Ratten – die vergessene Glashütte

Glas
31.10.2017

 
Flachglaserzeugung in Österreich? Die meisten Glaser werden wohl mit Überzeugung sagen: „Nur in der Brunner Glasfabrik“. Doch da gab es auch noch etwas davor, was vermutlich nur mehr wenige wissen. Wieder einmal kam der Impuls vom Kollegen Peter Bayer durch einen in seinem Besitz befindlichen alten Verkaufskatalog. Elfriede Zahlner hat nachgeschlagen und noch einiges Geschichtliches finden können.

„Wie Böhmen noch bei Öst’reich war, vor finfzig Jahr ...“. Wer von uns Glaser-Pensionisten hat diesen Volksmusikklassiker aus den 1950er-Jahren nicht noch im Ohr, den Heinz Conrads immer wieder in seiner sonntäglichen Radiosendung zum Besten gab. Als Böhmen also noch zur österreich-ungarischen Monarchie gehörte, waren die berühmten böhmischen Glashütten österreichisch. Die Wiener Niederlassungen wurden mit Gussglas in bunten Farben, Spiegelglas, Marmorglas usw. beliefert.  Der erste Weltkrieg (1914-1918) hat alles verändert. Durch den Zerfall der Monarchie lagen die einst heimischen Glashütten nun im Ausland. Glas musste von dort eingeführt werden, das nunmehr verarmte kleine Österreich kassierte dafür hohe Zölle. Die gesamte Glasindustrie war lahmgelegt, denn auch die für die Ofenfeuerung notwendige Kohle kam ursprünglich aus Böhmen. Die tschechoslowakische Regierung stellte fast unerfüllbare Bedingungen für die Ausfuhr und stoppte die Belieferung zeitweise komplett. 

Flachglas nur noch aus Bürmoos

Nur eine einzige Glashütte erzeugte noch Flachglas, in Bürmoos in Salzburg. Hier wurde Fensterglas im Mundblasverfahren hergestellt. Als Brennstoff stand der Torf aus dem umliegenden Moorgebiet zur Verfügung. Bürmoos ist durch Georg Rendls Roman „Die Gasbläser von Bürmoos“ bekannt, in dem er sehr ausführlich und anschaulich die Lebensweise und die unglaublich schweren Arbeitsbedingungen der Glasbläser beschreibt. Sie sehnten „die Maschine“ herbei und fürchteten gleichzeitig um ihren Arbeitsplatz. Es ist also nicht verwunderlich, dass verschiedenste Überlegungen zur Gründung neuer Glashütten angestellt wurden.

Die Glashütte Ratten entsteht

Bernhard Ellend begann mit einem kleinen Handwerksbetrieb in der Burggasse in Wien und entwickelte seinen Betrieb zu einer bedeutenden Glasgroßhandlung. 1902 wurde er Bezirksrat, 1910 Mitglied des Gemeinderates. Von 1930 bis 1934 war er Abgeordneter im Nationalrat, was einmalig in der Glasbranche war. Im Jahr 1921 wurde er Vorsteher der „Genossenschaft der Glaser, Glashändler, Glasschleifer und zugehörigen Gewerbe in Wien“ als sein Vorgänger Heinrich Kreibich starb. In der Generalversammlung vom 10. Juni 1922 gab er unter dem Punkt „Wirtschaftliche Tagesfragen“ bekannt, dass demnächst in der Oststeiermark eine neue Glasfabrik dem Betrieb übergeben wird, zu deren Mitbegründern und Direktion er gehöre. Durch seinen Einfluss gelang es, für die Genossenschaftsmitglieder eine größere Anzahl von Aktien zu reservieren. Die Neugründung stehe unter guten Vorzeichen, da an Ort und Stelle für Kohle und sonstige Rohmaterialien für die Glaserzeugung vorgesorgt ist. Die Fabrik ist mit modernsten Maschinen ausgestattet und volkswirtschaftlich eine Errungenschaft, die Unabhängigkeit vom ausländischen Glasmarkt bedeute.

Ein Kurztext eines unbekannten Autors, liebenswürdigerweise vom Gemeindeamt Ratten im steirischen Bezirk Weiz zur Verfügung gestellt, zeigt einen verständlichen Überblick über drei Industriegründungen im Feistritztale. Am 23.7.1921 wurde die „Feistritztaler Holz- und Industrie AG.“ ins Handelsregister eingetragen und am 11.12.1922 die „Feistritztaler Bergbau- und Industrie AG.” sowie die „Feistritztaler Glashütten AG.“ Bernhard Ellend war Aufsichtsrat der Glashütte. Alle drei Aktiengesellschaften standen unter der Oberaufsicht des Glashüttendirektors Fritz Wollner, der die Hütte „auf die grüne Wiese“ hinsetzte. Er kam mit seinen Leuten aus Böhmen, was auch die alten Kirchenbücher von Ratten bestätigen. Sie trugen keine steirischen Glasmachernamen.

Nach einer alten Auflistung über die Ausstattung gab es: „1 Hafenofen mit 6 Hafen, 2 Wannen, 1 Biegeofen, 3 Gussmaschinen, 8 Muffelöfen, 2 Kühlkanalöfen und 4 Kammerkühlöfen für Pressglas“. Zwei Strecköfen sind angeführt, was auch eine Erzeugung von geblasenem Glas vermuten lässt. Beheizt wurden die Öfen durch vier Drehrostgeneratoren, welche durch die Verbrennung von Kohle Gas erzeugten.

Die Produktpalette

Das Erzeugungsprogramm bestand hauptsächlich aus Gussglas. Dazu zählten Ornamentgläser in verschiedenen Farben. Einer alten böhmischen Musterpalette zufolge wurden die Nummernbezeichnungen von dort übernommen und waren auch später in Brunn ident. Drahtglas gab es mir losem Viereck- als auch mit Sechseckgeflecht. Besonders beworben wurde das Marmorglas, glatt oder marmoriert, in verschiedensten Farben, geschliffen und ungeschliffen. Die Standardmaße waren 15 mal 15 Zentimeter, 30 mal 30 Zentimeter, 30 mal 55 Zentimeter. Dazu gab es passende Fußbodenplatten in der Größe 15 mal 15 Zentimeter mit gerauhter Oberfläche. Rohglas und Drahtglas bis 10 Millimeter Dicke.

Das Ende nach nur zehn Jahren

Die Glashütte hatte einige blühende Jahre hinter sich, dann kam der wirtschaftliche Niedergang infolge der rasch fortschreitenden Geldentwertung zu dieser Zeit. Dazu kam, dass hier die Bahnverbindung schlecht war und kein unmittelbares Absatzgebiet vorhanden war. Der Glashüttendirektor Fritz Wollner schied 1931 aus, ging nach Italien, wo er eine gleichartige Hütte aufbaute. Maschinen und Einrichtungen wurden dorthin verkauft. Der Betrieb wurde 1933 komplett eingestellt, somit hat diese vielversprechende Hütte nur etwa zehn Jahre der Wirtschaft gedient.

„Erste Österreichische Maschinglasindustrie AG.“

Die Familie Oswald Weiss wanderte aus der Tschechoslowakei ein und gründete 1928 südlich von Wien, in Brunn am Gebirge, die „Erste Österreichische Maschinglasindustrie AG.“ (EOMAG). Hier wurde im großen Stil Fensterglas im neuentwickelten Ziehverfahren nach Fourcault erzeugt. Auch hier bereitete die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise enorme Absatzprobleme. So fanden die beiden Glashütten zusammen. Ab 1931 wanderte nach und nach die gesamte Gussglas- und Marmorglaserzeugung, hier unter dem Markennamen „Marbrunit“, nach Brunn und in Ratten begann die Spitzhacke zu arbeiten.

Die Geschichte von Bürmoos

Die Gebrüder Stiassny waren in der Monarchie Fabriksbesitzer in Böhmen und durch den Krieg danach nur mehr Glasgroßhändler in Wien, alle drei angesehen und äußerst beliebt. Sie kauften 1926 die Glashütte in Bürmoos, die mittlerweile Konkurs anmelden musste. Noch bis 1929 wurde so recht und schlecht geblasenes Glas erzeugt, dann sollte auf das Ziehverfahren umgestellt werden. Damit wäre für Brunn eine empfindliche Konkurrenz entstanden. Die Bauarbeiten hatten schon begonnen, als eines Tages von den Firmenchefs in Wien ein Telegramm eintraf, dass die Arbeit sofort eingestellt werden muss. Es wurde mit der EOMAG ein Abkommen getroffen, dass in Bürmoos keine Maschinenanlage errichtet wird. Ende 1929 wurde der Betrieb komplett eingestellt. Man munkelte, dass dafür für Stiassny zukünftig ganz besondere Einkaufsbedingungen vereinbart wurden. 

Nur noch Erinnerungen  

Nun wurde die Furcht der Bürmooser Glasbläser vor der „Maschine“ weit übertroffen, denn schlagartig waren alle Mitarbeiter arbeitslos. Brunn wurde damit die einzige flachglaserzeugende Hütte, so wie wir es in Erinnerung hatten. Doch auch sie wurde von der fortschreitenden Technik eingeholt. Die Floatglaserzeugung setzte komplett neue Maßstäbe. 1976 wurde die Produktion von Fensterglas eingestellt und 1999 die von Gussglas. Damit gab es keine Flachglaserzeugung mehr in Österreich. Heute erinnert nichts mehr an die ehemaligen Glashütten in Brunn und Ratten.

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