Bodenversiegelung

Die falsche Kenngröße

Boden
08.11.2023

Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister des Bau­gewerbes, spricht über Bodenverbrauch und Bodenver­siegelung und warum Österreich kein Europameister ist.
Jagersberger Rober im Porträt

Herr Jägersberger, es gibt die politische Forderung, den Bodenverbrauch in Österreich von derzeit rund 12,5 Hektar am Tag auf 2,5 Hektar zu reduzieren. Das würde natürlich das Baugewerbe massiv betreffen. Was halten Sie von dieser Idee?
Robert Jägersberger: Ich warne davor, dass man mit missbräuchlich verwendeten Begriffen eine einseitige Meinungsbildung forciert.

Ich warne davor, dass man mit missbräuchlich verwendeten Begriffen eine ­einseitige Meinungsbildung forciert.

Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister der Bundesinnung Bau

Sie meinen den Bodenverbrauch?  Was stört Sie an diesem Begriff?
Jägersberger: Er ist irreführend. Und ich habe den Eindruck, dass hier von manchen Seiten ganz bewusst für Verwirrung gesorgt werden soll. Unter Bodenverbrauch versteht man – vereinfacht gesagt – die Nutzung von Boden für andere Zwecke als für die Land- und Forstwirtschaft. Offiziell gelten Flächen, die unter anderem für die Errichtung von Gebäuden, Infrastruktur oder auch Freizeiteinrichtungen - Parks, Golfplätze oder Skipisten - in Anspruch genommen werden, als „verbraucht“. Nur die Land- und Forstwirtschaft zählt nicht dazu.

So weit so gut...
jägersberger:  ... oder so schlecht. Ich sage Ihnen auch warum: Der Bodenverbrauch – so wie er aktuell definiert wird – ist die falsche Kenngröße. Sie führt zu völlig falschen Rückschlüssen. So gilt zum Beispiel eine Parklandschaft zu hundert Prozent als verbraucht. Oder das Einfamilienhaus samt Garten: zu hundert Prozent verbrauchte Fläche. Obwohl in den meisten Fällen nicht mehr als 100 Quadratmeter des gesamten Grundstücks tatsächlich verbaut sind. Außerdem bezweifle ich, dass der Garten aus ökologischer Sicht kritischer zu bewerten ist als eine landwirtschaftliche Fläche. Denken Sie beispielsweise an den Weinbau und die Pestizide, die dort eingesetzt werden und im Mutterboden abgelagert werden. Letzteres gilt nicht als verbrauchte Fläche. Die Wiese um das Einfamilienhaus schon. Das ist aus meiner Sicht hanebüchen.

Die Gärten werden aber auch nicht zur flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln verwendet.
Jägersberger: Ja, die Versorgungssicherheit wird oftmals als Argument herangezogen. Aber auch hier lohnt sich ein Blick auf die Fakten. Laut Rechnungshof ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich von 2010 bis 2020 um rund 277.000 Hektar zurückgegangen. Zum Vergleich: Bei einem täglichen Bodenverbrauch von aktuell 12,5 Hektar kommt man im gleichen Zeitraum auf rund 46.000 Hektar. Der überwiegende Teil des Rückgangs ist also nicht auf einen Verbrauch – und erst recht nicht auf Verbauung – zurückzuführen, sondern darauf, dass die Landwirte diese Flächen nicht mehr nutzen.

Wenn der Bodenverbrauch die falsche Kennzahl ist. Was ist die Richtige?
Jägersberger: Man sollte die tatsächliche Versiegelung heranziehen. Als versiegelt gelten Böden dann, wenn sie mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen sind. In Österreich sind im Durchschnitt 41 Prozent der verbrauchten Fläche versiegelt. Das sind 2,9 Prozent der gesamten Staatsfläche. Damit sind wir übrigens nicht Europameister, wie immer wieder behauptet wird, sondern liegen irgendwo im Mittelfeld.

Was wünschen Sie sich von der politischen Entscheidungsfindung?
Jägersberger: Ich wünsche mir einen unaufgeregten Blick auf die Fakten. Bevor man eine Zahl festschreibt, die man erreichen will, sollte man eine Diskussion darüberführen, wie wir die unterschiedlichen Ziele in Einklang bringen. Das reicht vom Umweltschutz bis zum Wunsch der Bevölkerung nach einer hohen Wohnqualität und einer gut ausgebauten Infrastruktur.

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