Baurecht

Bieter müssen Garantiebedingungen klar erkennen können

13.08.2025

Das EU-Vergaberecht hat auch Auswirkungen auf das nationale Zivilrecht. Das ist nicht grundsätzlich neu, aber eine aktuelle Entscheidung des EuGH fügt diesem Bereich eine neue Facette hinzu.

In Polen wurde ein Bauauftrag vergeben. Im Bauvertrag war eine 36-monatige Garantie vereinbart; soweit der Vertrag nichts ausdrücklich regelt, sollte das polnische Bürgerliche Gesetzbuch gelten.
Nun kam es mehrfach zu Mängeln. Der letzte Mangel wurde nach Ablauf der Garantiefrist gemeldet, der Auftragnehmer verweigerte deshalb die Behebung. Das polnische Gericht war der Meinung, dass eine Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für Kaufverträge analog anzuwenden sei, die sagt, dass bei einer wesentlichen Reparatur die Garantiefrist neu zu laufen beginne. Daher wäre der Auftragnehmer doch zur Mangelbehebung verpflichtet. Da aber das Gericht unsicher war, ob diese Auslegung auf Basis der EU-Vergaberichtlinien zulässig wäre, legte es diese Frage dem EuGH (der das „Auslegungsmonopol“ für die Richtlinien hat) vor.

Die Entscheidung

Der EuGH verweist zunächst auf die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz. Alle Bieter müssen demnach gleiche Chancen bei der Angebotserstellung zu gleichen Bedingungen haben. Weiters müssen diese Bedingungen klar, genau und eindeutig formuliert sein, damit alle „durchschnittlich fachkundigen Bieter bei der Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung erkennen und sie in gleicher Weise verstehen können“.
Sodann erläutert der EuGH, dass ein Auftraggeber seine eigenen Bestimmungen einhalten muss und sie nicht nach Belieben ändern darf. Was das mit dem Ausgangssachverhalt zu tun hat, bleibt allerdings unerfindlich (es geht ja um die Auslegung des Vertrags durch das Gericht, nicht um eine „willkürliche“ Vorgangsweise des Auftraggebers).
Betreffend die konkrete Garantiefrist muss laut EuGH jeder Bieter die Länge dieser Frist und die Umstände, die sie verlängern, erkennen können. Wenn sich dies nur durch Auslegung von nationalen Bestimmungen ergibt, „die nicht unmittelbar auf diesen Vertrag anwendbar sind“ (also Bestimmungen aus dem Kaufvertragsrecht, die analog auf einen Bauvertrag angewendet werden), dann ist das „für Bieter, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben, besonders benachteiligend“. Von solchen Bietern kann nicht das gleiche Maß an Kenntnis des nationalen Rechts verlangt werden wie von „einheimischen“ Bietern.

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Hinreichend klar erkennbar

Da die analoge Anwendung von Kaufvertragsrecht weder aus der Ausschreibung noch aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch direkt hervorging, sondern bloß „Ergebnis einer gerichtlichen Auslegung und Gegenstand eines Meinungsstreits zwischen nationalen Gerichten und Lehre“ sei, war der bloße vertragliche Verweis auf die ergänzende Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht geeignet, einem „durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt“ den Garantieinhalt hinreichend klar erkennbar zu machen. Daher ist eine solche analoge Auslegung von Kaufvertragsvorschriften auf einen Bauvertrag aus EU-vergaberechtlichen Gründen – zur Einhaltung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgebots – nicht zulässig.

Interessante Sichtweise

Letztlich schränkt dies der EuGH aber noch wie folgt ein: Ob diese analoge Auslegung für den gegenständlichen Auftragnehmer (ein Konsortium, dessen federführender Partner ein polnisches Unternehmen ist) „hinreichend klar und vorhersehbar war“, hat das nationale Gericht zu prüfen und zu entscheiden. Offenbar kann es also im Ergebnis sein, dass zwar zum Schutz des grenzüberschreitenden Wettbewerbs – also für ausländische Auftragnehmer – eine solche analoge Auslegung des nationalen Rechts verboten ist, aber bei nationalen Auftragnehmern doch zulässig sein kann. Das ist eine interessante Sichtweise des Gleichbehandlungsgrundsatzes.


Der Autor

Thomas Kurz
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RA Mag. Thomas Kurz ist Rechtsanwalt bei
Heid und Partner ­Rechts­­­anwälte GmbH, ­Kundmanngasse 21, A-1030 Wien
www.heid-partner.at