Zukunftsvisionen

"In Österreich gibt es keine Revolutionen"

Digitalisierung am Bau
27.10.2021

Für den Blick in die Zukunft fehlt im täglichen Geschäft oft die Zeit. ­Dieser darf aber nicht vergessen werden, ist Anton Rieder überzeugt.
Anton Rieder, Landesinnungsmeister Bau Tirol und Geschäftsführer von Riederbau, wirft einen Blick in die Zukunft des heimischen Bauwesens.
Anton Rieder, Landesinnungsmeister Bau Tirol und Geschäftsführer Riederbau, wirft einen Blick in die Zukunft des heimischen Bauwesens.

Wie schaut die heimische Baubranche in 20 Jahren aus? Welche Rolle werden Baugewerbe und Handwerk künftig einnehmen? Und wie geht es mit der digitalen Transformation weiter? Für Fragen wie diese bleibt im hektischen Baualltag bei vielen Unternehmern viel zu wenig Zeit. Zuerst Corona, dann der Bauboom, die Rohstoffkrise und der immer währende Fachkräftemangel halten die Baubranche auch so schon gehörig auf Trab. Dabei darf aber der Blick in die Zukunft nicht vergessen werden, ist Anton Rieder, Eigentümer von Riederbau und Landesinnungsmeister Bau in Tirol, überzeugt. 

Der Baubranche steht ein oft zitierter Wandel ins Haus. Worauf wird man sich einstellen müssen?

Anton Rieder: Ich mache mir oft Gedanken über die Zukunft, und ich zitiere auch immer wieder gerne die Studie von McKinsey "The next normal in construction". Darin wird prognostiziert, dass es in den nächsten Jahren zu Verschiebungen in der Wertschöpfungskette kommen wird und sehr viel in die Vorfertigung verlagert wird. Ich denke, vor dieser Entwicklung dürfen wir auch als österreichisches Baugewerbe die Augen nicht verschließen. Wir müssen aufpassen, nicht von der industriellen Fertigung überholt zu werden. Diese Unternehmen investieren derzeit sehr viel Geld und Know-how, und ich bin überzeugt, dass die industrielle Fertigung in absehbarer Zeit nicht nur bei Parkhäusern und Co, sondern auch im Wohnbau eine ernstzunehmende Rolle spielen wird. Die großen Herausforderungen wie klimaneutrales Bauen, Fachkräfte­mangel, Kostenentwicklung und Digitalisierung können durch industrielle Vorfertigung schneller in den Griff bekommen werden. Der Nachteil ist, dass es nicht so mehr so hochindividuell ist. Aber was ist im großvolumigen Wohnbau noch sonderlich individuell? Ich sehe diese Entwicklungen deshalb mit Respekt, denn da fehlen uns als Mittelstand der Zugang und die ­Ressourcen, um hier preislich mithalten zu können. Sind wir mal ehrlich: Wenn es dem Systembau gelingt, 15 Prozent günstiger zu sein, warum sollte der geförderte Wohnbau dann noch mit uns bauen? Deshalb brauchen wir Lösungsansätze. Ich spreche ja nicht davon, dass der Systembau 100 Prozent des Neubaumarktes übernimmt. Aber selbst wenn er "nur" den gleichen Marktanteil erreicht wie der Fertighausbau, wird das schmerzhaft. Ich will nicht, dass sich das Baugewerbe in ein paar Jahren nur noch um den Baubestand ­kümmern muss. Dort werden unsere handwerklichen Fähigkeiten sicher noch lange gebraucht, aber das reicht nicht.

Orten Sie bei Ihren Mitgliedsunternehmen ähn­liche Befürchtungen?

Rieder: Nein, momentan fühlen sich die wenigsten bedroht. Der Bauboom beschäftigt alle Unternehmen dermaßen, dass keine Zeit dafür bleibt. Derzeit schreien alle nur nach Arbeitskräften. Das ist natürlich auch ein zentrales Thema, für das wir Lösungen brauchen. Aber ich sehe es auch als meine Aufgabe als Interessenvertreter, auf weitere zukünftige Herausforderungen hinzuweisen. 

Haben Sie einen Lösungsansatz?

Rieder: Das Baugewerbe muss sich abgrenzen und neu positionieren. Wir müssen unsere Methoden optimieren und effizienter gestalten, damit wir preislich nicht zu weit entfernt liegen. Auch Bauunternehmen können in der Ausführung mehr auf Systematisierung setzen – nicht im Sinne von Systembau, sondern in Bezug auf Details wie Anschlüsse oder Ähnliches. Mein Ansatz bei uns im Unternehmen ist außerdem, verstärkt als Totalunternehmer aufzutreten. Aber auch das stellt uns wieder vor neue Herausforderungen. Wie kommen wir als Totalunternehmer gleich zu Beginn an die Kunden? Wie schafft man es, bei den Auftraggebern Vertrauen aufzubauen? Die Strukturen in der Baubranche sind historisch anders gewachsen, deshalb ist das auch alles nicht so einfach, wie es klingt. 

Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Transformation und Neupositionierung des Baugewerbes geschafft wird – wenn man etwa bedenkt, wie langsam es beim Thema Building Information ­Modeling in der breiten Masse vorangeht?

Rieder: Beim Thema BIM haben wir eine Grundkrux. Wir arbeiten mit Systemen mit sehr hoher Komplexität und einem hohen Detaillierungsgrad, die eigentlich für andere Herstellungsprozesse gedacht sind. Und dann machen wir damit genau ein Produkt, sprich ein Bauwerk, und fangen beim nächsten wieder von vorn an. Für das Ganze wird auch noch mehr Honorar verlangt, weil es angeblich aufwendiger ist. So kann es nicht funktionieren. 

Viele wollen zwar digitalisieren, aber in Wirklichkeit nichts verändern – und wenn, dann nur an der Oberfläche. ­Wenn man die Digi­talisierung aber ernst nimmt, hat sie ­tiefgreifende Auswirkungen.

Anton Rieder, Landesinnungsmeister Bau Tirol

Aber dass die Planung eines BIM-Modells – zumindest anfangs – aufwendiger ist, ist doch unbestritten.

Rieder: BIM ist aufwendiger, weil wir vom Status quo ausgehen und jedes Mal mit einem neuen Team starten. Wenn man aber als integrales Team antreten und die Prozesse aufeinander abgestimmt optimiert, dann wäre es nicht aufwendiger. Diesen Produktivitätsfortschritt heben wir aber nicht. Wir starten in eine digitale Welt und sehen, dass unsere gewohnten Arbeitsweisen damit nicht kompatibel sind. Das ist generell ein Problem: Viele wollen zwar digitalisieren, aber in Wirklichkeit nichts verändern – und wenn, dann nur an der Oberfläche. Wenn man die Digitalisierung aber ernst nimmt, hat sie tiefgreifende Auswirkungen. 

Einer Ihrer großen Kritikpunkte in den vergangenen Jahren war auch die mangelnde Digitalisierung der Bauverfahren. Ein Pilotprojekt dazu wurde vor kurzem gestartet. Wie ist hier der Status quo?

Rieder: Ja, der Testbetrieb der digitalen Baueinreichung ist in Tirol diesen Herbst gestartet und wird ein Jahr laufen. Wir haben zwei Software-Unternehmen mit an Bord, und die Universität Innsbruck evaluiert das Projekt. Der erste Schritt ist die Baueinreichung auf PDF-Basis, in einem zweiten Schritt ist auch die Einreichung von BIM-Modellen geplant – so wie es aktuell auch Wien im Rahmen des Projekts "Brise" testet. 

Gibt es mit Wien einen Erfahrungsaustausch?

Rieder: Ja, ein Austausch findet statt, und wir können auch von den Erfahrungen lernen, aber nicht alles lässt sich eins zu eins auf Tirol umlegen. Bei Wien handelt es sich um nur eine Stadt mit einem Haufen ­Ressourcen und 13.000 Verfahren. Wir haben in Tirol 279 Gemeinden, das bedeutet 279 Baubehörden und 279 unterschiedliche Ideen zu diesem Thema. Was hinzu kommt, ist, dass der Rückhalt und das Interesse vom Land Tirol leider überschaubar sind. 

Sie klingen nicht sehr zuversichtlich …

Rieder: Mal schauen – es gilt, viele Widerstände zu überwinden. Aber es gibt auch ein paar Gemeinden, die sehr engagiert und motiviert sind und was weiterbringen wollen. Technologisch wäre es machbar, und wir werden nicht lockerlassen. Aber damit es funktioniert, muss der Wille der Politik schon da sein. 

Wie schätzen Sie generell den Digitalisierungsgrad der heimischen Baubranche ein?

Rieder: 2018 wurde die Studie "Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen" von Prof. Gerald Goger veröffentlicht, in der konkrete Handlungsfelder und ein Zeitplan definiert wurden. Würde es nach dieser Timeline gehen, sollte der Einsatz von Augmented Reality am Bau- und Planungsprozess, die Verwendung von BIM-Modellen oder der verpflichtende Einsatz von Open BIM bei öffentlichen Bauvorhaben bereits zum Alltag gehören. Der Abgleich mit der Realität ist ernüchternd: Nichts davon ist heute auch nur ansatzweise Standard. Wir waren alle viel zu optimistisch, was das Tempo der digitalen Transformation angeht – oder, wenn man es positiv formulieren will, könnte man sagen: "In Österreich gibt es keine Revolution." 

Was ist Ihre Conclusio daraus? Müssen es die Bauunternehmen mit der Digitalisierung doch nicht ganz so eilig haben?

Rieder: Im Gegenteil: Mein dringender Appell an alle Bauunternehmer lautet, sich spätestens jetzt mit diesen Themen intensiv auseinanderzusetzen, damit man in zehn bis 15 Jahren noch mitspielen kann. Denn in zwei Jahren hat man die Digitalisierungsthemen nicht erledigt, das bedarf viel Zeit, Reflexion und Arbeit. Eine Hilfestellung soll künftig auch die neue Zukunftsagentur Bau (ehemals ­Kompetenzzentrum Bauforschung, Anm. d. Red.) von der Bundesinnung Bau bieten. Ergänzend zu Forschungsprojekten sollen in der ZAB anwenderorientierte Projekte im Bereich ­Digitalisierung und Innovation für die Bauwirtschaft umgesetzt und ein Digitalisierungsnetzwerk geschaffen werden. Damit wollen wir dazu beitragen, dass die Digi­talisierung in der Baubranche deutlich an Fahrt gewinnt. 

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