CO2-Reduktion

CEM II/C: Zement im Umbruch

Zementindustrie
11.04.2023

Als Quantensprung, als Meilenstein, als Zement der Zukunft wurde der neue ­klimafitte Zement mit der Bezeichnung CEM II/C bereits gepriesen. Seit vergangenem Jahr hält er nun langsam Einzug auf heimischen Baustellen, und die Erwartungen sind hoch. Kann er halten, was er verspricht?

In den Forschungslaboren heimischer Zement­hersteller beschäftigt man sich schon lange mit den verschiedensten Möglichkeiten, den CO2-Ausstoß in der Zementproduktion zu senken. Bis 2050 wolle man CO2-neutral sein, lautet die ambitionierte Ansage in der 2022 verabschiedeten Roadmap der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie. Einen zentralen Stellenwert sollen auf diesem Weg auch die neuen klimafitten Zemente der Sorten CEM II/C und mittelfristig auch CEM VI einnehmen. Klimafit bedeutet in diesem Fall mit deutlich reduziertem Klinkeranteil und damit geringeren CO2-Emissionen. Bis zum Jahr 2040 soll der durchschnittliche Klinkeranteil in der österreichischen Zementproduktion durch die Zugabe neuer Zumahlstoffe auf 52 Prozent (Stand 2020: 70 Prozent) reduziert werden, so die VÖZ-­Roadmap. Für Hersteller bedeutet diese Um­­stellung signifikante Investitionen in neue Produktionsanlagen, aber auch Anwender auf der Baustelle müssen sich auf die neuen Zementsorten einstellen. 

Laut Roadmap der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie soll sich der Klinkerfaktor in der Zementproduktion in den kommenden Jahren deutlich reduzieren. 
Laut Roadmap der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie soll sich der Klinkerfaktor in der Zementproduktion in den kommenden Jahren deutlich reduzieren. 

Vorreiter in Sachen CEM II/C

In Österreich hat das Salzburger Zementwerk Leube im vergangenen Herbst mit dem GreenTech-Kombi-­Zement CEM II/C-M (S-LL) 32,5 R als Erster einen CEM-II/C-Zement auf den Markt gebracht. Der Weg bis zur Marktreife war jedoch ein steiniger, denn die ersten Entwicklungs- und Forschungsarbeiten ­starteten bereits im Jahr 2008. "Aufgrund der ­damals fehlenden Zementnorm für ‚emissionsarme Zemente‘ lag das Projekt aber ‚zwangsweise‘ über zehn Jahre lang auf Eis", berichtet ­Norbert Schaumburger, Geschäftsbereichsleiter Verkauf bei Leube. Erst als absehbar war, dass die Gremien reagieren und die internationale Zementnorm ändern werden, wurde die Produktentwicklung wieder aufgenommen. Mittler­weile sind CEM-II/C-Zemente zwar in der neuen euro­päischen Betonnorm EN 197-5 berücksichtigt, diese ist jedoch noch nicht harmonisiert, weshalb vor der Markteinführung eine zusätzliche bautechnische ­Zulassung durch das OIB notwendig war. 
Mit dem neuen klimafitten Zement sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu anderen Leube-­Zementen um bis 25 Prozent reduziert werden ­können, verspricht der Hersteller. Der neue Zement kann hauptsächlich für Hochbau im Transport­betonsegment eingesetzt werden und ist zugelassen für alle Betone von X0 bis B1, B2, B3.

Norbert Schaumburger, Geschäftsbereichsleiter Verkauf Zementwerk Leube
Norbert Schaumburger, Geschäftsbereichsleiter Verkauf Zementwerk Leube

"Als realistisches Fünfjahresziel hat sich Leube die Substitution von 80 Prozent Massenzement durch den Leube-GreenTech-Kombi-Zement gesetzt. Was einer Emissionseinsparung von ins­gesamt 41.500 Tonnen CO2 pro Jahr entspricht – und damit die Gesamt-Kohlendioxid-Emissionen des Bundeslands Salzburg um jährlich bis zu 1,2 Prozent reduziert", erklärt Norbert Schaumburger, Geschäftsbereichsleiter Zementwerk Leube.

Die Nachfrage sei jedenfalls vielversprechend – 2023 liege die voraussichtliche Produktionsmenge bei 30.000 bis 40.000 Tonnen. Zudem wurde Leube mit der Produktinnovation für den Salzburger Wirtschaftspreis Wikarus, der Ende Mai verliehen wird, nominiert. 

Geheimzutat aus Kreislaufwirtschaft

Auch Platzhirsch Lafarge, der ab Mai unter dem ­Namen Holcim Österreich firmiert, zieht nach und bringt noch im April den ECOPanet RC CEM II/C-M auf den Markt. Die Erwartungen sind hoch, einige Tausend Tonnen will man heuer noch verkaufen. "Die Einsparung gegenüber der derzeitigen Standard­lösung, die selbst schon sehr CO2-optimiert ist, liegt bei mehr als zehn Prozent", berichtet Gernot ­Tritthart, Vertriebsdirektor Lafarge Österreich. Um dies zu erreichen, müsse natürlich auch die Produktperformance stimmen, denn nur eine Reduktion von CO2 emittierenden Komponenten sei zu wenig. Festigkeitsentwicklungen und Dauerhaftigkeiten müssen ebenfalls auf vergleichbarem Niveau liegen.

Gernot Tritthart, Vertriebsdirektor Lafarge Österreich
Gernot Tritthart, Vertriebsdirektor Lafarge Österreich

"Der neue CEM-II/C-M Zement unterliegt, anders als sonst in Österreich üblich, einer bautechnischen Zulassung. Dafür sind intensivere ­Prüfungen und Nachweisverfahren notwendig, und die Eignung für ausgewählte Expositionsklassen muss explizit erfüllt werden. In einem ersten Schritt konzentrierten wir uns daher auf klassische Hochbauanwendungen und Festigkeitsklassen", so Tritthart.

Das Besondere an dem CEM-II/C-Zement von Lafarge ist eine erstmalig zugelassene Komponente, die aus der Kreislaufwirtschaft kommt. ­"Sortenreiner Betonabbruch wird im Zementwerk Retznei sehr ­speziell mittels des gerade in der Patentierung befindlichen RapidCarb-Prozesses aufbereitet und bindet dabei CO2 aus unserem Ofen direkt ein, das dadurch gar nicht mehr emittiert wird", erklärt Tritthart.

CEM II/C als Sackware

Aber auch im Sackware-Segment drängen Hersteller wie Baumit mit neuen CO2-reduzierten Zementsorten auf den Markt. Der Baumit-GO2morrow-Zement CEM II/C-M (S-LL) 42,5N wird ab Mitte April 2023 im heimisch Baustoffhandel und Baumarkt erhältlich sein. Dank Zumahlstoffen wie Kalkstein und Hüttensand sei eine Reduktion von bis zu 25 Prozent des CO2-Ausstoßes möglich, verspricht Baumit. Der GO­2morrow-Zement CEM II/C-M ist für die Herstellung norm­gerechter (auch frost- und tausalzbeständiger) Betone geeignet bzw. zugelassen. Um die 6.000 Tonnen des neuen Zements will Baumit heuer produzieren.

Georg Bursik, Geschäftsführer Baumit GmbH 
Georg Bursik, Geschäftsführer Baumit GmbH 

Wie bei den anderen Herstellern muss man sich das grüne Gewissen auch bei Baumit derzeit noch etwas mehr kosten lassen. "Der CEM II/C-M liegt preislich um 20 Prozent über den herkömmlichen Zementen, da im Moment der Herstellungsprozess aufwendiger ist", erklärt Baumit-Österreich-­Geschäftsführer Georg Bursik. Ein Umstand, der für viele noch ein Hinderungsgrund sein könnte, wie man auch am schleppenden Verkauf des Baumit-GO2morrow-Recycling­betons beobachten muss. "Nur ein geringer Prozentsatz an Kunden ist bereit, für Nachhaltigkeit auch einen Mehrpreis zu zahlen, aber wir werden die GO2morrow-­Linie weiterent­wickeln", betont Bursik. 

Vorbehalte auf den Baustellen

Neben dem Preis gibt es aber noch weitere Gründe, warum die neuen Zementsorten auf den ­Baustellen trotz erfolgreicher Pilotprojekte nicht uneingeschränkt willkommen geheißen werden. Auch wenn die Hersteller versprechen, dass es kaum bis keine Verzögerungen bei den Festigkeitsentwicklungen und Ausschalzeiten gebe, muss Überzeugungsarbeit bei Planern und Ausführenden geleistet werden. Bei Lafarge versucht man auf die Vorbehalte einzugehen und diese so weit wie möglich zu entkräften. "Die Sorgen und Bedenken sind nachvollziehbar. Unser Ziel ist es, die gewohnte Leistungsfähigkeit so gut wie möglich zu erhalten. Gewisse Rahmenbedingungen oder Herangehensweisen werden jedoch angepasst werden müssen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass nun alles teurer, langsamer oder schlechter wird. Das sind zumeist reflexartige Einwände, die es gemeinsam zu lösen gilt", betont Gernot Tritthart von Lafarge. 

Aber auch die Bauunternehmen selbst sollten sich mit den neuen Sorten auseinandersetzen, findet Markus Kroneder, Leiter Vertrieb und Marketing des Kirchdorfer Zementwerks. "Wir stehen am Anfang des Prozesses und haben noch einige Aufgaben zu lösen. Die Bauindustrie muss sich jedoch bereits jetzt intensiv mit dem Thema befassen, insbesondere mit dem Timing, das den Bauzeitplan mit Sicherheit beeinflussen wird und entsprechende Maßnahmen erforderlich macht", erklärt Kroneder. Die Planung der Betonsorten müsse auf ein höheres Niveau gehoben werden, und es werden mehrere Sorten für differenziertere Anwendungen erforderlich sein. 

Zu wenig Beachtung für CO2-Reduktion

Markus Kroneder, Leiter Vertrieb und ­Marketing des Kirchdorfer Zementwerks
Markus Kroneder, Leiter Vertrieb und ­Marketing des Kirchdorfer Zementwerks 

Aus Sicht der Kirchdorfer-Gruppe sei der Markt für die flächendeckende Einführung eines CEM-II/C-­Zements noch nicht bereit. "Zumal das ­Kirchdorfer ­Zementwerk dafür noch einige Investitionen bei der Werks-Hardware umsetzen muss", so Kroneder. 2023 fokussiere man sich auf die weitere Ausrollung von CEM-II/B-Zementen, welche ­klinkerhaltigeren ­Zementsorten ablösen werden.

"Es beschäftigen sich viel zu wenige Bauherren mit dem CO2-Thema. Noch mehr Aufholbedarf in Sachen CO2-Reduktion und deren Auswirkungen gibt es allerdings bei einer großen Anzahl von bauausführenden Unternehmen. Die Dringlichkeit, dass etwas getan werden muss, wird von manchen Verantwortlichen negiert. Aus deren Sicht soll sich nichts ändern, und CO2-reduzierte Produkte dürfen sowieso nicht teurer werden", kritisiert Kroneder. Dass grüne ­Zemente mehr kosten, sei jedoch unumgänglich. ­Neben umfangreichen baulichen und maschinellen Investitionen müssen auch alternative Zumahlstoffe gefunden und eingesetzt werden, die den Preis in die Höhe treiben. Hinzu kommen noch die europäischen Vorgaben der CO2-Systematik, die zu einem starken Preis­anstieg führen. 

Umstellung bei Fertigteilherstellern

Ebenfalls Umstellungen bringen die klimafitten ­Zemente auch für Betonfertigteilhersteller mit sich. "Wie umfangreich diese sind, ist natürlich vom Produkt selbst, von seinem Produktionsprozess und den Gegebenheiten am Betriebsstandort abhängig", räumt Anton Glasmaier, Geschäftsführer des Verbands ­Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke (VÖB), ein. Konkret gehe es z. B. darum, ob dort genug Lagerkapazitäten oder eine Härtekammer vorhanden seien. Oder es müsse die Auswahl neuer Mischrezepte bzw. die Abstimmung aller notwendigen Zusatzmittel neu geprüft werden. Bei anderen Produkten könne sich die Verweildauer in einer Härtekammer aufgrund der Frühfestigkeiten verlängern. 

Anton GLasmaier, VÖB-Geschäftsführer
Anton GLasmaier, VÖB-Geschäftsführer

"Neben CO2-reduzierten Zementsorten gewinnt auch das Thema Reduce bei den Fertigteilwerken immer mehr an Bedeutung: Diese versuchen, durch die Einsparung von Zement, Beton und Stahl bei gleichbleibende oder verbesserter Qualität der Betonfertigteile zur CO2-Reduktion beizutragen. Damit werden auch die CO2-reduzierten Zemente, die bei den unterschiedlichen Produkten der Fertigteilindustrie anwendbar sind, schon eingesetzt", so Glasmaier. 

Erste Projekte mit den CEM-II/C-Zementen werden von Betonfertigteilherstellern aber bereits realisiert. "Laut Informationen, die wir von unseren Mitglieds­betrieben bekommen, werden CO2-­optimierte Zemente wie CEM II/C im Infrastrukturbereich, und da insbesondere im Tiefbau bei Rohren und ­Schächten, bereits eingesetzt", berichtet ­Glasmaier. Grundsätzlich sind die neuen Zemente in allen Anwendungs­bereichen bei den Betonfertigteilen einsetzbar. Eine Ausnahme ­bilden jedoch spezielle Anwendungen im Spezialtiefbau, die einem ­Sulfatangriff ausgesetzt werden können, so der VÖB-­Geschäftsführer. 

Die Einsatzmöglichkeiten der neuen CEM-II/C-Sorten sind demnach – egal ob direkt auf der Baustelle oder im Betonfertigteilwerk – vielfältig. Wenn die gesamte Baubranche mitzieht, könnte der sogenannte Öko-Zement entscheidend zur Dekarbonisierung der gesamten Wertschöpfungskette des Bauens und zur Erreichung der international angestrebten Klimaziele beitragen.

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