist. Finanziert werden soll dieses über einen genossenschaftlichen Vermögenspool.

Durch eine Studentin wurde auch Andrea Rieger-Jandl, Professorin am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, auf das Projekt aufmerksam. Sie veranstaltete in Zusammenarbeit mit Stroh2gether im Sommersemester 2014 ein Entwerfen mit dem Titel „Stroh und Lehm. Alternative Wohnkonzepte in Herzogenburg“. Architektur & Bau FORUM hat die Lehmbauexpertin dazu befragt, wie tragfähig Ansätze wie dieser für die Zukunft sind.

Könnte es schon bald größere Wohnbauprojekte geben, die mit alternativen Baustoffen gebaut sind?
Ein Projekt wie der Garten der Generationen kann natürlich ein Initiativprojekt dafür sein. Die beste Möglichkeit, von weniger gängigen Materialien zu überzeugen, ist zu demonstrieren, dass es funktioniert. Zunächst ist man in Herzogenburg neben den alternativen Baustoffen auch gegenüber der Gruppe skeptisch. Passanten, die am Gemeinschaftsgebäude vorbeigegangen sind, sagten: „Jetzt bauen s’ bei uns auch schon wie in Afrika.“ Dabei hat Lehmbau in Niederösterreich eine ganz lange Tradition, die nur über die vergangenen hundert Jahre mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Man nimmt an, dass beispielsweise im Weinviertel auch heute noch ein Viertel des Baubestands – zumindest teilweise – aus Lehm besteht. Fast in ganz Niederösterreich ist dieser in hochwertiger Qualität vorhanden. Noch vor 100 Jahren gab es praktisch in jedem Dorf eine eigene Lehmgrube, aus der man sich den Lehm einfach nehmen und selbst damit bauen konnte. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass das Holz oft knapp war, unter anderem deshalb, da man es für die Ziegelbrennereien benötigte. Von Maria Theresia gab es daher damals bereits einen Erlass, dass wieder mehr mit Lehm gebaut werden sollte, weil man das Holz für die Ziegelbrennereien in Wien gebraucht hat. Bemerkungen wie die über das Gemeinschaftshaus im Garten der Generationen beweisen jedoch, dass sich die Niederösterreicher kaum noch mit ihrer eigenen Baukultur identifizieren bzw. kaum noch etwas darüber wissen. In den letzten Jahren sind massiv alte Lehmhäuser abgerissen worden.

Gibt es hier keinen Denkmalschutz?
Erst seit kurzem interessiert sich dieser neben Kirchen, Schlössern und sonstigen Bauten, die allesamt aus Ziegel gebaut worden sind, auch für ganz einfache Lehmhäuser bzw. für die Erhaltung ganzer Ortskerne. Ich hoffe, dass sich hier noch mehr tut, bevor die letzten Lehmbauten in Niederösterreich bzw. des Weinviertels abgerissen werden. Es ist auch wichtig, neue zu bauen, um zu zeigen, dass Lehm auch zeitgemäß eingesetzt werden kann und viele gute Eigenschaften hat. Bis jetzt hat er immer noch ein bisschen das Image eines Baustoffs für arme Leute und wird eher mit Entwicklungsländern in Verbindung gebracht.

Worauf muss man beim Bauen mit Lehm achten?
Lehm ist sehr gut in Bezug auf Feuchtigkeitsregulierung, Schallschutz usw., allerdings hat er ein Problem mit den heute geforderten Dämmwerten. Um den heutigen Anforderung zu genügen, braucht es in gemäßigten Klimazonen daher immer eine zusätzliche Dämmschicht. Hier hat sich besonders die Verbindung mit dem Strohballenbau als sinnvoll erwiesen, mit dem gute Werte erreicht werden können. Außerdem ist auch Stroh als Rohstoff speziell im Weinviertel reichlich vorhanden. Auch eine Kombination mit Holz macht Sinn, zumal dieses in Österreich als natürlich nachwachsender Baustoff ebenso ausreichend zur Verfügung steht. Gemeinsam stellen die drei Materialien eine echte Alternative zu Ziegeln und Beton dar, die einen sehr viel höheren Verbrauch an Primärenergie haben. Menschen, die sich mit energieeffizientem Bauen näher beschäftigen, fordern immer mehr, dass wir wegkommen von vorgeschriebenen Werten des Wandaufbaus und stattdessen den Gesamtenergieverbrauch für ein Gebäude bewerten. Es führt teilweise ad absurdum, dass überall 20 Zentimeter Wärmedämmung draufgegeben wird, um Passivhausstandards zu erreichen, und gleichzeitig irrsinnig viel Energie in die Produktion von Hochleistungsziegeln gesteckt wird.

Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit von Lehmbauten aus?
Es handelt sich dabei natürlich um eine sehr arbeitsintensive Bauweise. Das heißt, für den Selbstbau ist sie ideal, weil Lehm und Stroh als lokale Baustoffe sehr günstig sind. Im Falle des Gemeinschaftshauses in Herzogenburg wurde der Lehm sogar direkt von der Baugrube verwendet und hat dadurch gar keine Baukosten verursacht. Wenn man jetzt aber wirklich anfängt, die Arbeitsstunden miteinzukalkulieren, kann es relativ teuer werden. Deshalb haben wir auch bei uns im Entwerfen versucht, in Richtung Systembau, also Holzsystembau, zu denken, aber ausgefacht mit Strohballen. Es gibt auch Firmen, die Lehmputze anbieten, die gar nicht mehr so teuer sind. Im Prinzip gilt: Je mehr davon Gebrauch machen, umso günstiger wird’s. Unterm Strich kommt man wahrscheinlich auf dieselben Kosten wie bei einem konventionellen Haus, verbraucht dabei aber viel weniger Ressourcen.

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