Pensionierungswelle

Vom Geben und Nehmen

Betriebsübergabe
04.01.2024

Die Pensionierungswelle rollt an und wird in den nächsten Jahren auch vor der Tischlerbranche keinen Halt machen. Daher ist man gut beraten, sich rechtzeitig mit der Betriebsübergabe bzw. Übernahme auseinanderzusetzen.
Betriebsübergabe, -nahme

Das Rauschen im Hintergrund ist schon zu hören. Gemeint ist jenes der anrollenden Pensionierungswelle, die in den nächsten Jahren alle Bereiche der heimischen Wirtschaft treffen wird. Insgesamt stehen laut KMU Forschung Austria bis 2027 etwa 42.000 kleine und mittlere Unternehmen zur Übergabe an, das sind 26 Prozent aller KMU der gewerblichen Wirtschaft. Detaillierte Zahlen für die Tischlerbranche gibt es keine, dennoch ist anzunehmen, dass auch hier der Anteil der in Bälde zu übergebenden Betriebe ein hoher ist – und das Thema damit ein akutes. Unabhängig davon, ob die Nachfolge innerfamiliär oder extern geregelt wird, sind viele Punkten zu beachten, damit ein oft seit Generationen bestehender Betrieb erfolgreich weitergeführt wird und die Erwartungen beider Seiten erfüllt werden. Denn eine Übergabe bzw. -nahme ist eine individuelle Angelegenheit und ein großes Risiko. Daher ist es essentiell, sich beraten zu lassen, mit Vertrauenspersonen und Expert*innen Rücksprache zu halten und langfristig zu planen.  Im Idealfall sollte der Vorlauf fünf bis zehn Jahre betragen.

Bereit für die Übergabe

„Gestandene Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine Firma ein Leben lang erfolgreich aufbauen, sammeln viele wertvolle Erfahrungen – aber häufig fehlt ihnen die entscheidende Erfahrung der Firmenübergabe an die nächste Generation“, nimmt Christian Fuchs, Family Business-Experte und Beirat Leitbetriebe Austria (LBA) die Übergeber-Generation in die Pflicht. Erfreulich sei, dass Unternehmensübergaben zunehmend besser geplant werden und externe Hilfe öfter in Anspruch genommen wird.

Laut Statistik scheitern nur zwanzig Prozent der Firmenübergaben an fachlichen und sachlichen Problemen. 80 Prozent allerdings an persönlichen und emotionalen Themen.

Christian Fuchs, Family Business-Experte

Christian Fuchs, Family Business-Experte
Christian Fuchs, Family Business-Experte

Die häufigsten Fehler

„Laut Statistik scheitern nur zwanzig Prozent der Firmenübergaben an fachlichen und sachlichen Problemen. 80 Prozent allerdings an persönlichen und emotionalen Themen“, so Fuchs. Die häufigste Ursache für Fehler bei der Weitergabe sind laut einer Umfrage, die der Experte 2022 gemeinsam mit LBA und dem Market Institut durchführte, in erster Linie ein Streit in der Familie (43 Prozent), gefolgt von dem Nicht-Loslassen-Können und einem ungeordneten Übergang durch Erkrankung oder Sterbefall. Erst an vierter Stelle auf der Skala des Scheiterns stehen unternehmerische Gründe, wie der Wandel des Geschäftsmodells, der es unmöglich macht, eine Firma in die nächste Generation zu führen. Finanzierungsprobleme sind – auch wenn man anderes vermuten würde – die Ausnahme: Hier liegt der Anteil unter zehn Prozent.

Eine eigene Verfassung

„Einer der häufigsten Konflikte entsteht, wenn es keinen klaren Übergabeplan und -Zeitpunkt gibt, der Übergeber nicht loslassen kann und der Übernehmer keinen eigenständigen Bereich bekommt“, so Fuchs weiter. Für ihn ist das Erarbeiten einer Familienverfassung ein gutes Mittel, um Stolpersteinen so gut wie möglich zu vermeiden. „Die Familienverfassung ist eine von allen Mitgliedern einer Unternehmerfamilie gemeinsam ausgearbeitete und beschlossene schriftliche Zusammenfassung von Absichten, Zielen, Werten, Rechten und Pflichten“, erklärt der Berater. Ziel ist, das Gefüge „Familie“ zu stabilisieren, indem man strukturiert die einzelnen Themen angeht. Dabei steht nicht der Vertrag im Vordergrund, sondern die Verständigung auf das gemeinsame Interesse – nämlich den Betrieb erfolgreich weiterzuführen.

Externer Übernehmer

Wie all diese Theorie in der Praxis aussehen kann, zeigen zwei Beispiele. In die Kategorie „außerfamiliäre Übernahme“ fällt Klaus Nenning. Der Tischlermeister und Landesinnungsmeister in Vorarlberg übernahm 2001 das Unternehmen Lenz Nenning Möbelhandwerk in Dornbirn von Günter Lenz, der die 1938 gegründete Tischlerei bis dahin in zweiter Generation führte. „Irgendwann nach der Meisterprüfung wurde mir klar, dass ich mich selbständig machen will. Eine Neugründung war keine Option, so habe ich mir einige Betriebe angeschaut, die zur Übernahme zur Ver­fügung standen“, erzählt Nenning. Seine Leidenschaft, größere Projekte und Objektaufträge in Zusammenarbeit mit Architekt*innen und Planenden detailgenau umzusetzen, wäre mit einem kleinen Betrieb nicht möglich gewesen bzw. wäre ein langfristiger Personalaufbau von Nöten gewesen. So entschied sich der damals 30-Jährige, den Schritt zu wagen und die mit 20 Mitarbeiter*innen (heute sind es 25) relativ große Firma zu übernehmen. Die Vorteile lagen auf der Hand: Nenning hatte in dem Betrieb gelernt, kannte ihn quasi „wie seine Westentasche“, hatte als Werkstättenleiter bereits eine große Verantwortung inne und genoss das Vertrauen des Inhabers. Die Übernahme erfolgte schrittweise und immer in gutem Einvernehmen: „2001 haben wir die Umgründung eingeleitet, ich wurde als geschäftsführender Gesellschafter eingesetzt, und habe 50 Prozent, 2010 schließlich 90 Prozent übernommen.“ Zehn Prozent hält nach wie vor Günter Lenz, der mit seinen 82 Jahren noch eine beratende Funktion innehat. „Unsere Rhythmen haben gut zusammengestimmt, auch der langsame Rückzug und der Doppelname im Firmenwortlaut wurden bewusst gewählt“, so der Tischlermeister.

Oft dauert es zu lange, bis die Verantwortung wirklich übertragen wird.

LIM Klaus Nenning, Lenz-Nenning Möbelhandwerk

LIM Klaus Nenning, Lenz-Nenning Möbelhandwerk
LIM Klaus Nenning, Lenz-Nenning Möbelhandwerk

Unabhängige Beratung

Auch wenn bei Klaus Nenning alles gut lief und läuft, kann er die Knackpunkte benennen: „Oft dauert es zu lange, bis die Verantwortung wirklich übertragen wird und der Noch-Inhaber loslässt.“ Zudem mache es für Unternehmer*innen viel Sinn, sich schon in der Planungsphase unabhängig beraten zu lassen, insbesondere in finanziellen, steuerlichen und rechtlichen Belangen. Und das habe nichts mit Misstrauen zu tun, sondern helfe dabei, den eigenen Weg zu finden, alte Muster aufzubrechen und erfolgreich in die neue Phase zu starten. Nenning sieht eine ernsthafte Perspektive darin, dass die Übergebenden den Nachfolgenden hier ein Budget zur Verfügung stellen, denn „mehrere tausend Euro für eine sinnbringende Betriebsberatung  zu allen anderen Aufwänden auch noch zu stemmen, stellt definitiv eine große Hürde dar“.

Wem gehört Was?

Auch der Punkt Eigentum ist einer, der mitunter vernachlässigt wird. „Ich habe für die Übernahme Privatvermögen eingebracht und einen Kredit aufgenommen. Daher wäre ich diesen Schritt ohne die grundlegende Perspektive, den Betrieb inklusive der Liegenschaft zu übernehmen, nicht gegangen. Ich wollte in keinem Fall mein Leben lang Miete zahlen und  im Grunde nichts in der Hand haben“, erinnert sich Klaus Nenning. In seinem Fall habe man beim Einstieg einen entsprechenden Vertrag aufgesetzt, der den Erwerb in einem gewissen Zeitrahmen zu einem Fixpreis ermöglichte. Ein weiterer Tipp aus der Praxis: Ist eine betriebliche Erweiterung geplant, sollte man sich im Vorfeld erkundigen, ob dies überhaupt möglich ist. Denn es kann (unnötig) teuer werden, wenn man jahrelang auf Bewilligungen oder Umwidmungen warten muss.

Gegenseitige Akzeptanz

Abgesehen von den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen muss auch die Chemie stimmen.  Sowohl zwischen Übergebenden und Übernehmenden, als auch zwischen den Mitarbeiter*innen und der neuen Chefin, dem neuen Chef. „Ausstattung und Spezialisierung kann man ändern, bei den handelnden Personen ist das nicht so leicht“, sagt Klaus Nenning, der überzeugt ist, „dass die Köpfe zusammenpasse müssen, damit ein Unternehmen rund läuft. Wichtig sind Akzeptanz und ein partnerschaftliches Miteinander“.

Follow me

Gerade am Anfang in seiner Rolle als Chef steht der Steirer Gerhard Schuster. Wie der Betrieb von Klaus Nenning feierte auch seine Tischlerei heuer das 85-Jahr-Jubiläum, ansonsten ist die Geschichte sehr unterschiedlich. Bei Schuster erfolgte die Übernahme innerhalb der Familie, genau dafür ist der 34-Jährige nun auch für den Follow me Award nominiert. Der steirische Berwerb holt die Chancen durch Betriebsnachfolgen anhand erfolgreicher Beispiele vor den Vorhang. Auf der Webseite finden sich zahlreiche Tipps, von denen Betriebe in allen Bundesländern profitieren.

Das Schicksal hat entschieden

Die Betriebsübernahme durch Gerhard Schuster jun. in vierter Generation war eigentlich für 2028 vorgesehen. Dass es dann doch schneller ging, war einer schweren Erkrankung von Vater Gerhard Schuster 2021 geschuldet – die der 59-Jährige heute zum Glück im Griff hat. „Wir haben im Jänner 2022 mit unserem großen Umbau begonnen, offiziell übernommen habe ich Anfang April 2022. So war die bauliche Veränderung gleichzeitig der Wendepunkt in der Führung des Betriebs. Da ich bereits davor in der Tischlerei tätig war, ist alles relativ gut über die Bühne gegangen. Das hat auch die große Resonanz bei der Eröffnung unserer neuen Räumlichkeiten mit über 700 Gästen am 21. Mai 2023 gezeigt“, freut sich Gerhard Schuster.

Erfahrungen sammeln

„Mein Vater hat mich nie zu etwas gedrängt, dennoch ist einem der Beruf in die Wiege gelegt. Allerdings war mir früh klar, dass ich nicht der reine Handwerker bin. So war es mir wichtig, alle Seiten des Tischlerberufs kennenzulernen.“ Schuster jun. absolvierte nach der  Fachschule für Tischlerei in Hallstatt die  Meisterschule an der Ortweinschule Graz. Nach dem Zivildienst „schnupperte“ der Steirer in mehrere Firmen und Bereiche hinein: in die Produktion, die Planung und den Verkauf: „Ich wollte viele Erfahrungen sammeln um zu sehen, wie ich unseren Betrieb weiterentwickeln möchte.“

Der blick fürs Ganze

Die Kund*innen kommen zu 80 Prozent aus der Region und dem privaten Sektor. Seit 2019 hat sich die Zahl der Mitarbeitenden von vier auf acht verdoppelt, die Spezialisierung geht immer mehr in Richtung Komplettanbieter. „Wir planen und produzieren Einrichtungen in der eigenen Werkstatt, Komponenten wie Fenster, Türen und Böden kaufen wir ebenso wie Teppiche, Vorhänge u.ä. zu“, sagt Gerhard Schuster und erklärt die neue Strategie: „Mein Vater hat sich vor allem auf die Möbelproduktion konzentriert. Ich habe dann den Möbel- und Küchenhandel, den Verkauf und vor allem die Planung forciert und fungiere mittlerweile als Gesamteinrichter, teilweise als Generalunternehmer und Regionalentwickler“, so der Tischlermeister, der sich bereits ein großes Netz an Partnergewerken aufgebaut hat. Denn hierin liegt seiner Ansicht nach die Zukunft: Tischler als Komplettanbieter in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit ortsansässigen Unternehmen zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung.

Für mich war die Übernahme fast ein Neuanfang. Auch wenn wir ein sehr gutes Verhältnis haben – die interfamiliären Differenzen blieben auch bei uns nicht aus.

Gerhard Schuster, Tischlerei Schuster

Gerhard Schuster, Tischlerei Schuster
Gerhard Schuster, Tischlerei Schuster

Zahlreiche Herausforderungen

Dass man zwar vieles übernehmen kann aber noch viel mehr anders machen muss, weiß Gerhard Schuster sehr genau. „Für mich war die Übernahme fast ein Neuanfang. Auch wenn wir ein sehr gutes Verhältnis haben – die interfamiliären Differenzen blieben auch bei uns nicht aus. Das ist schon in unseren Persönlichkeiten begründet: Mein Vater ist der ruhige Sicherheitsdenker, ich derjenige, der „Vollgas“ gibt und investiert. Ich habe eine analoge Produktionsstätte übernommen und musste zum Beispiel die EDV beinahe komplett neu anlegen. Allerdings konnte ich so auch alles nach meinen Vorstellungen umsetzen.“

Luft nach oben

Auch wenn es bei den Förderungen Luft nach oben gibt – Dranbleiben und Eigeninitiative lohnen sich allemal. Unter anderem beraten die Innungen, das Austria Wirtschaftsservice und die Förderstellen der Länder. Gefördert werden etwa klassische Innovationsthemen, Beratungen, Technologisierungs- und Umweltschutz-Maßnahmen. Ein aktuelles Bespiel ist Maria Praxmarer, die die Tischlerei Holzträume bereits vor einigen Jahren von ihrem Vater Karl Simek übernahm. Sie nützte heuer die Energiespar-Förderung der Wirtschaftsagentur Wien für die Sanierung der Werkstattfenster. Für Schnellentschlossene mit Standort Wien ist diese Förderung mit einer Quote von 60 Prozent und einer maximalen Fördersumme von 20.000 Euro noch bis Ende des Jahres lukrierbar.

Branchen
Tischlerei