Im Baubetrieb

So funktioniert agile Digitalisierung

Digitalisierung am Bau
23.08.2021

 
Von Daten über Kennzahlen bis hin zu Erkenntnissen: Welche Rolle spielt dieses Wissen bei der Digitalisierung von Bauprozessen? Antworten darauf gibt die Veranstaltung "Agile Digitalisierung im Baubetrieb" am 10. September 2021.

Kennzahlen und Datenmuster werden für Ermittlungen im Zuge von Diagnosen, Prognosen, Planungen, Kontrollen, Steuerungen und generell für das Wissensmanagement benötigt. Besonders bei der Berechnung von Baukosten und Bauzeiten bedarf es dazu verlässlicher und kontextbezogener Daten und Informationen, die zu Kennzahlen „veredelt“ werden. Diese gilt es, an die jeweilige Komplexität des Bauwerks anzupassen, um ein glaubhaftes Ergebnis zu erzielen.

Kennzahlen kennen und verstehen

Für das Planen und Bauen von Bauwerken nimmt – neben den Kostenansätzen für Geräte und Materialien – der Aufwandswert (=Lohnstunden/Mengeneinheit) bei arbeitsintensiven Tätigkeiten eine dominierende Rolle ein, während bei geräteintensiven Tätigkeiten die technische Nutzleistung (=Mengeneinheit/Zeiteinheit) der Engpassgeräte bzw. der Engpassgeräteketten im Vordergrund steht. Der Auftraggeber (AG) sollte für seine Bauphasen ermitteln, welche Tätigkeiten mit den normal erzielbaren täglichen Leistungen am kritischen Weg liegen und damit bauzeitbestimmend sind. Umgekehrt haben die Bieter aus den Dauern der jeweiligen Bauphasen bzw. für jene Leistungen, für die sie ein Angebot legen, abzuleiten, wie viele Ressourcen voraussichtlich durchschnittlich, aber unbedingt auch maximal erforderlich sind.

Ein Wert für eine Kennzahl kann nur dann nutzbringend eingesetzt werden, wenn dieser in Relation zu einem Sachverhalt steht, den man verstanden oder selbst ermittelt hat. Kennzahlen, die systematisch aus aktuell laufenden oder bereits abgeschlossen Bauvorhaben ermittelt wurden, bilden eine wertvolle Basis für unverzerrte und mit einer geringen Streuung behaftete Ergebnisse. Die wesentliche Grundlage für verlässliche Kennzahlen bilden kontextbezogene Daten und Informationen.

Wissen allein reicht nicht

Bei allen Bauprozessen entstehen besonders durch die zunehmende Digitalisierung unzählige Daten und Informationen in Form von Verfügungswissen, das – von Menschen geplant – in Orientierungs­wissen (beispielhaft dazu in Abb. 1) umzuwandeln ist. Dieses Wissen (z.B. über bestimmte Sachverhalte oder Problembereiche und deren Zusammenhänge) kann im konkreten Kontext mit Informationen über Bauteile und Bauwerke kombiniert werden. Das Vorhandensein von Wissen allein bringt jedoch noch keinen Nutzen. Die Information muss noch durch bewusste und unbewusste Denkprozesse in Erkenntnis umgewandelt werden. Erst die Transformation von Wissen in handlungsanleitende Informationen, Lösungen, Innovationen sowie Disruptionen (neuschöpfende Erkenntnisse) führt zur allseitigen Erfolgswirksamkeit.

Abbildung 1	Erzeugung von Verfügungswissen und Transformation in Orientierungswissen
Abbildung 1: Erzeugung von Verfügungswissen und Transformation in Orientierungswissen

Transformation von Verfügungs- in Orientierungswissen

Für die techno-ökonomische und ressourcenschonende Umsetzung eines Bauprojekts ist nicht nur Wissen über die Planungs- und Produktionsprozesse, sondern auch über das Bauwerk, Bauteile und den Untergrund (Gründungsmaßnahmen, Boden) sowie das Umfeld (benachbarte Bauwerke) und die konkreten Produktionsbedingungen essenziell.

Abbildung 2: Systemische Generierung von Wissen mittels polysensoraler Systeme – Erhebung und Veredelung von Prozess-, Bauwerks-, Bauteil- und Produktionsbedingungswissen

Als besonders wertvoll ist die Interaktion zwischen Prozess- und Bauwerkswissen – wenn möglich in Echtzeit – anzusehen. In Abb. 2 ist im oberen Bereich der linken Seite das Produktionssystem und im unteren beispielhaft ein Ausschnitt einer Brücke dargestellt. Die Grafik stellt den Fluss von der Entstehung der kontextbezogenen Daten und Informationen („Verfügungswissen“) bis zu deren Veredelung für das Projekt („Orientierungswissen“) dar. In diesem prozessualen Vorgang sind zudem die Wissensspeicherung und die stetige Rückkopplung von Bedeutung. Es wird dargestellt, dass nicht nur die Akkumulation von Wissen, sondern auch dessen orientiertes Ausrichten und Nutzen von höchster Relevanz ist.

Welche Daten braucht der Bauherr?

Wird ein Echtzeit-Monitoring angestrebt, ist in erster Linie vom Bauherrn festzulegen, welche Produktionsprozesse und Bauteile mit polysensoralen Systemen auszustatten sind. Dabei handelt es sich um zwingende Vorgaben, an die sich die späteren AN zu halten haben. Der Bauherr verfolgt damit das Ziel, wesentliche Informationen über den Leistungsfortschritt und die Bauteil- bzw. Bauwerksqualität möglichst zeitnah zu erheben. Dies ermöglicht ihm, in den Produktionsprozess einzugreifen, wenn sich die AN nicht an die Vorgaben aus dem Bauvertrag halten bzw. sich nicht am Stand der Technik orientieren.

... und welche der Auftragnehmer?

Auf der anderen Seite werden sich die AN selbst überlegen, welche Prozesse und Bauteile mit Sensoren auszustatten sind, um einerseits die Zielerreichung und andererseits die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses (idealerweise) in Echtzeit zu monitoren. Durch polysensorale Systeme sowie sonstige Daten- und Informationsquellen entsteht im Laufe der Bauzeit eine große Menge an Daten und Informationen, die in einem unstrukturierten und ungefilterten (also nicht veredelten) Zustand als Verfügungswissen bezeichnet werden können (kontextuale Einbettung ist jedoch in gewissem Ausmaß gegeben). Diesem Verfügungswissen muss im Zuge der Entwicklung des Monitoringkonzepts eine Orientierung gegeben werden, um die damit definierten Ziele zu erreichen. Mit dem Wissen darüber, wie Informationen aufgefunden, gefiltert, verknüpft und kontextualisiert werden können (Know-where z.B. auf Basis des Wissensspeichers), kann die notwendige Transformation von Verfügungswissen in Orientierungswissen durchgeführt werden.

Dieser Prozess der Wissensumwandlung in nutzenstiftendes Orientierungswissen läuft einerseits im Rahmen ethischer und wertebezogener Überlegungen ab (z.B. welche personellen Monitoringsysteme sind ethisch vertretbar), andererseits sind konkret im Baubetrieb und in der Bauwirtschaft ergänzend dazu Fragen zur Wirtschaftlichkeit (Effizienz) und Zielerreichung (Effektivität) zu beantworten.

Besondere Anreizsysteme für die Digitalisierung

Grundsätzlich gilt es, Anreizsysteme (Erweiterung der Wertschöpfungskette) hinsichtlich des lebenszyklusorientierten sowie ressourcenschonenden Planens, Bauens und Betreibens von Bauwerken zu forcieren. Die Analyse des Stromverbrauchs lässt sich als ein erster Schritt hin zur nachhaltigen Baustelle werten, weil Verschwendung und Ineffizienz aufgedeckt werden können und auf diese Weise im Zuge einer Ursache-Wirkungs-Analyse zielgerichtet gegengesteuert werden kann.

Die digitale Vernetzung der Prognose-, Planungs-, Steuerungs-, Kontroll-, Auswahl-, Organisations-, Kommunikations-, Dokumentations- und Wissensmanagementprozesse bietet dabei enormes Potenzial für Weiterentwicklungen. Dadurch wird das Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken umweltfreundlicher. Weiters können Chancen bzw. Risiken früher erkannt und verstärkt bzw. minimiert werden. Ein großer Vorteil besteht besonders darin, dass damit für die unterschiedlichen Projektphasen der digitale CO2-Fußabdruck für verschiedene Bauwerks-, Baustoff- und Bauteilvarianten sowie Produktionsprozesse ermittelt werden kann.

Hinsichtlich der Digitalisierung ist unbedingt ein besonderes Augenmerk auf eine zuverlässige sowie schnelle Verbindungsqualität und auf die Datensicherheit zu legen. Es muss offene und auch geschlossene Projekträume geben. Für alle Projektbeteiligten sollten ebenso interne Projekträume vorhanden sein, in denen – wie in einem Tresor geschützt – nur für den eigenen Zweck bestimmte Daten und Informationen gespeichert und verarbeitet werden können. Ist das Vertrauen in die Sicherheit dieser Daten- und Informationsräume nicht vorhanden, wird auch das mehrdimensionale BIM nicht ganzheitlich funktionieren. (sm)

Autoren:
Prof. Dr. Christian Hofstadler, Vorstand des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft,TU Graz
Dr. Markus Kummer, Projekt-Senior Scientist, Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft, TU Graz

Online-Symposium: Agile Digitalisierung im Baubetrieb

Mit der neuen Online-Veranstaltung „Agile Digitalisierung im Baubetrieb“ am 10. September 2021 greift das Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Graz aktuelle Entwicklungen sowie Best Practices auf und widmet sich – auf Basis agiler und digitaler Methoden – den Phasen der Planung, der Ausführung sowie dem Betrieb von Bauwerken.  
In ihren Vorträgen beleuchten Bauherren und Ausführende die Digitalisierung im Baubetrieb aus unterschiedlichen Blickwinkeln  und auch rechtliche Fragestellungen kommen bei dem Symposium nicht zu kurz. Einblicke in den State-of-the-Art liefern Expertinnen und Experten der TU Graz, der RWTH Aachen und der BWI-Bau GmbH  – Institut der Bauwirtschaft. 

Termin: 10.9.2021, 09:00 -18:00 Uhr
Ort: Online
Zu Programm und Anmeldung gehts hier 

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