Die Wasserwaage – tauglich zur Gefällebestimmung am Flachdach?

Flachdach
05.05.2019

Die Wasserwaage ist ein Prüfgerät zur horizontalen oder vertikalen Ausrichtung eines Objekts. Zumindest eine gefasste, zu den Messflächen ausgerichtete Libelle, ist in einem in der Regel 30 bis 200 Zentimeter langen Profil aus Aluminium, Hartholz oder Kunststoff positioniert. Aber eignet sie sich zur Gefällebestimmung am Flachdach? – das fragt sich Autor Wolfgang Hubner im ersten Teil unserer neuen Artikelserie zum Thema Gefälleberechnung.
Ebenflächiger Untergrund für die Gefälledämmung.
Ebenflächiger Untergrund für die Gefälledämmung.
Vertiefter Tiefpunkt.

Wegen der Kürze üblicher Wasserwaagen (Richtwaage oder Maurerwaage) kann man damit nur einzelne Objekte, wie z. B. Balken oder Platten auf horizontale Lage überprüfen. In der weiter zurückliegenden Vergangenheit hat man, um zusammengesetzte Bauwerke, wie beispielsweise eine gesamte Mauer oder eine großflächige Pflasterung, überprüfen zu können, diese Wasserwaage auf eine längere Leiste (meist Hartholz) aufgesetzt. Daraus wäre abzuleiten, dass Wasserwaagen eigentlich Prüfgerät bzw. Werkzeug nur für den Einbau einzelner Bauteile sind und nicht der Bauwerkvermessung über größere Distanzen dienen.
Dafür gibt es unter anderem Laserwasserwaagen und das „Nivellier“, das schon seit jeher im Ingenieurbau dazu diente, Flächen zu vermessen und Höhenunterschiede festzustellen. Und der Höhenunterschied zwischen First (Hochpunkt) und Traufe (Tiefpunkt), wie wir diese Bezeichnungen vom Steildach her ja gut kennen, ist letztendlich auch das ausschlaggebende Maß für das sogenannte Gefälle am Flachdach.

Wie lässt sich das Gefälle berechnen?
Das Gefälle gibt den Grad einer Neigung an. Um diesen Wert genau zu berechnen, sind Angaben wie die Strecke und der Höhenunterschied nötig. Die Formel lautet:

Höhendifferenz in cm / Länge der Strecke in cm = Gefälle x 100 %

Ein Rechenbeispiel: Die Terrasse ist 600 Zentimeter lang und der Höhenunterschied zwischen Punkt A und Punkt B beträgt 12 Zentimeter. 12 Zentimeter geteilt durch 600 Zentimeter ergibt einen Wert von 0,02. Multiplizieren wir diesen Wert mit 100 Prozent, ergibt sich ein Gefälle von zwei Prozent.

Gefälleplanung laut neuer ÖNORM B 3691
Die aktuelle ÖNORM B 3691:2019 „Planung und Ausführung von Dachabdichtungen“ gibt jeweils ein Mindestgefälle vor, dass der Planer logischerweise nur dann anstreben darf, wenn keine wie immer gearteten Nachteile unmittelbar für die Baukonstruktion, den Nutzer oder den Auftraggeber entstehen. Insbesondere aus juristischer Perspektive ist dieser Zugang besonders zu beachten! Natürlich kann die „Verantwortung“ durch eine gebührende Warn- und Hinweispflicht an den jeweiligen Vertragspartner(4) übertragen werden.

Das mindeste Regelgefälle für Dachabdichtungen ist mit zwei Prozent, gemessen in der Falllinie der jeweiligen Dachflächen, zu planen(1). Dabei ist die zu erwartende Endverformung(2) unter Beachtung der Nutzlasten zu berücksichtigen. Wird die Verformung nicht eingerechnet, so sind mindestens drei Prozent Gefälle zu planen.
Vom Planer ist das Sollgefälle für die Prüfung des Untergrundes dem Auftragnehmer (AN) anzugeben(3). Ansonsten darf der AN davon ausgehen, dass es zu keiner weiteren Formänderung des Untergrundes kommt (Regelgefälle mindestens zwei Prozent).
Bei kleinflächigen Quergefällebereichen (z. B. Gefällekeil, Gefällezunge) zu den Entwässerungspunkten darf das Regelgefälle um bis zu ein Prozent reduziert(4) werden.

Weiters sieht die ÖNORM B 3691 vor, dass die Gefällerichtung von Quergefällebereichen grundsätzlich im rechten Winkel zur Hauptgefällerichtung zu planen ist. Somit ist auch klargestellt, dass das sogenannte Kehlgefälle, das sich aufgrund der Verschneidung dieser beiden Linien ergibt, nicht die Position ist, in der Sachverständige ihre viel zu kurze Wasserwaage auflegen dürfen.

Ganz deutlich formuliert die ÖNORM B 3691, dass eine Unterschreitung des Regelgefälles nur bei Sanierungen zulässig ist, sofern keine Nachteile unmittelbar für die Baukonstruktion, den Nutzer oder den Auftraggeber entstehen. In diesem Fall wäre eine nachweisliche Warn- und Hinweispflicht an den jeweiligen Vertragspartner zu richten.

Die Unterschreitung des Regelgefälles von bis zu 50 Prozent ist unter folgenden Bedingungen zulässig:
- die zusätzlichen Lasten durch Stauwasser sind zu berücksichtigen,
- bei Dachaufbauten der Kategorie K1 sind keine weiteren Maßnahmen zwingend vorgeschrieben,
- bei Dachaufbauten der Kategorie K2 jedoch nur wenn diese wie Kategorie K3 geplant und ausgeführt werden.
Bei Dachaufbauten der Kategorie K3 ist eine Unterschreitung des Regelgefälles nicht zulässig.

Die Umsetzung in die Praxis
Ein Hinweis findet sich noch in der ÖNORM B 3691, bevor man mit der Dachskizze beginnen kann: „Grundsätzlich ist das Gefälle im tragenden Untergrund herzustellen. Dachaufbauten mit Gefälledämmung sind zulässig“.
Mit so viel Wissen ausgestattet, kann man nun mit der Planung der Flachdachfläche beginnen. Wir erkennen den Wink in der ÖNORM B 3691, das Gefälle im tragenden Untergrund herzustellen, definieren sodann einen oder mehrere Hochpunkte und einen oder mehrere Tiefpunkte in der Stahlbetondecke. Die jeweils zueinander passenden Hoch- und Tiefpunkte verbinden wir nun mit einer geraden Linie, und voilà, schon ist das Gefälle geplant.
Die Wasserpfützen-Thematik sollte damit eigentlich vom Tisch sein denn, Wasser läuft ja der Schwerkraft folgend von oben nach unten. Mitnichten, denn jetzt beginnt erst die Ausführungsphase der einzelnen Bauteilschichten, und auch das Wasser hält sich nicht so ganz an die einfachen Schwerkraftregeln.
Auf flach geneigten, fertiggestellten Abdichtungen mit einem planmäßigen Mindestgefälle von zwei Prozent kommt es im Rahmen der zulässigen Bautoleranzen in der Ebenheit der Fläche und der Dicke der Werkstoffe aufgrund von Überdeckungen und Verstärkungen, erhöhten Schmutzablagerungen, abdichtungsbahnenspezifisch temperaturbedingten Formänderungen zu Behinderungen im Wasserablauf, wodurch stehendes Wasser und Pfützenbildung entsteht.
Frustriert urgiert der Kunde die Wasserpfützen beim Planer, der wiederum verweist auf seine Pläne, wo aufgrund der Höhenkoten nachvollziehbar war, dass ein ausreichender Höhenunterschied zwischen Hoch- und Tiefpunkt geplant wurde (siehe die Bestimmung: Das mindeste Regelgefälle für Dachabdichtungen ist mit zwei Prozent, gemessen in der Falllinie der jeweiligen Dachflächen, zu planen(1)).
Da es nun um die Lösung der Fachfrage „Wasserpfütze zulässig oder nicht“ geht, wird ein Sachverständiger bestellt, der mit einer Wasserwaage auf dem Dach erscheint.

Wie die Prüfung des Gefälles durch den Sachverständigen in Detail ausgesehen hat, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe.

Fußnoten

(1) Wenn das erforderliche Gefälle nicht bereits in der Planung Berücksichtigung findet, dann kann es im Regelfall nicht im Zuge der Bauphase hergestellt werden. Gefälle bedeutet „Höhenunterschiede in Bauteilen“, welche mit Anschlussgewerken, Bauvorschriften oder ähnlichem korrespondieren.

(2) Bei einer statischen Berechnung sind zwei Nachweise, der Tragfähigkeitsnachweis und der Gebrauchstauglichkeitsnachweis (Durchbiegung), zu führen.
Beim Tragfähigkeitsnachweis werden die Kräfte verglichen, z. B. die Momententragfähigkeit eines Querschnitts. Beim Gebrauchstauglichkeitsnachweis wird der Querschnitt im Hinblick auf die Durchbiegung angesehen. Welcher Nachweis im Sinne der zulässigen Verformung nun maßgebend wird, ist von Material und Spannweite abhängig. Im Grund finden sich die Regelungen in den Eurocodes wieder, bei Holz ist die Sache vielleicht ein bisschen komplizierter geworden.
Zu beachten wären des Weiteren Anforderungen an die Anfangsdurchbiegung und die Enddurchbiegung infolge veränderlicher Einwirkungen. Gerade diese Enddurchbiegungen sind es, die für die Ebenheit des Untergrundes bei Deckaufbauten verantwortlich sind.

 (3) Der Planer hat ganz klar Auskunft über die Höhe des Mindestgefälles gegenüber den Professionisten zu geben. Eine Warn- und Hinweispflicht obliegt nicht dem Bauwerksabdichter, da z. B. statische Berechnungen nicht in sein Leistungsportfolio fallen.

(4) Mehrgefälle kostet im Regelfall zusätzliches Geld und schränkt möglicherweise das Baudesign ein. Über das erhöhte Risiko von flach geneigten Abdichtungen ist der AG zu informieren (höhere Wassereintrittsmenge bei Perforationen in der Abdichtung). Auf begehbaren Flächen erhöht Wasserpfützenbildung im Winter die Sturzgefahr.

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Dach + Wand