Im Zeichen der Mobilität

Bauzustand
09.05.2016

Von: Christine Bärnthaler
30 Meter über null markiert eine tellerförmige Auskragung den zukünftigen Heliport für Christophorus 9.50 Zentimeter über seiner Landefläche wird der Helikopter zum Hangar schweben und schließlich von Hand auf einem Wagen in diesen hinein- und wieder herausgeschoben werden.   

Drei Helikopter können sich am neuen Stützpunkt gleichzeitig aufhalten. Für das Christophorus-Team ist eine kleine Wohneinheit im Hangar untergebracht. James Bond. Der Blick über die Landezone geht hinüber zum T-Center. Man spürt: Das hier ist auf Augenhöhe. Über die Schulter geschaut, sieht man die Kuppen der Gasometer. Wir sind im dritten Bezirk an der Tangente, auf dem Dach der neu entstehenden ÖAMTC-Zentrale von Pichler & Traupmann Architekten.

Der Baustellenbesuch ist, kurz gesagt, spektakulär. Wie Zahnstocher tragen schräg gerichtete, zehn bis 18 Meter hohe Stützenbündel die Masse der weitauskragenden Bürofinger. Vorgehängt umarmt eine Stahlkonstruktion, die später die Glasfassade tragen wird, die fünf Finger als Ringfassade. Den Kern bildet ein großzügiges Atrium, offen zu allen Geschoßen. Die Bewegungszonen fließen durch das Gebäude und über den Freiraum bis hinüber zum benachbarten Kundenzentrum der Wiener Linien und über dieses in die U3. Hier wächst ein Raumgefüge entlang den feinsten Zügen städtebaulicher, architektonischer und konstruktiver Konzeption. Die Jury notierte im Wettbewerbsprotokoll (2013) dazu: Den Architekten gelingt es, das komplexe Raumprogramm und die anspruchsvolle städtebauliche Situation scheinbar mühelos und souverän zu bewältigen. Schlüsselelemente des Entwurfs sind die städtebauliche Positionierung, eine klare Ordnung und räumliche Interpretation der sehr unterschiedlichen Nutzungen, prägnante Architektur mit Signalkraft, fließende Wegführungen und höchste konstruktive Ansprüche.

Gebündelte Nutzungsvielfalt

Das heterogene Raumprogramm wurde von Pichler & Traupmann Architekten in einer vertikalen Abfolge gestapelt und als Figur einer Radfelge gleichend kompakt am Grundstück platziert. Die umrahmenden Grünflächen sind weder gestaltete Restfläche noch Schaugarten, sondern elementarer Bestandteil des Erschließungskonzepts. An der südöstlichen Seite wird die Vorgabe zur Durchwegung des Grundstücks derart beantwortet, dass eine neue Brücke zur Hochebene der benachbarten Wiener Linien spannt und zukünftig an die 800 Personen täglich direkt von der U3-Station Erdberg abholt, über einen großzügig gestalteten Platz führt und an der Baumgasse auf Straßenniveau wieder entlässt. Nordwestlich übernimmt eine terrassierte Grünanlage die aus der Ringfassade kommenden Fluchtwege. Alle Fluchtwege im Gebäude führen in diese umlaufende, vorgehängte Stahl-Glas-Fassade. Im Zusammenspiel mit der Terrassenanlage befreit sie den Innenraum von dieser Aufgabe. 

Es fällt auf, dass insbesondere an der Baumgasse mit sehr sparsamem Flächenverbrauch geplant wurde, einen repräsentativen Vorplatz findet man nicht. Dies zugunsten einer baulichen Reservefläche, die zwei Drittel der Straßenfront für sich beanspruchen darf und dem ÖAMTC zur Erweiterung oder zum Verkauf dienen kann. Im Verzicht auf diese Fläche, die den Sichtbezug zur Baumgasse möglicherweise irgendwann baulich verstellt, wird deutlich, wie konsequent Funktion und Interesse des Bauherrn architektonisch übersetzt wurden, denn der ­ÖAMTC ist mit rund 1,9 Millionen Mitgliedern Österreichs größter Verein und die Tangente mit täglich an die 170.000 Fahrzeugen die meistbefahrene Straße Österreichs. Dorthin orientiert sich das symbolhafte Gebäude mit der ringförmigen Glasfassade und dem Landeplatz des Christophorus. Mit ein Grund, weshalb die höchste Kote des Gebäudes bei exakt 35 Meter – an der Hochhausgrenze – liegt. Von diesem Punkt aus wurde das Gebäude nach unten entwickelt.  

Das Raumprogramm – beginnend mit Werkstatt, Schalterhalle, Empfang, Callcenter, Büros, und zuletzt dem Heliport – sind um einen zentralen Luftraum angeordnet, der vom Erdgeschoß und bis hinauf zum höchsten Punkt des Gebäudes offen und hell alle Etagen miteinander verbindet. Auch zu den Büroflächen hin gibt es keine Wände. Man kann ahnen, wie der lichtdurchflutete Rohbau dann in der Fertigstellung mit weißen Flächen noch heller und freundlicher strahlen wird. Einzig vom Atrium ausgeschlossen ist der Servicebereich im Untergeschoß. Dieser erfährt eine besondere Inszenierung. Pichler & Traupmann übernehmen das bewährte System des Kreisverkehrs für die logistische Abwicklung von Servicearbeiten an den Kundenfahrzeugen. Sie führen die Autos entlang einer ringförmig angelegten Einbahn durch das Untergeschoß und fädeln die Serviceplätze mit ihren Montagegruben und Hebebühnen direkt entlang dieser Fahrbahn auf. Ein Stockwerk darüber, in der Schalterhalle, begleitet ein raumhohes Panoramafensterband die Anlage. So können die Kunden dem Werken an ihren Autos zusehen. Für so manchen – Groß und Klein – wird das sein wie ein Kinoerlebnis. 

Statischer Höhenflug

Abseits der beeindruckenden Architektur spielen bei dieser Baustelle die konstruktiven Lösungen das große Kino. Bei FCP, Fritsch, Chiari & Parnter heißt es, man wäre dem Entwurf mit seinem schwebenden Körper anfangs eher skeptisch gegenüber­gestanden. Schließlich werden die drei- bis viergeschoßigen Bürofinger jeweils nur von sechs schräggestellten Stützen getragen, und auch die Ringfassade, als Fluchtweg berechnet mit einer Maximalbelastung von 800 Personen, ist über jeweils zirka 30 Meter von Bürofinger zu Bürofinger über eine Gesamtlänge von 250 Metern gespannt. Allein die Fassade, sie lagert auf vier einbetonierten Stahlträgern pro Bürotrakt, konnte rechnerisch erst im vierten Anlauf als durchgehende Fachwerkskonstruktion gelöst werden. Für die schwebenden Bürofinger fand man die Antwort in einer Hängekonstruktion. Die höchstbewehrten Betonstützen tragen einen Auswechslungsrost von 160 Zentimeter Höhe in der obersten Decke über dem sechsten Obergeschoß. Von diesem werden die darunterliegenden Geschoße mittels Hängestützen entlang der Fassade abgehängt. Nun lässt sich allerdings so ein Gebäude nicht von oben nach unten bauen, weshalb die Bürofinger vollflächig bis zum Zeitpunkt der vollständigen Tragfähigkeit des Brückentragwerks mit Rüsttürmen unterstellt werden mussten. „Würde man die Rüsttürme (je 2 x 2 Meter) aneinanderreihen, würden sie sich über eine Strecke von zehn Kilometer ausdehnen“, erklärt Wolf-Dieter Denk von FCP. Gebaut wurde mit Druckbelastung, dann im Ausrüsten wurden Zugbelastung und Vorspannung in fünf der Säulen aktiviert. Essenziell für die Realisierbarkeit war auch der Einsatz von Cobiax-Verdrängungskugeln. Auch wenn der ökologische Aspekt der Luftkugeln wichtig ist und heute immer mehr in den Vordergrund gerückt wird, so zielte die Erfindung ursprünglich doch auf das Ingenieurwesen, denn über die Reduktion der Last sind weitere Spannweiten, schlankere Tragsysteme und letztlich auch kleinere Fundamente möglich. Im Falle der ÖAMTC-Zentrale wurden zirka 7.500 Quadratmeter Deckenfläche mit Cobiax belegt, zirka 1.000 Kubikmeter Beton eingespart, das entspricht in etwa 2.400 Tonnen Beton und 150 Tonnen CO2 (Angaben von C. Ramel, Cobiax). Bei FCP ist man überzeugt, dass über die Einsparungen der Betonmassen nicht nur die vorliegende statische Lösung erst möglich wurde, sondern auch die Kosten des Gebäudes gesenkt werden konnten. 

Performance in Höchstform

Bauphysikalisch ist zu erwähnen, dass der ausdrückliche Bauherrenwunsch um eine Bauteilaktivierung in das Bauwerk eingeflossen ist. Mittels Energiepfählen und Tiefensonden wird Erdwärme zum Heizen und Kühlen des Gebäudes über die Betondecken gewonnen. 
Fertiggestellt soll das Mobilitätszentrum noch heuer werden, zum 120-Jahr-Jubiläum des ÖAMTC. Dabei wurde der Grundstein erst im Mai 2015 gelegt, die Gleichenfeier wurde im Dezember begangen. Bei Pichler & Traupmann Architekten arbeiten acht Leute daran. Auch im Büro des Statikers, bei FCP, heißt es, man wäre für das Projekt an die Grenzen gegangen. Dabei wird hervorgehoben, dass die Planung vom Vorentwurf bis zur Ausführungsplanung durchgängig mittels BIM erfolgte. Architekturbüro und Ingenieurbüro füttern gleichzeitig eine gemeinsame Datenbank mit Informationen, die dann im 3-D-Modell visualisiert werden und aus dem die Plandateien extrahiert werden. So in etwa. Ohne diesen integrativen Planungsablauf und die daraus resultierende Zeitersparnis wäre das Einhalten des engen Zeitkorsetts laut FCP nicht möglich gewesen. Die Ausführung liegt bei dem Grazer Bauunternehmen Granit. Über den Totalunternehmer sagen Christoph Pichler und Hannes Traupmann, es sei natürlich nicht ganz einfach, wenn das Bauunternehmen gleichzeitig des Architekten Auftraggeber sei, aber man wolle sich nicht beklagen, auch Granit sei hier sehr um eine entwurfsgetreue Realisierung bemüht. So gebe es im Wesentlichen auch keine Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Wettbewerbsbeitrag. Lediglich eine erste Erweiterung, ein zusätzlicher Bürofinger, sei in der Ausführung bereits vorgezogen worden. Zwei weitere Bürofinger sind statisch vorbereitet. Sie können den Bau jederzeit ergänzen und dann schließlich auch die Ringfassade tatsächlich zum Ring schließen. 

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