Bühnenbau

Ein Blick hinter die Kulissen

03.11.2025

Die Tischlerinnen und Tischler in den Art for Art Dekorationswerkstätten schaffen mit ihrer Arbeit hinter den Kulissen die perfekte Illusion für die großen Bühnen Wiens.

Fidelio. Tannhäuser. Die Zauberflöte. Carmen. Diese und viele andere große Namen berühmter Opern- und Theaterstücke fallen bei einem Besuch in den Art for Art Dekorationswerkstätten: Hier arbeiten Tischlerinnen und Tischler in enger Zusammenarbeit mit den andern in den Dekorationswerkstätten tätigen Gewerken Tag für Tag an den Bühnenbildern für die Opern- und Theaterhäuser der Österreichischen Bundestheater.

Dazu ein kurzer Exkurs: Die Ausgliederung der Bundestheater im Jahr 1999 führte zur Gründung der Bundestheater-Holding, die als Dachorganisation für die Staatsoper, Volksoper, das Burgtheater und alle dazugehörigen Nebenbühnen fungiert. Seit diesem Zeitpunkt ist auch die Servicegesellschaft Art for Art (Kostüm- und Dekorationswerkstätten, Kartenvertrieb, Digitale Technologie und Gebäudetechnik) als eigenes Unternehmen tätig. Deren Dekorationswerkstätten, seit über 60 Jahren untergebracht in einer zwischen 1958 bis 1963 erbauten Halle am Gelände des ehemaligen militärischen Gebäudekomplexes Arsenal in Wien 3, zählen zu den größten Europas. In Tischlerei, Schlosserei, Bildhauerei, Tapeziererei und in den Malersälen entstehen Bühnenbilder, die mehr sind als einfach nur Kulissen.

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Eine für alle

Nach der räumlichen Zusammenlegung der Werkstätten gibt es mehr Platz, zudem wurden die Arbeitsprozesse gestrafft, Wege verkürzt und die Abstimmung vereinfacht. © Art for Art
Nach der räumlichen Zusammenlegung der Werkstätten gibt es mehr Platz, zudem wurden die Arbeitsprozesse gestrafft, Wege verkürzt und die Abstimmung vereinfacht. © Art for Art

Noch bis vor zwei Jahren war die große Halle in viele kleine Einheiten aufgeteilt: Sowohl Staatsoper als auch Volksoper und das Burgtheater hatten ihre eigene Tischlerei, zudem gab es zwei Schlossereien und zwei Bildhauerwerkstätten. Im Rahmen des großen Umbaus 2023/2024, der während des laufenden Betriebs erfolgte, wurden alle Bereiche, die organisatorisch schon länger als eine Einheit geführt wurden, auch räumlich zusammengelegt. „Dieser Schritt war schon lange geplant und dringend nötig, um unsere Arbeitsprozesse zu straffen, Wege zu verkürzen und die Abstimmung zu vereinfachen“, sagt Christian Kucera. Der Tischlermeister, dessen Großonkel einer der Mitbegründer der Theaterwerkstätten in den 1960er Jahren war, ist bereits seit 26 Jahren im Betrieb, seit 2016 leitet er die Abteilung Tischlerei.

Tischlerei? Ja, aber…

Insgesamt sind 31 Tischlerinnen und Tischler in der Werkstatt aktiv, sieben

31 Tischler*innen arbeiten an den Kulisssen für die großen Theater- und Opernbühnen Wiens.© Nadine Poncioni/Art for Art
31 Tischler*innen arbeiten an den Kulisssen für die großen Theater- und Opernbühnen Wiens.
© Nadine Poncioni/Art for Art

davon Lehrlinge, vier sind heuer eingestiegen. Diese wurden aus einem Pool von unglaublichen 80 Bewerbern ausgesucht. „Wir bilden hier die klassische Tischlerei aus, da es keinen eigenen Zweig Bühnen- oder Kulissenbau gibt. Grundsätzlich braucht man die gleichen Skills und wir arbeiten auch mit Holz, dennoch hat unsere Arbeit wenig mit dem klassischen Möbelbau zu tun. Eher sind wir noch in der Bautischlerei angesiedelt, aber auch da ist der Unterschied massiv“, erklärt Kucera. Zum einen äußern sich die Verschiedenheiten in den verarbeiteten Materialien, in der eng abgestimmten Zusammenarbeit mit den anderen Gewerken und vor allem in den Projekten, die hier für „die Bretter, die die Welt bedeuten“, entstehen.

Drei Säulen der Ausbildung

Die intensive Zusammenarbeit zwischen den Gewerken ist eine der Besonderheiten der Dekorationswerkstätten. Im Bild der große Maalsaal. © Art for Art
Die intensive Zusammenarbeit zwischen den Gewerken ist eine der Besonderheiten der Dekorationswerkstätten. Im Bild der große Maalsaal. © Art for Art

Was in den letzten Jahren noch nicht im gewünschten Ausmaß gelang, soll nun besser werden: „Es ist unser größter Wunsch, dass die Lehrlinge, die wir ausbilden, auch so weit als möglich bei uns bleiben können“, sagt Christian Kucera. Gerade habe man einen ausgelernten Gesellen fix ins Team übernommen, das sei ein guter Schritt. Wie in allen anderen Betrieben auch – und bei dieser Spezialisierung in einem noch größeren Ausmaß – sei es essenziell wichtig, die Mitarbeiter selbst auszubilden. „Unsere Anforderungen sind äußerst spezifisch und die Lehrlinge bekommen diese Besonderheiten vom ersten Tag der Ausbildung an mit“, sagt Kucera.

Leidenschaft für die Theaterwelt

Um dieses Fachwisse noch zu vertiefen und den „Theaterfunken“ langfristig am Glimmen zu halten, gibt es seit einem Jahr eine zusätzliche, interne Ausbildungsschiene – die Akademie für Theaterhandwerk. Sie bildet quasi eine dritte Säule: Zusätzlich zur praktischen Ausbildung in den Werkstätten und dem Besuch der regulären Berufsschule erhalten die Auszubildenden ein umfassendes theaterspezifisches Wissen und ein ganzheitliches Verständnis für den Theaterberuf. Zudem haben Lehrlinge in Form von Praxismodulen die Möglichkeit, einen weiteren Handwerksberuf als Wahlpflichtfach zu belegen und so über den Tellerrand ihres Gewerks zu schauen. Auch das Fachenglisch kann vertieft werden, denn „viele unsere Besprechungen mit internationalen Bühnenbildnern finden auf Englisch statt. Daher sind entsprechende Sprachkenntnisse bei uns sehr wichtig“, sagt Christian Kucera.

Volle Ausstattung

In Sachen Maschinenausstattung ist von der Kreissäge, Plattenkreissäge, Dickenhobelmaschine, Abrichthobelmaschine, Fräse, Standfräse und diversen Bohrmaschinen alles vorhanden, was in einer Tischlerei benötigt wird. Im Zuge der Zusammenlegung wurde die „langersehnte“ CNC-Fräse angeschafft, zudem ein Vakuum-Hubtisch für ein einfaches Plattenhandling und Bestücken der Maschine. Was vorher alles in Handarbeit passierte, erledigt nun zum Großteil das Bearbeitungszentrum, was durchaus eine große Arbeitserleichterung bringt.

Formbare Materialien

Einblicke in eine Tischler-Werkstatt der besonderen Art: In den Theaterwerkstätten am Arsenal entstehen Bühnenbilder für die großen Bühnen Wiens – die Staatsoper, die Volksoper und das Burgtheater.© Art for Art
Einblicke in eine Tischler-Werkstatt der besonderen Art: In den Theaterwerkstätten am Arsenal entstehen Bühnenbilder für die großen Bühnen Wiens – die Staatsoper, die Volksoper und das Burgtheater.
© Art for Art

Die meisten der Kulissen bestehen aus speziellem Bühnensperrholz. Es lässt sich in jede gewünschte Form bringen, ist dabei leicht und gut zu verarbeiten. Massivholz kommt kaum zum Einsatz, es wäre zu schwer und zu teuer. Mittlerweile sind aus Nachhaltigkeitsgründen auch keine Tropenhölzer mehr in Verwendung, obwohl Okumee, Meranti und Mahagoni ob ihrer guten Haltbarkeit, ihrer Ruhe und Feuchtebeständigkeit im Bühnenbau lange tragende Rollen spielten. „Heute ist für uns klar, dass wir so weit als möglich auf heimische Hölzer setzen“, so Kucera. Hauptholzarten sind Plattenwerkstoffe aus Fichte, Lärche, Sperrholz mit Deckfurnier in Buche und Pappelkern sowie Birkensperrholz, alle vor der Verarbeitung brandschutz-imprägniert.

Einfacher Auf- und Abbau

Eine spezielle Anforderung an den Bühnenbau ist die Zerlegbarkeit: „Die Bühnenbilder werden bei uns komplett aufgebaut, dann wieder zerlegt und in Teilen in die Häuser transportiert. Für die Kulissen der Staatsoper gibt es zudem noch das Kriterium der Containertauglichkeit. Denn geht eine Produktion auf Tournee z. B. nach Japan, geht das komplette Bühnenbild mit auf Reisen. Die Komponenten dürfen dann maximal 2,20 Meter breit sein. Um dieses theaterspezifische Kriterium zu erfüllen, haben wir u.a. eigene Beschläge mit Schiebemechanismen entwickelt“, berichtet der Werkstättenleiter.

Selbst entwickelt: Klassische Theaterbeschläge müssen für den Auf- und Umbau schnell zu öffnen sein. © Christian Kucera
Selbst entwickelt: Klassische Theaterbeschläge müssen für den Auf- und Umbau schnell zu öffnen sein. © Christian Kucera

Gemeinsame Projektentwicklung

Wie läuft ein konkretes Projekt nun ab? Stehen Spielplan, Regie und Bühnenbildner fest, beginnt die Arbeit in der Werkstatt: „Nach der Erstpräsentation wird ein Termin für die Werkstattbesprechung mit allen Abteilungsleitern und dem Bühnenbildner vereinbart“, erklärt Christian Kucera den Ablauf. „Da es für diese erste Besprechung als Basis schon grobe Planentwürfe der technischen Zeichner des jeweiligen Hauses gibt, sind die Vorstellungen schon relativ praxisnah. Für die konkrete Planung bzw. technische Umsetzung ist dann unser Knowhow gefragt. Wenn wir sehen, dass eine Idee so nicht zu verwirklichen ist, entwickeln wir gemeinsam Alternativen.“

Straffer Zeitrahmen

Wie lange die Fertigstellung eines Bühnenbildes dauert, lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Die Dauer hängt von der Größe, der Komplexität der Anforderungen und auch vom Haus ab – Projekte für die Staatsoper sind in der Regel aufwendiger als jene für das Burgtheater. Aktuell arbeitet man in den Werkstätten an fünf Produktionen gleichzeitig: für „Aschenbrödels Traum“ und „Marie Antoinette“ an der Volksoper, „Das Ferienhaus“ und „Wir sind noch einmal davongekommen“ am Burgtheater sowie – bereits seit über zwei Monaten – an der Kulisse für Ludwig van Beethovens einzige Oper „Fidelio“, die im Dezember in der Staatsoper Premiere feiern wird. Ist der „Rohbau“ dann fertig, stehen Maler, Tapezierer und Bildhauer schon in den Startlöchern, um die Arbeit zu finalisieren

Größer, weiter, höher

Beeindruckende Dimensionen: Der "Rohbau" des Bühnenbilds für "Orpheus steigt herab" am Burgtheater Wien. © Art for Art
Beeindruckende Dimensionen: Der „Rohbau“ des Bühnenbilds für „Orpheus steigt herab“ am Burgtheater Wien. © Art for Art

Fragt man Christian Kucera nach einem persönlichen Lieblingsprojekt, fallen ihm – abgesehen davon, dass jede Kulisse spannend und anders ist – auf Anhieb die „verschnörkelten Dinge“ ein – „diese sind eben handwerklich die herausforderndsten. Als ich noch selbst in der Produktion aktiv war, habe ich den Bau der Kulisse für die alte Inszenierung der Operette „Gräfin Mariza“ komplett verantwortet. Dieses in seiner Ausführung sehr verspielte Bühnenbild hat mir viel Spaß gemacht. Auch der Bau des Portals für „Axel an der Himmelstür“ war tischlerisch sehr herausfordernd.“

Aktuell sind es mehr die immer größer werdenden Dimensionen als die klassischen Schnitzereien – diese werden aus Zeit- und Kostengründen mehr und mehr durch 3D-gedruckte und bemalte Elemente ersetzt – die die Werkstätten herausfordern. „Der Trend geht zu größer, weiter und höher. Bis zu acht Metern Höhe haben wir bereits aufgebaut und wir sind gespannt, wann wir ganz am Plafond anstoßen“, so der Tischlermeister, der sich an das Bühnenbild für die Oper „Orest“ erinnert: „Die große Halle ist bei einer Dimension von 23 mal 18 Metern gefüllt. Bei „Orest“ mussten wir die Kulisse sogar teilen, um diese unterzubringen.“

Der Trend zu mehr schlägt sich auch in der Zahl der Neuproduktionen nieder: Waren es früher rund 40 in einer von September bis Juni dauernden Saison, sind es heute rund 45 pro Saison. „Da muss man dann schon Abstriche im zeitlichen Aufwand machen und im Projektmanagement alles perfekt abstimmen. Denn wir müssen zum vereinbarten Zeitpunkt fertig sein, eine Premiere kann man nicht verschieben“, sagt Christian Kucera.

Wissen bewahren, Fortschritt zulassen

Das Fazit: Bei all den Veränderungen, die im Bühnenbau stattfinden, besteht die Kunst darin, das über die Jahre gewachsene Wissen und die handwerklichen Traditionen zu bewahren. Gleichzeitig gilt es, mit den neuesten technischen Entwicklungen Schritt zu halten und trotz des zunehmenden Zeitdrucks beständige Qualität zu liefern. Ein Rundgang durch die Theaterwerkstätten macht deutlich, dass dieser Spagat auf beeindruckende Weise gelingt: Die Leidenschaft für das Theater und das umfangreiche Knowhow, das in jede einzelne Kulisse einfließt, sind überall zu spüren. Diese Kombination aus Erfahrung, Innovationsbereitschaft und Engagement bildet die Grundlage dafür, dass auch unter anspruchsvollen Bedingungen außergewöhnliche Bühnenbilder entstehen.