Datenqualität am Bau

"BIM ist eigentlich trivial"

BIM
28.03.2023

Aktualisiert am 29.03.2023
Datenexperte Otto Handle über Datenqualität, ­Ökologisierung und digitale Gebäudemodelle.
Otto Handle, Eigentümer und Geschäftsführer von Inndata
Otto Handle, Eigentümer und Geschäftsführer von Inndata

Daten sind das neue Gold in der Baubranche. Ohne Daten kein digitales Gebäudemodell, keine Ökologisierung und auch keine Finanzierung. Otto Handle, Gründer und Geschäftsführer von Inndata, beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten damit, Daten zu digitalisieren, zu standardisieren und zu verbessern. Warum Europa Weltmeister im Verdrängen ist, in welchem Bereich Österreich datentechnisch zu den Vorreitern gehört und dass BIM gar nicht so kompliziert sein müsste, darüber haben wir mit dem Datenexperten gesprochen. 

Seit 25 Jahren dreht sich bei Ihnen alles um das Thema Daten in der Baubranche. Ein Aufgaben-­Schwerpunkt von Inndata ist die Standardisierung und Digitalisierung von Baustoffdaten. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Otto Handle: Die Baustoffdaten sind ein ­weites Feld, mit dem wir uns nun schon seit Jahrzehnten beschäftigen. 2018 haben wir gemeinsam mit dem Verband der Baustoffhändler Österreichs und den Baustoff­industrieverbänden ZIB und F.B.I. den ­Arbeitskreis Digitalisierung gestartet. Seitdem hat sich sehr viel getan, und ich bin überzeugt, dass es mittlerweile nirgends in Europa so gute Baustoffdaten gibt wie in Österreich. Wir haben vollständig strukturierte, ­maschinenlesbare und maschineninter­pretierbare Daten – sowohl von den Baustoffeigenschaften als auch von den Bauprodukten genauso wie von der Verpackungshierarchie. Wir haben eine durchgängige Definition mit eindeutigen Artikelnummern auf ­Basis des GS1-Standards und sogar Kompatibilität mit den Anforderungen der BIM-­Normen wie der ­österreichischen A 6241-2. All diese Informationen stehen vollinhaltlich zur Verfügung. 

Warum wird dann die Datenqualität zum Teil noch immer kritisiert?

Handle: Die Datenbank mit einheitlichen ­Daten gibt es. Das Problem ist aber, dass es österreichweit mindestens zwei Dutzend Softwaresysteme für den Baustoffhandel gibt, und jedes arbeitet anders. ­Daraus erklärt sich eine gewisse Frustration bei manchen Ausführenden. Denn der Baumeister bekommt nicht die Daten aus der standardisierten Datenbank, sondern das, was der Händler daraus gemacht hat. Das heißt, die Datenqualität per se ist wirklich gut, aber bei der Datenweitergabe gibt es noch Probleme. 

Wie kann man die Datenweitergabe verbessern?

Handle: Der erarbeitete Standard hat sich in der Baustoffindustrie schnell verbreitet, wodurch wir sehr schnell zu einer guten Datenlage gekommen sind – das wissen auch die Softwarehersteller. Nun müssen diese Daten so aufbereitet werden, dass die verschiedenen Händler mit den verschiedenen Softwarelösungen sie sinnvoll in ihre Systeme integrieren können. Inndata wurde vom Baustoffhändlerverband als ­Clearingcenter mit dieser Aufgabe beauftragt. Wir ­haben mit dem Arbeitskreis Digitalisierung vereinbart, dass wir die Daten aufs Einheitensystem ­mappen und den Händlern die Daten in den Formaten ­liefern, die sie gerne hätten. Für die Händler bringt dies eine ­wesentliche Erleichterung, weil sie mit ­ihren gewachsenen Artikelstämmen weiterarbeiten und die ­Daten besser verknüpfen können. Das ist natürlich ein langwieriger Prozess, in den auch die Händler sehr viel Arbeit und Zeit investieren. Das sieht man auch daran, dass die Gewerbekunden mittlerweile in den ­Onlinesystemen der Händler eine viel bessere Qualität der Daten und der Darstellung bekommen. 

Ist damit das Problem gelöst?

Handle: Wenn man nun als Bauunternehmer eine vollwertige digitale Infrastruktur hat und im Worst Case von fünf Händlern wieder fünf verschiedene ­Datenstrukturen bekommt, ist das nicht immer ideal. Hier arbeiten wir an allgemeingültigen Schnittstellen von Handel und Industrie in jede Gewerbesoftware. Aber: Es sickert langsam ein. Man muss ganz vorne bei der Datenentstehung anfangen, und das sind nun mal Hersteller und Planer – dann kommt der Rest. 

Wie weit ist der Weg noch?

Handle: Wenn ich von eins bis 100 ausgehe, dann waren wir 1998 bei minus eins, da gab es massive ­Widerstände. 2018 – zu Beginn der Arbeitskreise – ­waren wir vielleicht bei 40 Prozent. Jetzt, nachdem wir die Ergebnisse der Arbeitskreise umgesetzt haben, sind wir bei 75. In den letzten drei Jahren ist demnach gleich viel passiert, wie in den 20 Jahren davor. Die letzten 25 Prozent werden wieder dauern, weil so viele Player im Spiel sind. Es werden auch nicht alle in die Datenhaltung investieren. Aber zumindest haben wir die notwendigen Voraus­setzungen geschaffen. Der nächste Schritt ist, die Daten auch ins digitale Gebäude­modell zu integrieren – sofern es überhaupt schon eines gibt. In Sachen BIM ist das Beharrungsvermögen der Planer groß, denn der Aufwand ist vergleichsweise groß, die Kosten hoch und der grundsätzlich erhebliche Nutzwert kann vom Planer selbst oft nicht lukriert werden. Aber wenn ich von Ökologi­sierung des Bauwesens rede, geht es einfach nicht ohne digitale Gebäudeplanung und die digitalen ­Folgeprozesse. Anders kann man die notwendigen Nachweise und ­Dokumentationen personell nicht abbilden. In der Tiroler Bauordnung steht zum Beispiel ein Passus, dass man für das Genehmigungsverfahren nicht nur den Energieverbrauch ermitteln, sondern auch einen Variantenvergleich nachweisen muss. Das ist gescheit, aber nur realistisch mit einem digitalen Gebäudemodell. 

Variantenvergleich
Netzgrafik: Variantenvergleich

Aber es arbeitet ja nur ein Bruchteil der Planer mit dem digitalen Gebäudemodell. 

Handle: Deshalb ist mit dem Land Tirol gerade ein Forschungsprojekt in der Ausarbeitung, bei dem es darum geht, die Planer ressourcentechnisch in die Lage zu versetzen, möglichst viele Umsetzungsvarianten in verschiedenen Dimensionen zu prüfen, damit die Bauherrschaft seriöse Entscheidungen ­treffen kann.

Haben Sie das Gefühl, dass die Bedeutung des ­digitalen Gebäudemodells langsam auch bei der Masse der Planer und Ausführenden einsickert?

Handle: Nein, das hab ich nicht. Da passiert genau dasselbe wie bei der Whistleblower-Richtlinie. Am 17. Dezember 2023 muss jedes Unternehmen über 50 Mitarbeiter diese Whistleblower-Richtlinie einhalten. Haben Sie schon mal gefragt, wie viele überhaupt schon davon gehört haben, geschweige denn sich Gedanken zur Umsetzung gemacht haben? Bei der ­aktuell geltenden Bauprodukteverordnung war es das Gleiche. Zwei Jahre lang hat kein Hahn ­danach gekräht, und drei Monate vor Inkrafttreten wurden auf einmal alle ganz nervös. Und genau so wird es auch bei der neuen Bauprodukteverordnung sein. In ­Europa ist man Weltmeister im Verdrängen. 

Die Ökologisierung von Gebäuden ist ohne digitales Gebäude­modell nicht möglich. In den nächsten drei bis vier Jahren werden die Planer von BIM überrollt. 

Otto Handle, Inndata

Ganz so einfach zu ignorieren wird das diesmal nicht, immerhin sind schon jetzt durch das Legislativpaket zum Green Deal die Finanzierungsbedingungen erschwert, wenn man nicht die notwendigen Nachweise hinsichtlich Nachhaltigkeit, Ökologie und Co bringt.

Handle: Das stimmt. Der Gebäudeerrichter benötigt all diese Auswertungen, sonst zahlt er mehr Zinsen. Dem Planer wird nichts anderes übrigbleiben: Er muss diese Nachweise liefern. Und mit einem 2D-Plan ist es nicht ohne übermäßigen Aufwand abbildbar. Das funktioniert nur mit einem digitalen ­Gebäudemodell in Kombination mit zentralisiert verfügbaren ­Daten. Dadurch werden Planer in den nächsten drei bis vier Jahren von BIM überrollt. Nicht, dass ich es mir ­wünschen würde, aber es lässt sich nicht vermeiden. 

Welchen Zugang raten Sie Unternehmen, die sich noch nicht mit BIM beschäftigt haben?

Handle: In der Übergangsphase ist es zweckdienlich, sich zu überlegen, was man mit dem digitalen Gebäudemodell tun kann. So ein Modell hat enormes Potenzial, den Planern und Ausführenden das ­Leben zu erleichtern. Zum Beispiel lassen sich blitzartig ­Kostengrundlagen erstellen oder Materialermittlungen für die Beschaffung rausziehen. Das muss nicht einmal mit großen Investitionen einhergehen, denn für die reine Datenauswertung gibt es viele abgespeckte beziehungsweise zum Teil sogar kostenfreie Versionen der Softwaresysteme. 

Es sind aber nicht nur die Kosten, die viele bei BIM abschrecken, sondern auch die Komplexität.

Handle: Eigentlich ist BIM ja ganz einfach. Drei­dimensionale Objekte werden in einem 3D-­Planungsprogramm mit Informationen in klar definierten Parametern angereichert und zu kompletten Gebäude­modellen zusammengesetzt. Diese kann man dann als 2D-Pläne ausdrucken und über den ­gesamten Gebäude­lebenszyklus als wertvolle Informa­tionsquelle für Wartung, Betrieb und geordneten Rückbau verwenden. Nicht trivial ist die Komplexität, die drumherum produziert wird und die weit­gehend unnötig wäre. Dass man es in den letzten Jahren nicht geschafft hat, Modelle fehlerfrei zu übertragen, ist nicht zwingend systemimmanent.

Wer ist daran schuld?

Handle: Man muss hier nicht über Schuld diskutieren, das hat sich über viele Jahre entwickelt. Was aber sicher damit zu tun hat, ist ein völlig ­überzogenes Normenwesen. Und die laufenden Versuche von Lobby­ingorganisationen wie BSI, die dem Markt zusätzliche Zertifikate und Standards aufzuzwingen, tun ein Übriges. Hinzu kommen Partikular­interessen verschiedener Marktteilnehmer, die den Markt abschotten wollen. Es wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, wo ein Anbieter das Ganze auf eine für den Anwender verständliche Ebene runterbricht, und dadurch wird sich alles ändern. Um Auto zu fahren, muss man selbst kein Auto bauen können. Aber genau so machen wir gerade BIM. Das ­Resultat sind 6.000 Planer in Österreich, die mit einem unfass­baren Komplexitäts­grad konfrontiert werden, vor dem sie nicht geschützt werden und der vielleicht auch gar nicht notwendig wäre. Natürlich verliert man dann die Freude daran. Das ganze Normungsumfeld ist mit Sicherheit etwas, das den Prozess bremst. Ich glaub auch nicht, dass es in dem Umfang notwendig ist, ob es vermeidbar ist, ist eine andere Frage.

Zurück zur Datenqualität und -quantität. Wie Sie schon sagten, lässt sich die Ökologisierung von Gebäuden nur auf Basis von Daten vorantreiben. Da stellt sich die Frage: Haben wir genug Daten?

Handle: Fast. Die EPDs sind noch ein Schwachpunkt – einfach weil es noch nicht viele gibt. Gruppen-­EPDs sind zwar nicht so genau, helfen aber, die Daten­lage zu verbessern. Generell bin ich aber ein Fan des Pareto-­Prinzips. Wenn ich jetzt eine zu 90 Prozent genaue Aussage bekomme, welche Bauweise besser ist, dann ist das doch sinnvoller, als wenn ich auf die ­vollen 100 Prozent noch zehn Jahre warten muss! Es ist mittlerweile also nicht mehr eine Frage der Daten­lage, sondern die Frage, wie die Daten miteinander verknüpft und ins digitale Gebäude­modell integriert werden – sofern es dieses überhaupt schon gibt. ­Womit wir wieder beim Anfang wären.

Branchen
Bau