Design

Nach Stich und Faden

09.07.2025

In einer modernen und vollautomatisierten Zeit sind es gerade die alten, überlieferten Handwerkstechniken, die uns am meisten faszinieren. Ein außergewöhnliches Beispiel dafür ist das „acu pingere“, das Malen mit einer Nadel.

Italien ist immer für Überraschungen gut. So verwundert es nicht, dass man jedes Mal wieder etwas Neues entdeckt, von dem man nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung hatte, dass es so etwas gibt. Umso reizvoller ist die Tatsache, dass das vermeintlich „Neue“ gar nicht so neu ist, sondern bereits seit einigen Jahren auf einer Menge überlieferter Tradition, persönlicher Erfahrung und auf Liebe zum Detail basiert. Im konkreten Fall ist die Rede von der Kunstfertigkeit von Meister Graziano Giordani, der mit einer selbst entwickelten Technik Holz bestickt und aus gemaserten Flächen wahre Kunstwerke macht.

(C) Locatelli Partners
(C) Locatelli Partners

Stickerei auf Holz

Jüngst zu sehen waren seine Arbeiten in der Ausstellung „Nullus Locus“ von Locatelli Partners während der Mailänder Möbelmesse 2025. In deren Rahmen gestaltete der findige Gründer des Unternehmens Graziano Recami mit handwerklichem Geschick und dem Anspruch, die gleichmäßige Serialität der Nähmaschine mit der Einzigartigkeit des Handwerks zu verbinden, einen ganzen Raum mit außergewöhnlichen Stickereien. Sämtliche Holzoberflächen darin – angefangen von der Vertäfelung der Wände über die Möbel bis hin zu kleinen Accessoires wie Tabletts und Vasen – sind mit Draht bestickt. Möglich wird das durch die technische Modifizierung seiner „heiß geliebten“ Nähmaschinen, mit denen das Einstechen der Nadel in das Holz – undenkbar mit der Hand – umgesetzt werden kann.

Der in das Holz gestickte Metallfaden dient als Dekoration und wird zum dreidimensionalen Materialrelief, das mit dem Licht interagiert.

(C) Locatelli Partners
(C) Locatelli Partners

Ein Hauch von Holz

Der lateinische Ausdruck für „das Malen mit der Nadel“ -– so wird die außergewöhnliche Technik des „acu pingere“ übersetzt – erhält eine neue Bedeutung durch diese spezielle Herausforderung: nämlich Materialien wie Metall und Holz, die bei ihrem Zusammentreffen nie dagewesene Ergebnisse liefern, neu miteinander zu verbinden. In diesem Fall ermöglicht die Kunst des Stickens eine neue Interpretation der zeitgenössischen Malerei, indem detaillierte, technische Zeichnungen als digitalisiertes Kunstwerk in die algorithmische Programmiersprache der Stickmaschine übersetzt werden. Für diese Installation wurde helles, amerikanisches Ahornholz ausgewählt, allerdings ist die Technik des „acu pingere“ nahezu mit jeder Holzart möglich.

Wie wird es gemacht? Die Stickerei wird auf einer dünnen Holzplatte ausgeführt, die dann auf das Hauptstück appliziert wird. Die Entwicklung der Technik erforderte mehr als ein Jahr, ehe sie umgesetzt werden konnte. Das Holz für jede Platte wird entnommen, gestützt, genäht, laminiert und schließlich an seine Position gebracht. Das Verfahren ist vollständig individualisierbar.

(C) Locatelli Partners / Luca Rotondo
(C) Locatelli Partners / Luca Rotondo

Auf diese Weise wird die Auftraggeber integraler Bestandteil des Entwurfs. Sie helfen dabei, die Verwendung und den Ausdruck des Materials entsprechend den spezifischen Anforderungen zu definieren. Die Möglichkeit der persönlichen Gestaltung erstreckt sich von der Auswahl der Garne über die Art des Holzes bis hin zum Stickereidesign selbst.

Auf Reisen gehen

Im New Yorker Salon 94 Design enthüllte Locatelli Partners eine neue Version von Nullus Locus, die in Zusammenarbeit mit der Malerin Sally J. Han die Grenzen der Sticktechnik erweitert. Hier werden fünf neue Vasen in vier verschiedenen Formen präsentiert, auf denen die Gemälden der Künstlerin mit Stickereien in über achtzig verschiedenen Fadenfarben akribisch umgesetzt wurden.
Der Faden wird so zum Medium, das die visuelle Sprache der Gemälde in ein neues Material überträgt. ■