Jetzt oder nie
Viel wird über die Digitalisierung der Branche und BIM diskutiert, doch die Zeit, darüber zu reden, ist vorbei. Geht es nach Anton Gasteiger, hätte man schon vor etlichen Jahren handeln müssen.


Digitalisierung ist das Schlagwort der Stunde. Doch in der Baubranche ist man sich nicht ganz einig, wie weit diese gehen soll, geschweige denn, ob sie beim Building Information Modeling (BIM) aufhört oder gar erst anfängt. Um ungefähr ein Gefühl dafür zu bekommen, was momentan schon möglich ist, reicht ein Ausflug nach Kufstein. Dort liegt etwas außerhalb des Schattens der Burg ein Keller, in dem jeden technikbegeisterten, bauaffinen Menschen das Herz schneller schlagen dürfte.
Keine Frage des Landes
„Alles fing für mich vor rund 30 Jahren an“, erzählt Anton Gasteiger. „Mein damaliger Arbeitgeber glaubte nicht an den Nutzen von CAD. Also habe ich gekündigt, mir selber einen Computer sowie die notwendigen Programme gekauft und mich mit 3D-Planung für Holzkonstruktionen selbstständig gemacht.“ Diese „Revolution“ zog Gasteiger als One-Man-Show unter tatkräftiger Unterstützung seiner Frau durch – und die Zeit gab ihm recht. Es folgte der Umstieg auf den Bereich Bau und auf BIM, 2006 dann die Initialzündung. „Ich hatte den Auftrag, die Statik für ein Krankenhaus zu erarbeiten“, erklärt der Tiroler. „Ich saß in Kufstein, der Architekt in Japan, und gebaut wurde in Sri Lanka.“ Dank der Zeitverschiebung konnte er mit dem Architekten in einem 24-Stunden-Schichtbetrieb arbeiten, in 14 Tagen war das Projekt erledigt. Ohne auch nur ein Wort miteinander gesprochen zu haben – der japanische Architekt konnte weder Deutsch noch Englisch –, entstand in einem anderen Teil der Welt ein Bauprojekt. „Wir kommunizierten über Daten“, beschreibt Gasteiger die nicht ganz alltägliche Situation. „Das war für mich der Moment, in dem ich erkannte, welche Möglichkeiten einem offenstehen und was passieren kann, wenn man diese Entwicklung verpasst.“ Seitdem ist die Digitalisierung von Planungsprozessen und Berechnungen aus seinem Leben noch weniger wegzudenken, gearbeitet wird oftmals sogar mit der neuesten Beta-Software der Anbieter. Auch die Hardware sowie die im Einsatz befindlichen Tools haben sich in den vergangenen Jahren, geprägt durch den rasanten technischen Fortschritt, grundlegend weiterentwickelt.
Technik nutzen
Was allein die BIM-Planungstools mittlerweile leisten können, wäre noch vor zehn Jahren nicht vorstellbar gewesen. Mittels einer Bauteiledatenbank werden per einfachen Mausklick Teile eines Gebäudes ausgetauscht, diese werden in Echtzeit in alle Pläne übernommen und gleichzeitig im Rendering ausgespielt. „Bis alles so flüssig läuft, ist es natürlich ein längerer Prozess, aber nach den ersten drei Projekten hat man eine Datenbank bei der Hand, die für fast alle alltäglichen Herausforderungen ausreichen sollte“, meint Gasteiger. Diese Möglichkeit hat jedoch nicht nur der Planer – solange er einen Computer mit Internetverbindung hat –, jedes am Bau beteiligte Gewerbe kann zu jeder Zeit auf alle wesentlichen Details zugreifen, den Baufortschritt melden und etwaige neue Situationen „besprechen“.
Ein weiteres Tool hilft dabei – richtig genutzt –, Baubesprechungen jederzeit und kostengünstig abzuhalten, egal wo sich der Planer, der Architekt und der Bauherr gerade aufhalten. Mittels VR-Brillen kann man gemeinsam Begehungen des Objekts vornehmen, egal ob im gewünschten Endzustand oder im aktuellen Baufortschritt. Mittels Trackers werden Bauteile markiert, ausgetauscht sowie wesentliche Notizen angeheftet. All dies wird sofort in die Pläne übernommen und ist für jeden Projektmitarbeiter mit der entsprechenden Freigabe sichtbar. So können Reisekosten minimiert werden und auch ungeplante Besprechungen einfach sowie schnell abgehalten werden. „Wir arbeiten gerade an mehreren Projekten mit der Volkswagen-Bank und können auf diese Art und Weise einen beträchtlichen Betrag pro Baubesprechung sparen – von der Zeit aller Beteiligten reden wir hier noch gar nicht“, so Gasteiger.
Transparenz, immer und überall
Einer der wohl angenehmsten Punkte, egal ob für den Bauherrn oder das ausführende Gewerbe, ist der jederzeit verfügbare aktuellste Projektstatus. Dadurch können Arbeitszeiten genau getimt sowie Standzeiten größtenteils vermieden werden. Zusätzlich herrscht dadurch komplette Transparenz bei Arbeitszeiten, verwendeten Materialien, eingesetzten Maschinen; prinzipiell einfach bei allem. „Claim-Management wird dadurch fast unmöglich, man arbeitet zu dem vereinbarten Preis“, meint Gasteiger trocken. „Für manche Baufirmen vielleicht ein wenig ungewohnt, aber diese Umstellung ist auch schaffbar.“ Für den Bauherrn würde das
System nur Vorteile bringen.
Gemeinsam und proaktiv
Der wohl wesentlichste Aspekt für Gasteiger bei der Anwendung von BIM ist das einfache, weltumfassende Miteinanderarbeiten. Dabei sei es jedoch essenziell, dass nicht jedes Unternehmen und nicht jede Firma ihr eigenes Süppchen kocht. „Wenn eine 30-Zentimeter-Betonwand von jeder Firma einen eigenen Namen bekommt, ist es mit der Vergleichbarkeit dahin“, so Gasteiger. „Deswegen wäre es wichtig, sich jetzt auf allgemeine Bezeichnungen zu einigen, die jede Firma verwenden kann, und BIM so offen wie möglich zu gestalten.“ Ansonsten würde alles ad absurdum geführt werden. Dennoch verfolgen gerade Österreichs große Bauindustrieunternehmen eine andere Strategie: Jeder arbeitet an seinem eigenen System mit eigenem Namen und eigenen Schnittstellen.
Ein weiteres Problem sieht Gasteiger in der Resistenz vieler Baufirmen, sich dem technischen Fortschritt anzunehmen. Die meisten Firmen würden immer noch glauben, dass es „auch irgendwie ohne BIM gehen wird“. Geht es nach dem Baumeister, ist dies jedoch eine komplette Fehleinschätzung: „Böse gesagt, kann ein Mensch mit Computer und etwas Fachwissen aus jedem Teil der Welt die komplette Planung und Statik für einen Hausbau in Österreich machen. Über die Arbeitszeiten und das Lohnniveau in IT-affinen Ländern wie Indien im Vergleich zu Österreich brauchen wir wohl nicht sprechen.“ Ebenso würde er sich mehr Initiative vonseiten der öffentlichen Hand sowie großer Auftraggeber wünschen. Der Druck, mit BIM arbeiten zu müssen, könnte eine positive Bewegung bei vielen Baufirmen in Gang setzen. Die Folgen einer weiterhin verschlafenen Digitalisierung der Branche will sich Gasteiger lieber nicht vorstellen.