Der Begründer

Carl Glößl: Ein Pionier des Glasergewerbes

120 Jahre Glaser-Zeitung
15.12.2020

Von: Elfriede Zahlner
Carl Glößl war mit seinem unbändigen Bestreben nach Erneuerung wohl einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Vorsteher der Handwerksorganisation der Glaser. Er war Glaser mit Leib und Seele und diente aufopfernd dem Handwerk. ​​​​​​​
Der Begründer der Glaser-Zeitung Carl Glößl (links) mit seinem Sohn am Glasertag 1908.
Der Begründer der Glaser-Zeitung Carl Glößl (links) mit seinem Sohn am Glasertag 1908.

Fast noch ein Kind, zog Carl Glößl mit seinem Vater, einem tüchtigen Glasermeister, mit der „Kraxe ins Gäu“, um zum Unterhalt seiner sechs jüngeren Geschwister und der gelähmten Mutter beizutragen. 1866 starb der Vater, für den Sechzehnjährigen Carl begann die härteste Lebensschule. Er musste für die Familie sorgen. Trotzdem bildete er sich an einer Handelsschule weiter, die er mit einem vorzüglichen Abgangszeugnis verließ.
Mit 19 ging er wie ein echter Handwerksbursch, ohne einen Kreuzer in der Tasche, auf Wanderschaft. Sein Weg führte ihn über Jahre hinweg nach Ungarn, Graz, Russland, Hamburg, Kopenhagen, Island, Paris und dazwischen immer wieder nach Wien, wo er sich letztendlich im Jahr 1879 in der Gumpendorfer Straße 114 selbstständig machte.

Eine neue Ära

Carl Glößl war nicht nur der Begründer der Glaser-Zeitung – er war ein Pionier des österreichischen Glasergewerbes.
Carl Glößl war nicht nur der Begründer der Glaser-Zeitung – er war ein Pionier des österreichischen Glasergewerbes.

1891 begann Carl Glößl in der Genossenschaft aktiv zu werden. Er hatte Unmengen neuer Ideen, aber er wurde vom alten, behäbigen Vorstand nicht verstanden. Als weitgereister, erfahrener Mann im Glasergewerbe wusste er Bescheid, woran es im Gewerbe krankt. In Dänemark etwa verkauften die Glaser auch die Reinigung der Fenster, das schlug Glößl als neue Verdienstmöglichkeit vor. Die Wiener Gehilfen rümpften über diese niedrige Arbeit nur die Nase.
Aber der welterfahrene, dynamische Glößl sah es als seine Aufgabe, dem wirtschaftlich  darniederliegenden Glasergewerbe wieder auf die Beine zu helfen. Mit Reformen im genossenschaftlichen Leben sollten die veralteten, überlebten Systeme erneuert werden.
Carl Glößl entwickelte sich zunehmend zu einem Oppositionellen, das alte System passte ihm nicht, die Glaser ließen sich zu viele Rechte nehmen. Um ihn entwickelte sich eine neue Partei. 1894 schließlich siegte die Glößl-Partei, die alte Vorstehung wurde gestürzt.
Glößl strebte aber nicht nach der Vorsteherrolle, die bekam Leopold Augustin, Glößl wurde sein Stellvertreter. Nun begann eine neue Ära. Die Zaghaftigkeit Augustins führte aber zu persönlichen Differenzen, sodass bei der nächsten Wahl als Stellvertreter Heinrich Kreibich nachrückte.
Als Leopold Augustin 1898 starb, wurde mit Carl Glößl das erste Mal ein „kleiner Glaser“ in die größte Genossenschaft des Reiches gewählt. Seine Arbeit war weitblickend und zukunftsorientiert, das brachte mit sich, viele harte Kämpfe ausfechten zu müssen. Seine Person war anerkannt, kein Name unter Österreichs Glasern populärer. Mit voller Kraft nutzte er seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten, weniger für sich als für das allgemeine Wohl – er wurde nie ein reicher Mann.

Meilensteine für das Glasergewerbe

Von Carl Glößl stammt der Entwurf für neue Vorlagen des Lehrbriefs.
Von Carl Glößl stammt der Entwurf für neue Vorlagen des Lehrbriefs.

Eine Reihe Neuerungen ging auf die Initiative von Carl Glößl zurück:
Fachschule: Glößl war überzeugt, dass zu fachlicher Ausbildung auch kaufmännisches Wissen notwendig ist. Er war ein kräftiger Motor bei der Gründung der Fachschule.
Lehrbrief: Von Glößl stammt der Entwurf für neue Vorlagen, auf denen wir heute die Bestätigung der Lehrzeit unserer Urgroßväter bewundern können.
Glaser-Zeitung: Voll Mut und Hoffnung begründete Carl Glößl im Jahr 1900 die erste „Österreichische Glaser-Zeitung“. Sie wurde ein voller Erfolg und allseits sehr geschätzt. Er sah sie als Eigentum aller Österreichischen Glaser, „die mühsam und gewissenhaft alles Wissenswerte zusammenträgt, was dem Einzelnen nicht möglich ist“. Auch aus heutiger Sicht sind die alten Blätter informativ und interessant zu lesen.
Zwischenhandel: Um nicht den Fabrikanten ausgeliefert zu sein, sollte ein gesunder Zwischenhandel eingeführt werden, da die Kleinen immer im Nachteil waren.
Wiener Glasercompagnie: Glößl setzte die Initiative dazu, die kleinen Glaser sollten über diese Kompagnie billiger einkaufen können. Schwere persönliche Differenzen zwischen den Mitgliedern führten jedoch zur Liquidierung, bevor sie richtig aktiv werden konnte.
Taschenbuch für Glasermeister Österreichs: Mit einem „officellen Minimal-Preisverzeichnis“ der Wiener Genossenschaft für Reparaturarbeiten, berechnet nach Grundpreisen, die in der Vorstandssitzung vom 28. März 1901 festgesetzt wurden. Es sollte eine Hilfe für die Umstellung vom Schock- auf  das Dezimalsystem sein, dem die Glaserschaft „bisher keine Sympathie“ entgegenbrachte und war Ratgeber für fachliche und gewerbliche Fragen.
Versicherungsgesellschaft Hammonia: Glößl setzte nach zähen Verhandlungen und einer Hinterlegung von 200.000 Kronen durch, dass in Österreich eine selbständige Geschäftsstelle der Deutschen Hammonia-Versicherung gegründet wurde. Sie brachte für die Glaser eine zusätzliche Einnahmequelle und Arbeit zu vernünftigen Preisen.
Glasertage: Im Jahr 1890 hatte Glößl, damals noch einfaches Mitglied der Genossenschaft, die Anregung zu einem Österreichischen Glasertag nach deutschem Vorbild gegeben. Diese fanden dann regelmäßig, jeweils in einer anderen Stadt, statt. Alle Genossenschafts-Mitglieder der Monarchie waren zu diesen Kongressen eingeladen. Es gab Gelegenheit zu gegenseitigen Aussprachen, Debatten nach Referaten, was für die  Erweiterung des fachlichen Wissens wertvoll war.
Meisterkrankenkasse: Carl Glößl nahm Kontakt zu allen Genossenschaften, die eine Meisterkrankenkasse hatten, auf und sammelte Daten aus deren Erfahrungen. 1908 wurde die Gründung dem Kaiser zu Ehren, in seinem Jubiläumsjahr der 60-jährigen Regierung beschlossen.
Befähigungsnachweis für Glasschleifer: Dieses uralte Handwerk hatte keinen Befähigungsnachweis, wohl aber die Graveure, die eigentlich nicht gravieren, sondern auch schleifen. Schon 1890, am 1. Glasertag in Wien, setzte sich Glößl mit einer zündenden Rede für diese Lebensfrage der Glasschleifer ein. 1905 war es endlich durchgesetzt, dass das bisher freie Gewerbe zu einem privilegierten Handwerk erhoben wurde.

Zum Duell gefordert

Carl Glößl machte sich nicht nur Freunde. In seiner Eigenschaft als verantwortlicher Redakteur der Österreichischen Glaserzeitung erhielt er am 6. Februar 1902 telegrafisch die Aufforderung zu einem Duell. Wegen eines „unqualifizierten Artikels“ wurde vom Vertreter des Ungarischen Glasindustrieblattes „unbedingte Satisfaction“ verlangt. Binnen 24 Stunden sollte Antwort über Rendezvousort und Secundanten gegeben werden. Glößl verzichtete darauf, das Telegramm der Staatsanwaltschaft zu übergeben, um diese an sich für ihn unbedeutende Sache nicht zu einer Sensationsaffäre werden zu lassen. Er war auch nicht bereit sein Leben in so effektvoller Weise für seine Glaser zu beenden.

„Viel Feind, viel Ehr“

Unter diesem Motto bewältigte Carl Glößl Konflikte, von denen er offensichtlich genügend hatte. Die Redaktion der Glaserzeitung gab er nach einigen Jahren an seinen Sohn Carl Glößl jun. ab, ebenfalls Glasermeister und auch Sekretär der Genossenschaft. Dieser blieb bis 1910 Redakteur, bis die Zeitung vom Verlag eigenständig weitergeführt wurde.
Carl Glößl sen. legte 1909 sein Amt als Vorsteher der Wiener Genossenschaft zurück. „Aus privater Natur“ wurde veröffentlicht, mit dem Zusatz: „Alle an dieses Vorkommnis in der gegnerischen Presse geknüpften weiteren Mitteilungen entsprechen nicht den Tatsachen und wird sich der Urheber derselben vor Gericht verantworten müssen“.
Weniger diskret ist in einem Artikel aus dem Jahr 1914 zu lesen, dass infolge verschiedener Vorkommnisse der Posten des Genossenschafts-Vorstehers vakant war, worauf Heinrich Kreibich von der Behörde mit der interimistischen Leitung betraut wurde und über Auftrag des Wiener Magistrates Neuwahlen durchzuführen hatte.
Das Gewerbe verlegte Glößl danach schräg vis a vis in die Millergasse 2. Noch einmal kandidierte er für das Amt des Genossenschaftsvorstehers, hatte jedoch keine Chance wiedergewählt zu werden. 1914 kandidierte er auch nicht mehr für den Gemeinderat.
Seine finanzielle Lage dürfte nicht rosig gewesen sein. In den letzten Kriegsjahren wurden ihm Unterstützungen aus dem Ludwig-Lobmeyr-Fond und der Eduard Göpfert’schen Stiftung zugewiesen.
Carl Glößl erkrankte im Dezember 1921 an einer Lungenentzündung, der er infolge seines hohen Alters rasch erlag. Unter außerordentlich hoher Beteiligung wurde er beerdigt, wobei der amtierende Genossenschafts-Vorsteher Bernhard Ellend am offenen Grabe den Verdiensten des Altmeisters gedachte.