Künstliche Intelligenz hält Einzug ins Bauwesen

Künstliche Intelligenz
13.10.2020

Künstliche Intelligenz (KI) spielt im Bauwesen noch eine eher ­untergeordnete­ Rolle. Wie niederschwellig und hilfreich KI aber für ­Anwender*innen sein kann, ­wollen Wolf Plettenbacher und Martin Stopfer mit Tools wie Early Bird und Smart Moodz beweisen.
Wolf Plettenbacher und ­Martin Stopfer ­wollen mithilfe künstlicher ­Intelligenz die Projektsteuerung von Bau­vorhaben erleichtern.
Wolf Plettenbacher und ­Martin Stopfer ­wollen mithilfe künstlicher ­Intelligenz die Projektsteuerung von Bau­vorhaben erleichtern.
Das Ziel von Eary Bird ist es, Projektkrisen bereits bei ihrer Entstehung zu erkennen. Dies gibt dem Projektmanagement die Gelegenheit, rechtzeitig einzugreifen, Gegensteuerungsmaßnahmen einzuleiten und Verantwortlichkeiten festzulegen. Dafür analysiert  die maschinell angelernte künstliche Intelligenz alle Dokumente, die in einem Projekt mittels einer Projektplattform oder eines Servers ausgetauscht ­werden.  Auf einem klar strukturierten Dashboard werden die Inhalte in Themengebiete geclustert und
Das Ziel von Eary Bird ist es, Projektkrisen bereits bei ihrer Entstehung zu erkennen. Dies gibt dem Projektmanagement die Gelegenheit, rechtzeitig einzugreifen, Gegensteuerungsmaßnahmen einzuleiten und Verantwortlichkeiten festzulegen. Dafür analysiert die maschinell angelernte künstliche Intelligenz alle Dokumente, die in einem Projekt mittels einer Projektplattform oder eines Servers ausgetauscht ­werden. Auf einem klar strukturierten Dashboard werden die Inhalte in Themengebiete geclustert und anhand eines Ampelsystems je nach Risikostufe eingefärbt. So soll ein schnellen Überblick geschaffen werden. Zur genaueren Beurteilung stehen die relevanten Dokumente und Datensätze den Projektverantwort­lichen mit einem Klick zur Verfügung

Alexa, Siri und Co – in unserem Privatleben hat künstliche Intelligenz (KI) längst Einzug gehalten. Im Arbeitsalltag am Bau ist davon noch nicht viel zu spüren. 2018 maß das Beratungs­unternehmen McKinsey dem Thema KI am Bau in einer Studie noch eine eher untergeordnete Rolle bei. Mittlerweile entstehen aber auch im deutsch­sprachigen Raum immer mehr Forschungsprojekte, die sich der künstlichen Intelligenz, maschinellem Lernen sowie Robotik in der Baubranche widmen. Martin Stopfer und Wolf Plettenbacher sind hier schon einen Schritt weiter. Bereits 2019 gründeten sie mit ­Conbrain ­Solutions ein Start-up, das sich mit KI am Bau beschäftigt. Mit ihrem ersten Tool wollen sie nun die Abwicklung von Bauprojekten deutlich vereinfachen. 

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema künstliche Intelligenz?
Wolf Plettenbacher: Seit 2017 arbeite ich an der TU Graz an meiner Dissertation zum Thema ­„Krisen- und Turnaround-Management bei Großbauvor­haben“. Um eine Krise zu bewältigen, braucht man im Vorfeld Methoden, um überhaupt zu erkennen, dass man sich in einer Krise befindet. In diesem ­Bereich gibt es am Bau nur sehr untaugliche Methoden. ­Meistens bemerkt man erst viel zu spät, dass ein Bau­projekt in einer Krise steckt. Der Flughafen Berlin oder die Elbphilharmonie sind die besten Beispiele.

"Um überhaupt zu erkennen, dass Bauprojekte in einer Krise stecken, benötigt man die richtigen Methoden. Hier gibt es für den Bau so gut wie nichts. Das wollen wir mithilfe von künstlicher Intelligenz ändern."
Wolf Plettenbacher, Conbrain Solutions

Ist es wirklich oft ein Problem des Nicht-­Erkennens oder eher ein Problem des Nicht-­Wahrhaben-Wollens?
Plettenbacher: Beides. In Krisensituationen ist es eine natürliche Reaktion zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löst. In der Fachsprache nennt man das „Durchtauchen“. Gelingt das nicht, ist der nächste Schritt meist Aktionismus. Bis bei einem Projekt das Ampelsystem auf Rot gestellt wird, kann es ­Monate dauern. Deswegen bedarf es dafür Hilfsmittel. Im Zuge meiner Recherche bin ich schließlich auf künstliche Intelligenz gestoßen. Die Systeme kommen bereits in vielen anderen Bereichen zum Einsatz, um just in time Bilder oder Daten zu analysieren – warum sollte man das nicht auch für Bauprojekte nutzen?
Martin Stopfer: Wenn man sich bewusstmacht, wo überall in unserem Alltag KI bereits eingesetzt wird, ist es der nächste logische Schritt. Aber als wir vor zwei Jahren begonnen haben, uns mit KI aus­einanderzusetzen, war das Thema noch nirgends auf der Agenda. Für uns beide war es ein Sprung ins kalte Wasser. Wir kooperieren jetzt mit IBM und haben der KI sehr viel selbst angelernt. So haben wir „step by step“ begonnen. 

Wo und wie soll Ihre KI zum Einsatz kommen?
Plettenbacher: Unser erstes Produkt ist der Early Bird – ein Assistenzsystem für Bauprojekte, das just in time mittels künstlicher Intelligenz ­Risiken aufzeigt. Dafür wird das gesamte digitale Rauschen eines Bauprojekts – alle E-Mails, Protokolle, Pläne und Schriftverkehr – mit unserer maschinell angelernten KI auf Risiken analysiert. Wird ein Risiko erkannt, leuchtet der Bereich rot auf. Bei Bedarf wird ein Workflow in Gang gesetzt, um das Problem zu ­lösen. Man kann Aufgaben direkt zuweisen und Fristen setzen. Es ist ein Assistenz­system für das Projektmanagement. Die Entscheidung, ob wirklich ein Risiko besteht, trifft am Ende immer der Projektleiter. 

Worauf reagiert die KI genau? Beim Wort ­„Verzug“ läuten wahrscheinlich auch ohne KI die Alarmglocken.
Stopfer: Oft sind die ersten Anzeichen für eine Krise aber viel subtiler. Deshalb haben wir für unser Tool rund 10.000 bauspezifische Begrifflichkeiten im Kontext annotiert. Dafür haben wir sie mit Daten von abgeschlossenen Bauvorhaben, Fachliteratur und Richtlinien gefüttert. Natürlich ist dabei auch unsere Erfahrung von rund 25 Jahren in der Baubranche eingeflossen. Die KI lernt durch Wiederholungen, man muss sie richtiggehend trainieren.
Plettenbacher: Bei Großprojekten erhalten Sie außerdem über die Projektplattform locker über 100 Mails pro Tag, und das über einen langen Zeitraum hinweg. Dabei handelt es sich um eine wahre Datenflut – man kann nicht immer alles lesen. Im Normalfall tritt auch nicht nur ein Problem auf, sondern oft mehrere gleichzeitig. Um hier einen Überblick zu schaffen, haben wir das Dashboard in verschiedene Bereiche unterteilt: Emotionen, Kosten, Planung, ­Organisation, Arbeitssicherheit, Umfeld, Termin und Qualität. Sobald ein Risiko erkannt wird, verfärbt sich der Bereich orange oder rot– in Millisekunden, also just in time. 

"Künstliche ­Intelligenz hat das Potenzial, vielen Digitalisierungsthemen die Komplexität zu nehmen. Dadurch können wir Planungs- und Bau­prozesse deutlich vereinfachen und effizienter gestalten."
Martin Stopfer, Conbrain Solutions

Datenmanagement ist immer ein heikles Thema – damit rennt man anfangs wahrscheinlich nicht nur offene Türen ein?
Plettenbacher: Am Bau rennen Sie mit etwas Neuem immer offene Türen ein. Aber aus Sicht des Datenschutzes ist das kein Problem. Die Projektdaten sind sowieso vorhanden, und im Normalfall steht in den Verträgen, dass die Daten bearbeitet werden dürfen. Wir müssen auch nicht auf Firmenserver o. Ä. zugreifen und sammeln auch keine Daten. Die Projektdaten der Kunden bleiben natürlich streng getrennt und werden nicht zum maschinellen Lernen der KI verwendet. Für die Anwender funktioniert unser Tool ganz einfach, in dem wir zum Beispiel eine Projekt-­E-Mail-Adresse einrichten, diese spiegeln und die Daten von unserem Tool analysieren lassen. 
Stopfer: Generell hatten wir neben der Funk­tionalität der KI ganz klar den Anspruch „Keep it ­simple“. Das Tool muss intuitiv zu bedienen sein – die ­Usability stand eindeutig im Fokus. Künstliche Intelligenz hat generell das Potenzial, vielen Digitalisierungsthemen die Komplexität zu nehmen. Ein Beispiel dafür ist BIM. Hier ist die Akzeptanz noch lange nicht da, die Leute auf der Baustelle sind damit überfordert. Ich bin aber überzeugt, dass KI den Umgang mit BIM-Modellen künftig erleichtern kann. 
Plettenbacher: Oft wird stundenlang an einzelnen Details wie zum Beispiel Fenstern gearbeitet. Die KI könnte im BIM einfach passende Vorschläge ­machen, und man sucht sich eines aus. Das ist zwar nicht unser Schwerpunkt, aber es wird kommen. 

Das heißt, der Zugang zu künstlicher Intelligenz ist bei Ihrem Tool für Anwender sehr niederschwellig. Bedarf es noch zusätzlicher ­Schulungen?
Stopfer: Wir stellen nicht nur die Software zur Verfügung, sondern kümmern uns auch um die Implementierung, suchen Lösungen und begleiten auf Wunsch den ganzen Prozess. 
Plettenbacher: Wir sind mit unseren beiden anderen Unternehmen Conspeed und Lean.Wien auch als Berater für Bauherren tätig. Das bedeutet, wir haben auch bei potenziellen Risiken und Störungen die Kompetenzen, konfliktlösend oder mit Lean Management zu unterstützen. Dadurch können wir unseren Auftraggebern einen zusätzlichen Mehrwert bieten. 

Weil Sie gerade Lean Management ansprechen – dabei geht es unter anderem auch um die Früh­erkennung von Konflikten und Störungen. Kann die KI Lean Management überflüssig machen?
Plettenbacher: Ich würde sagen, umgekehrt. Wir haben mittlerweile viele Baustellen mit Lean Management abgewickelt, und es gab einige, bei denen wir fast keinen Schriftverkehr mehr hatten, da wir alle Konflikte mithilfe der Post-it-Methode lösen konnten. Da tritt die Problemlösung mittels KI in den ­Hintergrund. 
Stopfer: Bei Lean geht es auch darum, wertschöpfende Tätigkeiten zu optimieren und unproduktive Tätigkeiten zu reduzieren. Protokolle und Mails durchzuarbeiten ist zwar notwendig, aber nicht wertschöpfend. Insofern passt es gut. Unser Tool ist „lean“, und das ist auch unser Anspruch. Die Digitalisierung darf natürlich nicht zum Selbstzweck werden, sonst ist es eine Themenverfehlung.

Wann starten Sie mit dem Early Bird?
Plettenbacher: Die Tests sind erfolgreich ab­geschlossen, und im November wird Early Bird offiziell gelauncht. Nun suchen wir sogenannte Friendly Customers, mit denen wir die Software in den nächsten drei bis sechs Monaten testen – entweder als Revi­sionstool oder anhand von laufenden Projekten. 

Auf Ihrer Website teasern Sie bereits zwei ­weitere Produkte an. Was kommt als Nächstes?
Plettenbacher: Ein weiteres Produkt, das wir bald launchen werden, ist Smart Moodz. Damit können wir aus dem digitalen Rauschen Emotionen ­herausfiltern. Mithilfe eines psychologischen Gutachtens haben wir 1.200 Wörter definiert und mit Emotionen hinterlegt. Nach diesem Muster sucht die KI den Schriftverkehr ab. Emotionen sind wesentlich für den Projekterfolg oder in der Kundenbeziehung – wenn die Leute frustriert sind, geht nichts weiter.
Stopfer: Hier geht es wirklich um die Früherkennung. Der Projektbeteiligte schreibt zum Beispiel noch nicht von einer Mehrkostenforderung, aber es gibt schon ein Problem. Ein Beispiel wäre die Formulierung „nochmals urgieren“. Das zeigt klar, der Verfasser ist bereits leicht sauer. Hier könnte man schon eingreifen, bevor es eskaliert. Das dritte Produkt ist die Blue Box. Dazu wollen wir noch nicht zu viel verraten. Vielleicht nur so viel: Es handelt sich dabei um ein KI-unterstütztes Assistenzsystem, um die Kollaboration bei Bauvorhaben zu revolutionieren. Mehr dazu können wir voraussichtlich im nächsten Frühjahr berichten. 
Plettenbacher: Das Potenzial der KI ist aber enorm. Aktuell sammeln wir irrsinnig viele Projektdaten – unser nächstes Ziel ist, mithilfe der künstlichen ­Intelligenz Muster zu finden, warum und ab wann Bauvorhaben schieflaufen. Dabei geht es um Themen, die nicht so offensichtlich sind. Ich bin überzeugt, diese Muster gibt es und diese zu finden, wird in Zukunft einen großen Mehrwert darstellen.

Die Bauzeitung hat nachgefragt

Können Sie sich den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Planungs- und Bauprozess vorstellen?
Wir haben bei unseren Lesern nachgefragt.

  • Grundsätzlich ja, aber wir warten lieber noch einige Erfahrungsberichte ab. 31%
  •  Ja, natürlich. Wir beschäftigen uns auch schon aktiv mit diesem Thema. 31 %
  •  Nein, denn ich glaube, dass der Einsatz von KI mehr Probleme als Profit bringen würde. 24 %
  • Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht.  14 %
Branchen
Bau