Interview

Die Zukunft des Bauens

Effizienter, produktiver, nachhaltiger – geredet wird davon in der Baubranche viel. ­Die VST-­Vorstände Kamil Kowalewski und Bernd Ackerl über ihren Weg in die Zukunft des Bauens.

Kamil Kowalewski und Bernd Ackerl, VST-Vorstand

Die Baubranche befindet sich in einem Change-­Prozess. Effizienter, produktiver und nachhaltiger muss es auf Baustellen zugehen, darin sind sich alle einig. Die Wege dorthin sind aber vielfältig. Ein Unternehmen, das seit bald 20 Jahren genau auf diese Themen setzt, ist der österreichische Bauelementeproduzent VST ­Building Technologies. Die beiden Vorstände Kamil ­Kowalewski (l.) und Bernd Ackerl über die optimale Planung, Lebenszyklus­kosten und Wachstumschancen.

Digitalisierung, Vorfertigung und Automatisierung werden seit Jahren als die Zukunftstrends in der Bauwirtschaft genannt. VST beschäftigt sich damit seit mittlerweile knapp 20 Jahren. Heißt das, dass Sie bereits in der Zukunft angekommen sind?
Kamil Kowalewski: Die Idee zum VST-System stammt sogar schon aus den 70er-Jahren von Günther  Gruber. Sein Ziel war, die Arbeit von der Baustelle in die Produktionshalle zu verlegen und sich dadurch weniger abhängig von Wetter, Personal und anderen Gegebenheiten zu machen. Das war zu dieser Zeit wirklich visionär. Nach der Neugründung des Unternehmens 2002 wurde dieser Ansatz von uns konsequent weiterentwickelt. 2010 haben wir außerdem begonnen, unsere Produktionsanlage in Nitra (Slowakei, Anm.) zu automatisieren und den Planungsprozess zu digitalisieren. Unsere Büros sind in Europa verstreut – die Kommunikation muss sowieso digital stattfinden. Zudem gibt es auch Sprachbarrieren. Ein digitales Gebäude versteht jedoch jeder – das hat uns intern sehr geholfen. Wir wollen diese Tools künftig auch stärker extern nutzen. Deshalb arbeiten wir gerade intensiv an der Erweiterung unserer BIM-­Bibliothek, in der ­Attribute für alle Stakeholder enthalten sind und die wir allen Baubeteiligten zugänglich machen wollen. 

So funktioniert das VST-System

Die VST-Technologie basiert auf dem Prinzip der Verbundschalung. Zement­gebundene Flachpressplatten mit integrierter Bewehrung inklusive ein­gebauter Haustechnik werden dafür in der Produktionsanlage in Nitra ­(Slowakei) nach Maß vorgefertigt. Die passivhaustauglichen Komponenten müssen auf der Baustelle nur noch von einem Fünf-Mann-Team zusammen­gesteckt werden. Nach dem Betonieren entfällt das Ausschalen, was eine weitere Zeit­ersparnis bringt. Laut dem Unternehmen können mit dem VST-­System die Bau­zeiten um bis zu 50 Prozent verkürzt werden – ohne Einschränkung des Gestaltungsspielraums der Architekten oder Bauherren. Aufgrund des geringen Gewichts der Elemente erstreckt sich der Lieferradius auf bis zu 1.800 Kilo­meter.

2010 standen Sie mit Themen wie Building Information Modeling wahrscheinlich bei vielen Bauherren und Planern auf verlorenem Posten. 
Kowalewski: Das tun wir zum Teil heute noch (lacht). Wir haben schon sehr früh für uns definiert, wie die Planung im Vorfeld ausschauen sollte. ­Damit stießen wir bei Bauherren und Planern nicht immer auf Gegenliebe. Damals – wie auch großteils noch heute – baute man, überspitzt gesagt, nach dem Motto „Wir bauen mal was hin und schauen dann, wie sich das Projekt weiter entwickelt“. Man sollte eigentlich mit der Planung fertig sein, bevor der erste Bagger auf die Baustelle fährt. 
Bernd Ackerl: In Schweden haben wir die Erfahrung gemacht, dass deutlich mehr Zeit im Vorfeld für die Planung aufgewandt wird. Dafür gibt es hinterher auf der Baustelle keine Überraschungen mehr. In ­Österreich ist die Einreichplanung zum Teil oft sehr rudimentär. Aber auch hier spürt man langsam ­einen Wandel, denn unter den Kostenüberschreitungen ­leidet die gesamte Branche. Durch BIM wird mittelfristig sowieso eine höhere Genauigkeit in der ­Planungsphase erreicht werden.

In Schweden kooperieren Sie sehr eng mit ­Skanska, einem der größten europäischen Bauunternehmen. Sind Sie hierzulande auch auf der Suche nach fixen Kooperationspartnern?
Ackerl: Wir haben 2019 die Firma Premiumverbund-Technik Bau GmbH als Tochterunternehmen übernommen. Dadurch können wir in Österreich und Deutschland nun selbst GU-Aufträge abwickeln. In der Vergangenheit haben wir auch hier schon mit größeren Bauunternehmen zusammengearbeitet, aber natürlich wären ständige Kooperationen wie mit ­Skanska praktisch. 
Kowalewski: Wir werden oft kontaktiert, wenn es um Sonderthemen geht – zum Beispiel um besonders komplexe Fassaden, die mit anderen Systemen nicht abbildbar wären oder eine Lawine kosten würden. Unsere Produktion in Nitra sehen wir als eine Art Bautischlerei – wir können praktisch jede Bauformen realisieren, ohne dass die Preise explodieren. Das ist bei ­Architekten natürlich gern gesehen.

Wie heute oft noch geplant und gebaut wird, hat einen hohen Optimierungsbedarf. Die Planung sollte eigentlich fertig sein, bevor der erste ­Bagger auf die Baustelle fährt. 

Kamil Kowalewski

Das klingt nach lauter Vorteilen. Warum laufen Sie dann in Österreich noch immer ein bisschen unter dem Radar?
Kowalewski: Das Feedback, das wir bekommen, ist gut, aber leider ist hierzulande bei Bauherren nach wie vor häufig der Preis das Ausschlaggebende – und zwar der Baupreis und nicht die Lebenszykluskosten wie zum Beispiel in Schweden. Unsere Komponenten sind alle passivhaustauglich. Auf den Gebäude­zyklus gerechnet, ist ein Passivhaus aufgrund der geringeren Betriebskosten viel kosteneffizienter. 
Ackerl: Die Märkte Deutschland und Österreich sind generell noch deutlich preiskompetitiver. Dabei wird aber gerne vergessen, dass die Gebäude rund 80 Jahre stehen. Da ist es doch 100-mal sinnvoller, anfangs ein bisschen mehr zu investieren, um dafür 80 Jahre lang bei den Betriebskosten sparen zu können. 

Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, sollen bis 2030 in der EU 40 ­Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Fast-null-Energiehäuser sind dabei ein zentraler Baustein der Klimastrategie. Erhoffen Sie sich dadurch einen Schub?
Ackerl: In Skandinavien sind Green Buildings schon länger eine zentrales Thema, das sieht man auch deutlich in den Ausschreibungen. Wir sind überzeugt, dass diese Entwicklung langsam auch Deutschland und Österreich erreicht. In Deutschland werden auch immer mehr Gebäude mit DGNB-Zertifikaten gebaut, unter anderem deshalb haben wir im vergangenen Jahr auch die Environmental Product Declaration (EPD) beantragt, um hier die Grundlage zu haben.
Kowalewski: Im Zuge dieses EPD-Prozesses haben wir auch angefangen, uns mit nachhaltigeren Bau­materialien wie zum Beispiel grünem Beton zu beschäftigen. Dadurch könnten Bauherren rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes auf der Baustelle einsparen. 
Ackerl: Viele Eigenschaften von Ökobeton, wie z. B. längere Aushärtungszeit oder geringere Ober­flächengenauigkeit, die bei anderen Projekten vielleicht nicht so optimal wären, spielen für uns keine Rolle, da bei uns die verlorene Schalung dran bleibt. Leider ist das in Österreich aber noch kein großes Thema.

Was denken Sie, woran das liegt?
Kowalewski: Bis auf einen Produzenten ist das ­Interesse bei den Herstellern noch überschaubar. Die Baubranche boomt nach wie vor, und es wird so viel Beton abgerufen, dass keiner den Druck verspürt, sich hier engagieren zu müssen. Auch bei Bauherren ist Nachhaltigkeit noch nicht so präsent.
Ackerl: Was man aber in den vergangenen Jahren beobachten konnte, ist, dass Investments in grüne Unternehmungen regelrecht explodieren – und das betrifft auch Immobilienentwickler. Ich denke, künftig wird das Kapital stärker an strengere Umweltauflagen geknüpft werden, und dann werden auch Gebäude über entsprechende Zertifikate verfügen müssen. Das wird wiederum die Nachfrage nach ökologischen Baustoffen erhöhen. 

Wenn Investments künftig stärker an strengere Umwelt­auflagen geknüpft werden, müssen auch Gebäude über entsprechende Zertifikate verfügen. Das wird die Nachfrage nach ökologischen Bau­stoffen deutlich erhöhen.

Bernd Ackerl

In Zeiten von Corona drängen sich natürlich gerade andere Themen in den Vordergrund. Wie ist es Ihnen in den letzten Monaten ergangen?
Kowalewski: Grundsätzlich muss man sagen, dass uns im vergangenen Jahr unser VST-System hier sehr geholfen hat, da wir auf der Baustelle mit vergleichsweise wenig Personal auskommen. Das ist in Zeiten von Corona ein Vorteil. In manchen Ländern wie zum Beispiel Dänemark haben wir praktisch keine Einschränkungen erkennen können. Gegen Ende des letzten Jahres konnten wir dort sogar fünf neue Projekte ­generieren – das ist in einem neuen Markt mitten in der Pandemie schon beachtlich. In den etablierten ­Märkten wie Schweden und Deutschland handelt es sich vorwiegend um Großprojekte, die normal weiterge­laufen sind. In Österreich kommt es zu kleineren Verschiebungen, aber das ist noch im Rahmen. Generell ­dürfen wir uns also nicht beschweren.

Welche neuen Märkte sind für Sie aktuell ­besonders interessant?
Ackerl: Polen ist unser neuester Markt, den wir auch weiter ausbauen wollen. Relativ neu sind wir auch in Großbritannien und Irland mit einem Vertrieb unterwegs. Durch Brexit und Covid-19 kam es hier aber zwischenzeitlich zu einem Stillstand. Interessanterweise merken wir aber jetzt seit kurzem in Irland wieder eine starke Nachfrage, und wir gehen davon aus, dass wir dort im Mai mit ersten Projekten starten können. Wir gehen aber alles „step by step“ an – Expansion kostet immer Zeit und Geld.

Was ist für die nächsten zehn Jahre geplant? ­Welche ­Themen wollen Sie mit VST angehen?
Ackerl: Wir wollen die Vorfertigung und die Aus­lastung erhöhen, damit gehen auch Überlegungen hinsichtlich einer zweiten Werksanlage in einem anderen Land einher. Aber auch die Produktentwicklung ist ein großes Thema. Wir wollen unsere Aktivitäten in Bezug auf ökologisches Bauen weiter forcieren. Konkret denken wir da an Bauteilaktivierung.

Bei der Bauteilaktivierung fungiert der Beton als Wärmespeicher. Durch die Wärmeabstrahlung wird die Raumluft temperiert. Funktioniert dieses Prinzip auch mit einer verlorenen Schalung? 
Ackerl: Ja, das geht. Man kann beispielsweise eine Kapillarmatte direkt an die Platte montieren oder ganz klassisch mit Rohrleitungs­systemen arbeiten.  Die Wärme bzw. Kälte wird über die Zementspanplatte an den Raum abgegeben. Fakt ist: Wir können alles bereits im Werk vormontieren, und auf der Baustelle müssen die Systeme nur noch miteinander verbunden werden. 
Kowalewski: Wir haben bereits 2009 in der Schweiz ein Gebäude realisiert, in dem wir in Wände und Decken Heizung und Kühlung eingebaut haben. Das hat technologisch wunderbar funktioniert – nur war der Markt damals noch nicht vorhanden. Bei der Bauteilaktivierung gilt es auch heute noch, viele Vorurteile zu überwinden und Vorbehalte zu entkräften, aber langsam kommt das Interesse, und wir haben das Produkt schon in der Schublade.

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