Smart Glass

Durchsichtige Intelligenz

Glastechnik
20.03.2023

Es sind nur ein paar Millimeter, die die Welt verändern können: Transparentes Glas sorgt für sichtbare und wichtige Nebenwirkungen. Neues vom Smart-Glass-Markt.
Die selbsttönenden elektrochromen Gläser in der Hostellerie am Schwarzsee (Schweiz) sind echte Alternative zu herkömmlichem Sonnenschutz für Fassaden.
Die selbsttönenden elektrochromen Gläser in der Hostellerie am Schwarzsee (Schweiz) sind echte Alternative zu herkömmlichem Sonnenschutz für Fassaden.

Das wahrscheinlich faszinierendste an einer Glasscheibe ist, dass sie sich in der Wahrnehmung selbst ganz zurücknimmt, den Blick freigibt, aber doch da ist. Als Wärmeleiter zum Beispiel, der als Low-E-Glas Raumwärme nicht einfach entweichen lässt, indem die Energie in das Gebäude zurückreflektiert wird. Oder als Energieumwandler, der durch eine Beschichtung das langwellige Strahlung wie eine Dämmung dafür sorgt, dass die Wärme im Raum verbleibt. Umgekehrt kann man Gebäuden mit dem richtigen Glas eine Sonnenbrille aufsetzen und spart sich den weiteren Sonnenschutz.

Den Durchblick haben

Großflächig verglaste Fassaden sind nach wie vor ein starker Architekturtrend, der vor allem das Erscheinungsbild von Bürogebäuden prägt. Gleichzeitig sind dies Orte, an denen Menschen viel Zeit verbringen und sich deshalb dort wohlfühlen müssen. Ein schöner Ausblick und viel natürliches Tageslicht haben zwar grundsätzlich einen positiven Effekt, sind jedoch an eine Reihe von Auflagen geknüpft, damit sie auch tatsächlich genossen werden können. Es gilt übermäßige Hitze und Blendung zu vermeiden, die Wärme durch die Sonneneinstrahlung sollte aber auch thermisch verwertet werden.
Mit diesem Balanceakt setzt sich seit vielen Jahren auch Hersteller SageGlass auseinander, dem es gelingt, mit seinen dynamischen Verglasungsprodukten positive Effekte zu nutzen und negative zu reduzieren. Oft reicht eine teilweise Tönung der Scheibe aus, um potenzielle Wärme- und Blendungsquellen zu blockieren.

Von dunkel zu klar

Den Wohnkomfort von Räumen zu steigern, das ist auch der Fokus von "SageGlass Harmony", einem selbsttönenden elektrochromen Glas, das die Aufenthaltsqualität im Inneren des Gebäudes positiv beeinflussen möchte. Das kann gut gelingen, denn Architekt*innen haben mit den Smart-Glass-Lösungen die Möglichkeit, durch die gebotene Flexibilität und Konfigurierbarkeit der Optionen die äußere Ästhetik mit innerem Raumkomfort ideal zu verbinden. Das intelligente Glas sorgt einerseits für angenehme Wohlfühltemperaturen, gute Lichtverhältnisse und ausreichend Blendschutz, schränkt den Blick nach Draußen jedoch in keiner Weise ein. "SageGlass Harmony", das als Doppel- oder Dreifachverglasung und mit mehreren Farben des Außenglases zur Auswahl erhältlich ist, eignet sich für eine Vielzahl von Fassaden einschließlich Lochfenster, Fensterbänder, raumhohe Verglasungen und Ganzglasfassaden. 
Zusätzlich zu den vier Standard-Tönungsstufen von SageGlass bietet "Harmony" weitere Stufen mit einer nahtlosen und natürlichen Gradiententönung innerhalb einer Scheibe als Übergang von einem völlig klaren zu einem vollständig getönten Zustand. Dies ermöglicht einen gezielten Sonnenschutz, maximales Tageslicht und eine ausgezeichnete Farbwiedergabe im Innenbereich des Gebäudes. Die natürlichen Tönungsstufen von dunkel zu klar können von oben nach unten oder von unten nach oben verlaufen, je nachdem, wo Wärme- und Blendschutz benötigt werden.

Die vier Tönungsgrundstufen werden zugunsten eines hohen Individualisierungsgrades noch durch zusätzliche Gradiententönungen ergänzt.
Die vier Tönungsgrundstufen werden zugunsten eines hohen Individualisierungsgrades noch durch zusätzliche Gradiententönungen ergänzt.
Die vier Tönungsgrundstufen werden zugunsten eines hohen Individualisierungsgrades noch durch zusätzliche Gradiententönungen ergänzt.
Die vier Tönungsgrundstufen werden zugunsten eines hohen Individualisierungsgrades noch durch zusätzliche Gradiententönungen ergänzt.

Weitere Vorteile von "Harmony" sind ein intelligentes Tageslichtmanagement und eine hervorragende Farbwiedergabe im Innenraum, eine wahlweise automatische oder manuelle Steuerung sowie die nicht unwesentliche Unterstützung beim Erhalt von Umweltzertifizierungen. Denn: Zu den positiven Trends in der Branche gehört die größere Akzeptanz der Technologie und ihrer Auswirkungen. So wurden beispielsweise in den Vereinigten Staaten Steuergutschriften verabschiedet, die eine breite Einführung von elektrochromem Glas ermöglichen. Diese Unterstützung durch die Regierungen hilft den Gebäudeeigentümern dabei, Bewohner*innen qualitativ hochwertige Räume zu wettbewerbsfähigen Kosten zu bieten.

Doppelt gewonnen

Eine der wohl spannendsten Entwicklungen für die Glas- und Fassadenbranche in der jüngsten Vergangenheit ist Saint Gobain mit "iWin" gelungen. Im neuen digitalen Service, der auch als "Schlussstein für den digitalen Zwilling von Gebäuden" bezeichnet wird, birgt jede Menge Potenzial in sich – nicht nur für einzelne Projekte, sondern für die gesamte Bau- und Immobilienwirtschaft. Der Clou daran ist, dass sich der Weg eines analogen Gebäudes über seinen gesamten Lebenszyklus perfekt dokumentiert ablesen und rückverfolgen lässt. "iWin besteht grundsätzlich aus zwei Parametern: erstens aus dem RFID-Chip, und zweitens aus einer cloudbasierten Datenplattform, über die sich die Projektpartner austauschen können. Es funktioniert wie in der Textilindustrie: Wenn man einkaufen geht und nicht bezahlt, dann piept es. Es ist mehr oder weniger die gleiche Technologie. Aber natürlich haben wir eine speziellen RFID-Tag, der in einer anderen Form – unsichtbar – in die Isolierglas-Einheiten einer Fassade integriert wird", erklärt Andreas Bittis, Marketing Director iWin, Saint-Gobain Glass Facade. "Auf der RFID-Technologie steht eine eindeutige Nummer, die auf alle Daten hinweist, die sich in der Datenbank befinden. Hier sprechen wir über Logistik, Produktionsdaten, Testprotokolle, was auch immer. Die Partner können das Produkt wirklich ganzheitlich betrachten, und wenn ich Produkt sage, meine ich sowohl das Glas als auch den Rahmen – das macht Sinn."

Glas als Datenträger

"iWin": Die Informationen des in die Isolierschicht integrierten RFID-Chips werden über gängige Lesegeräte leicht zugänglich gemacht.
"iWin": Die Informationen des in die Isolierschicht integrierten RFID-Chips werden über gängige Lesegeräte leicht zugänglich gemacht.

Die RFID-Chips, die sich jeweils im Randverbund integriert befinden, können mit gängigen Lesegeräten leicht ausgelesen werden. In der Praxis bedeutet das, dass Glasverarbeiter*innen und deren Kund*innen jede Glaseinheit und das zugehörige Fassadenelement identifizieren und tracken können wie ein Paket eines Zustelldienstleisters: Von der Bestellung bis zur Lieferung an den Verarbeiter, dann auf der Baustelle und schließlich als Teil des Gebäudes nach der Montage.
Da jeder Isolierglaseinheit eine individuelle "iWin"-ID zugeordnet ist und sich das auch in der Datenbank widerspiegelt, kann jeder, der dazu einen Zugang hat, die für ihn relevanten Daten abrufen. "Im Vorfeld sind es der Glasverarbeiter und der Fassadenbauer, aber dann auch der Architekt und der Generalunternehmer sowie alle, die am Bau des Gebäudes beteiligt sind. Aber natürlich später, wenn man auf die Kreislaufwirtschaft zurückkommt, sind es in weiterer Folge der Facility Manager oder, wenn man eine Sanierung durchführen muss, wiederum der Architekt. Denn wie könnte man heute sonst wirklich beurteilen, was saniert oder abgebaut werden muss? Die Datenbank gibt uns mit dem Daten-Setup von den Produkten die Möglichkeit, gut zu evaluieren und so die richtigen Entscheidungen zu treffen."

Über die Datenbank können alle Projektbeteiligten auf die über die RFID-Chips eingespeisten Daten zugreifen.
Über die Datenbank können alle Projektbeteiligten auf die über die RFID-Chips eingespeisten Daten zugreifen.

Neben klassischen Daten wie Abmessungen, technische Kennwerte, CO2-Fußabdruck und so weiter kann man den gesamten Bestellvorgang wie zum Beispiel Lieferanten, Termine und Konditionen abfragen, aber auch Informationen zum Baustellenmanagement wie etwa Zuordnung des Fassadenelements zu Lager- und Einbauort, Montageunternehmen oder Zeitplan abfragen. Hier findet man Wissenswertes zur Montage wie Hinweise zum sachgerechten Einbau, eventuell sogar auch Links zu Montagevideos wie Auskünfte zum über-geordneten Projektmanagement mit Übersicht zu den Terminen und Zuständigkeiten, Informationen über die erfolgte Montage von Fassadenelementen und Abnahme-Details. Besonders im Hinblick auf das immer wichtigere Urban Mining, um Ressourcen wieder dem Wertstoffkreislauf zuführen zu können, bietet "iWin" große Vorteile: Das Facility Management kann nicht nur über die Kennwerte des Produkts und die Informationen über den Hersteller und Lieferanten im Fall eines Mangel oder eines notwendigen Austauschs von eingebauten Elementen punktgenau nachbestellen, sondern Rückbau- und Recyclingunternehmen können wichtige, hinterlegte Zerlegehinweise und genaue Daten zu den vorliegenden Glasqualitäten auslesen – übrigens eine Voraussetzung für ein präzises Recycling beim Flachglas-Hersteller. Damit ist ein wichtiger Schritt für die Vernetzung mit den bestehenden und zukünftigen Bauteilbörsen gesetzt.

Die Kraft im Verborgenen

Auf der letzten Ausgabe der Weltleitmesse der Glasbranche "glasstec" präsentierte die NSG Group, die Glas unter der Marke Pilkington herstellt, ihr neues das Smart Window-Konzept "SenseComfort", das einem speziellen, vom jungen niederländischen Technologieunternehmen Physee entwickelten Sensor ausgestattet ist, der gerade in der Diskussion um nachhaltige Fassaden eine neue Kategorie erreicht. Damit können kontinuierlich die einfallende Lichtintensität und Sonneneinstrahlung gemessen und überwacht werden und so unter Ausnutzung natürlicher Energiequellen wie Licht und Wärme zu einem angenehmen Raumklima beitragen.
Begonnen hat alles mit den so genannten "PowerWindows" von Physee: Energie- und Datenfenster, die die kompromisslosen Klimabeständigkeitstests bei Pilkington bestanden in Übereinstimmung von Qualität und Funktionalität mit europäisch genormten Industriefenstern. Die Rahmen der energie- und datenerzeugenden "PowerWindows" des Delfter Technologieunternehmens sind mit Solarzellenstreifen und Sensoren ausgestattet, die sauberen Strom erzeugen und Klimadaten sammeln, ohne die Transparenz und Funktionalität des Glases zu beeinträchtigen. Mehrere "PowerWindows" und "SmartWindows" sind mit einem Energy Efficient System, kurz EESY, verbunden, das Energieverluste reduziert und eine direkte Nutzung der erzeugten Energie ermöglicht. Alle Technologien zusammen bilden "SmartSkin" von Physee, die Gesamtlösung für Fassaden als intelligente, nachhaltige und gesunde Gebäudehüllen.
"Ausgewählte Verarbeitungsstandorte der NSG Group werden die Physee-Sensoren in Standard-Doppel- oder Dreifach-Isolierglaseinheiten integrieren, die von uns für SmartWindows hergestellt werden. Dies bietet die Flexibilität, alle Arten von Glaskombinationen zu verwenden – unser Glas mit niedrigem Emissionsgrad für eine verbesserte Wärmedämmung, unser Sonnen- und Schallschutzglas, Sicherheitsglas und andere funktionale Verglasungsprodukte", erklärt Alderlan Vitalino, Value Added Director Architectural Glass Europe der NSG Group.

Mit dem Smart Windows-Konzept "SenseComfort", das auf der Technologie von Physee basiert, wird auf allen Ebenen ein Wohlfühlklima erzeugt.
Mit dem Smart Windows-Konzept "SenseComfort", das auf der Technologie von Physee basiert, wird auf allen Ebenen ein Wohlfühlklima erzeugt.
Mit den dezent integrierten Sensoren von Physee lassen sich Licht, Temperatur und Sonnenschutz optimieren und so der Energieverbrauch senken. 
Mit den dezent integrierten Sensoren von Physee lassen sich Licht, Temperatur und Sonnenschutz optimieren und so der Energieverbrauch senken. 

Perfektes Raumklima

"Sense by Physee" schafft eine physische und virtuelle Verbindung zwischen Gebäude und Außenwelt. Ist ein Gebäude mit "SmartSkin" ausstatten, haben die Fenster weniger sonnenreflektierende Beschichtungen und verfügen über Sensoren im Inneren der Fenster, die beispielsweise neben der Luftqualität insbesondere auch die Sonneneinstrahlung überwachen, um die Auswirkungen der Sonne auf das Gebäude auf hyperlokaler Ebene zu verstehen. In Kombination ermöglicht die Datenplattform "Sense Connect" die Verbindung aller IoT-Sensoren und -Aktoren mit einem digitalen Zwilling des Gebäudes, um einen umfassenden Überblick über alle Vorgänge zu erhalten – von Klima- und Nutzerinformationen bis hin zu Erkenntnissen über Verbesserungen und Störungen. Im Fokus steht die optimale Nutzung der Kraft der Sonne, indem Innentemperatur und Lichtintensität ausgeglichen werden, unter klarer Präferenz von natürlicher Wärme und Licht, auch für Heizung und Kühlung.
Durch die Messung der tatsächlichen Sonneneinstrahlung und die Überwachung des Raumklimas kann "Sense" den Sonnenschutz sehr genau steuern, um das perfekte Raumklima zu schaffen und den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent zu senken. Schließlich, entwickelt aus den "SmartSkin" generierten Daten zum Außenklima als Kernstück, ermöglicht "Sense Environment", die Plattform für intelligentes Gebäudemanagement, den Anschluss zusätzlicher IoT-Sensoren und -Aktoren, die durch die von einer Bauphysik-Engine generierten Erkenntnisse nachhaltig gesteuert werden. Der Energieverbrauch des Gebäudes wird drastisch reduziert, Komfort und Wohlbefinden der Gebäudenutzer hingegen gesteigert.

Durch die Messung der Sonneneinstrahlung und die Überwachung des Raumklimas kann "Sense" den Sonnenschutz steuern, um das perfekte Raumklima zu schaffen und den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent zu senken.
Durch die Messung der Sonneneinstrahlung und die Überwachung des Raumklimas kann "Sense" den Sonnenschutz steuern, um das perfekte Raumklima zu schaffen und den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent zu senken.

Besagte Bauphysik-Engine verwandelt Daten in Erkenntnisse und Steuerungsstrategien für vernetzte IoT-Aktoren, vergleicht Echtzeitdaten mit bauphysikalischen Simulationen und nutzt künstliche Intelligenz, um Algorithmen anzupassen, wenn Vorhersagen und Realität etwas Anderes sagen. So werden Jalousien gesteuert, um die richtige Menge an Licht und Wärme herein- oder herauszulassen, der Energieverbrauch senkt, wenn keine menschliche Anwesenheit festgestellt wird, indem das System unabhängig von künstlichen Heiz- und Kühlsystemen agiert, und künstliches Licht mit dem verfügbaren Sonnenlicht abgeglichen, senkt gleichzeitig den Energieverbrauch durch intelligente, adaptive Beleuchtungsstrategien und verbessert den visuellen Komfort.
Das ist zwar sicher noch nicht das Ende der Geschichte, jedoch tun sich mit diesen Entwicklungen bereits schon jetzt ungeahnte Möglichkeiten auf, ressourcen- und energieschonend zu planen und zu bauen und parallel den Aufenthalt hinter großflächigen Verglasungen so angenehm wie möglich zu gestalten.
(bt)

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