Merkmalservice

Die BIM-Übersetzer

BIM-Standards nicht vereinheitlichen, sondern übersetzen, ist das Ziel des ÖBV-Forschungsprojekts "Merkmalservice". René Holzer und Florian Kleedorfer im Interview.
V. l. René Holzer (FCP) und Florian Kleedorfer (Research Studio) betreuen das ÖBV-Forschungsprojekt "Merkmalservice".

Die Digitalisierung der Baubranche ­schreitet voran. Viele Auftraggeber, Planer und Baufirmen haben sich bereits mit digitalen Arbeitsweisen auseinandergesetzt und ihre Prozesse standardisiert und digitalisiert. Dies erforderte auch eine unternehmensweite Standardisierung der dafür notwendigen Informationen. In jedem Unternehmen erfolgte dies separat, daher unterscheiden sich alle Unternehmensstandards voneinander. Egal wie gering der Unterschied der Standards sein mag, die digitalen Systeme sind nicht auf Unterschiede in den Datenstrukturen ausgelegt und strafen die ­Branche mit Inkompatibilität ab. Damit entsteht in jeder neuen Kooperation erneut der Aufwand, sich auf sein Gegenüber einstellen zu müssen. 
Seit zwei Jahren versuchen Branchenexperten, initiiert von der Österreichischen Bautechnik ­Vereinigung (ÖBV), im Rahmen eines FFG-Projekts Lösungen für dieses Problem zu finden. Das Ergebnis ist der Prototyp eines Merkmalservices, das Unternehmensstandards übersetzen soll. Wie das funktioniert, welche Rolle Übersetzungsregeln spielen und warum eine Standardisierung eher unwahrscheinlich ist, erklären die beiden Projektverantwortlichen René Holzer und Florian Kleedorfer im Interview.

Was war die Idee hinter dem Projekt Merkmalservice?

René Holzer: Die Idee des Merkmalservices ist, dass Unternehmen über einen offenen Workflow miteinander arbeiten können, ohne ihre eigenen internen Systemprozesse an die Daten anpassen zu müssen. Im Gegenteil, mithilfe des Merkmalservices werden die Daten an die Systemprozesse der Unternehmen angepasst. Das Merkmalservice dient dabei sowohl als Übersetzungs- als auch Verwaltungsplattform. 

Das klingt relativ abstrakt – wie genau funktioniert das Merkmalservice für die Anwender?

Holzer: Die Unternehmen spielen ihre Standards in die Plattform des Merkmalservices ein. BIM-Modelle im IFC-Format können mittels eines Desktop-Tools, das die Übersetzungsregeln von der Plattform herunterlädt, in den Zielstandard konvertiert werden. Für jede Kooperation zwischen zwei Unternehmen, bei denen IFC-Modelle ausgetauscht werden ­sollen, wird im Merkmalservice ein "Projekt" angelegt. Im ­Anschluss daran werden Kopien der jeweiligen Unter­nehmensstandards in das Projekt importiert und die benötigten Übersetzungsregeln dort angelegt und verwaltet. Die Daten werden automatisch in den unternehmensinternen Standard konvertiert.

Sabine Hruschka, Asfinag Baumanagement GmbH

Aus der Praxis

Bei der Konvertierung in den IFC-Standard ­haben die Unternehmen häufig mit Informationsverlusten zu kämpfen. Wie geht das Merkmal­service mit diesem Problem um?

Holzer: Dieser Intelligenzverlust ist nur dann ein Pro­blem, wenn ich das Modell auch weitergehend verändere. Die Prozesse, die wir hingegen ansteuern wollen, sollen eigentlich gar keine Veränderung an den Modellen verursachen. Es geht vielmehr darum, dass Anwender die Modelle zur Auswertung in ihren Systemprozessen verwenden können, zum Beispiel, um aus dem Modell Massen für die Kalkulation herauszuziehen. Wir wollen ein IFC-Modell nicht für die Übergabe von Planer zu Planer aufbereiten, sondern die Daten für Folge­prozesse besser nutzbar machen.

Aktuell befindet sich das Merkmalservice im ­Prototypstadium. Was ist damit schon alles ­möglich? 

Holzer: Als Proof-of-Concept haben wir ein kleines Testmodell entwickelt, das die Expert*innen der Bauunternehmen in den jeweils eigenen Standard übersetzt, und damit die für die Angebotslegung üblichen Mengenberechnungen durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass der Prozess funktioniert und dass wirklich nur Veränderungen vorgenommen wurden, die wir über Regeln abgebildet haben. 
Florian Kleedorfer: Außerdem haben wir den Merkmalservice mit einem ansatzweise ­realistischen Regelset an einem größeren Modell mit 300 Wohneinheiten getestet. Hier hat der Übersetzungsvorgang nur wenige Minuten gedauert – das beweist, dass das Tool diesen Anforderungen gewachsen ist. Das Feed­back der Stakeholder zeigt: Sie können das Merkmalservice ­wirklich brauchen. Und der IFC-Standard, der oft ein ­ungeliebtes Stiefkind bei den Branchenakteuren ist, kann mit entsprechenden Hilfsmitteln doch nützlich sein. 

Florian Hornyik, Strabag AG

Aus der Praxis

Sie sprechen von Übersetzungsregeln – wer erstellt dieses Regelset?

Holzer: Es gibt vordefinierte ­Übersetzungsaktionen wie etwa: "Merkmal umbenennen" oder "Wert ­ändern", die wir im Rahmen des Forschungs­projekts erarbeiten. Die Anwender legen damit Regeln an, die aus Filterbedingungen und solchen ­Aktionen ­bestehen: Auf alle Elemente im Modell, die die ­Filterbedingungen erfüllen, werden die Aktionen angewandt.
Kleedorfer: Man muss sich vielleicht beim ­ersten Mal kurz hineinarbeiten, aber die Leute ­werden durchaus kreativ und entwickeln eigenen Regelkombi­nationen und Lösungen. Und genau das ist auch derzeit unser Entwicklungsfokus: Wie verwenden die Unternehmen das Merkmalservice und was brauchen sie noch? 

Haben sich bereits künftige Entwicklungsschwerpunkte herauskristallisiert? 

Kleedorfer: Ein Punkt, den das System derzeit noch nicht bietet, ist die Darstellung in einem 3D-­Modell. Aktuell muss man in dem System Regeln anlegen, die Übersetzung durchführen und sich das Ergebnis in einem anderen Viewer anschauen. Hier arbeiten wir an einer besseren Lösung. Das ist auch ein gutes Beispiel für unsere grundsätzliche Stoßrichtung. Der Workflow funktioniert, jetzt wollen wir ihn einfacher und User-freundlicher machen. 
Holzer: Was auch noch zu optimieren ist, ist das Regelset. Wir haben im Merkmalservice bereits Regeln implementiert, aber dadurch, dass immer mehr Standards eingespielt werden, müssen auch zusätzliche Regeln für die Übersetzungen erstellt werden. Diese funktionieren schließlich nicht immer eins zu eins.

Von wie vielen Regeln reden wir hier? Und wie viel Aufwand bedeutet das für die Unternehmen, die die Regeln im Vorfeld definieren müssen?

Kleedorfer: Die BIM-Experten im Konsortium schätzen, dass man je nach Anwendungsfall etwa 20 bis 40 Regeln benötigt. Für deren Definition benötigt man ein paar Stunden.
Holzer: Der Vorteil aber ist, dass man diesen Aufwand nur einmal hat. Die Regeln können dann für jede Übersetzung in diesen Standard wiederverwendet werden. Und man muss seine internen Prozesse nicht angreifen. Derzeit ist es so, dass die Unternehmen ihre internen Systemprozesse und Standardisierungen anpassen müssen, die wiederum mit anderen Programmen wie iTWO oder SAP verknüpft sind. Das ist viel aufwendiger und auch fehleranfälliger als nur die Eingangsdatei richtigzustellen. 
Kleedorfer: Das ist auch Grund warum aus ­meiner Sicht eine vollständige, unternehmensübergreifende Standardisierung aller Tool-Chains auch in Zukunft sehr unwahrscheinlich ist. Standardisierung braucht Zeit. Gleichzeitig gibt es aber schon Tools, die die Firmen jetzt benötigen und die funktionieren müssen. Die Unternehmen können nicht ­warten, bis der Standard fertig ist. Das kann eigentlich nicht funktionieren – außer eben mit einer Übersetzung. Wenn es die gibt, werden sich vermutlich im Lauf der Zeit eine Handvoll Hauptstandards herauskristallisieren, an denen sich die meisten orientieren werden. 

Martin Skof, Habau Hoch- und Tiefbaugesellschaft

Aus der Praxis

Gibt es hinsichtlich Detaillierungsgrad und Qualität bestimmte Anforderungen, wie die firmeninternen Merkmalbibliotheken aussehen sollten? 

Holzer: Die Datenstruktur ist nur ein Baustein für eine effiziente Datenübergabe. Hinzu kommt noch die Elementteilung beziehungsweise der ­geometrischen Detaillierungsgrad – wenn das nicht zusammenpasst, ist es problematisch. Das eine Unter­nehmen ­tituliert die Widerlagerwand als Wand und das andere Unternehmen bezeichnet das ganze Bauwerk auf der Brückenseite als Widerlager. Die grundlegenden Definitionen müssen gleich sein, ­damit eine effiziente Übergabe und Übersetzung überhaupt funktionieren kann. Diese Probleme kann auch der Merkmalservice nicht lösen, da dies schon in der Modellierung berücksichtigt werden muss. Das Merkmalservice nimmt keine geometrischen, sondern nur informationstechnische Veränderungen am Modell vor. Deshalb gibt es auch innerhalb der ÖBV eine Arbeitsgruppe zum Thema Modellierleit­faden, die versucht, die Geometrie zu vereinheit­lichen. Wenn diese Projekte erfolgreich ineinandergreifen, hat das sicher einen exponentiellen Nutzen. 
Kleedorfer: Aber die Frage ging ja auch in ­Richtung Datenqualität und was kann man ­übersetzen. Anfangs dachten wir, man muss vielleicht Merkmale umbenennen, oder vielleicht sind sie dann in einer anderen Einheit. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass die unterschiedlichen Firmen auch unterschiedliche Systematiken entwickelt haben. Bei einer Firma wird zum Beispiel eine Rigipswand mit sechs Merkmalen und bei einer anderen mit vier ­beschrieben. Da muss man dann bei der Übersetzung schon komplexere Regeln zusammenstellen.

Für welche Projektphasen eignet sich das Merkmalservice? Nur für Planung und Ausführung oder auch für den Betrieb?

Holzer: Das hängt von der Elementstruktur ab. Wenn der Betrieb in diesem Punkt völlig andere Vorstellungen oder Anforderungen hat, wird es schwer.
Kleedorfer: Grundsätzlich vermuten wir aber, dass das Merkmalservice für den Betrieb sogar ein noch größeres Thema ist als für Planung und Bau. Im Normalfall ist ein Gebäude irgendwann fertiggestellt, der Betreiber muss aber über einen viel längeren Zeitraum mit dem Modell arbeiten. Wenn sich allerdings der IFC-Standard weiterentwickelt oder die FM-Plattform geändert wird, benötigt man wieder ein Übersetzungstool. 

Clemens Neubauer; PDE Integrale Planung GmbH

Aus der Praxis

Die erste Phase des Projekts wurde gerade abschlossen. Wie geht es nun weiter?

Kleedorfer: Das Projekt ist nun zwei Jahre gelaufen, und der Plan ist, es für weitere zwei Jahre zu verlängern. Der FFG-Antrag wird gerade ausgearbeitet. 
Holzer: Das Ziel ist, in den nächsten zwei Jahren zwei konkrete Projekte, eines im Hochbau und eines im Tiefbau, über das Merkmalservice abzubilden, um darzustellen, dass wir nicht Forschung "for fun" betreiben, sondern die Unternehmen auch tatsächlich einen Mehrwert davon haben. Für gewisse Bereiche wie zum Beispiel für die Übersetzung eines IFC-Modells für Angebotskalkulation könnte man es auch jetzt schon verwenden, wenn man mit den derzeitigen Übersetzungsaktionen das Auslangen findet. 

Können sich interessierte Unternehmen einfach beim Merkmalservice registrieren und es ausprobieren?

Kleedorfer: Jeder, der will, der kann das Tool unter https://merkmalservice.at ausprobieren. Ich freue mich auch immer über Feedback jeglicher Art – das hilft uns das sehr bei der Weiterentwicklung.

Veranstaltungstipp: Baukongress 2022

Mehr zum Thema Merkmalservice und zu allen Trends und Innovationen rund ums Bauen und Planen hören Sie am diesjährigen Baukongress, veranstaltet von der Österreichischen Bautechnik Vereinigung.

Wann: 28. und 29. April 2022

Wo: Austria Center Vienna, Bruno-Kreisky-Platz 1, 1220 Wien

Infos und Anmeldung unter www.baukongress.at

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