Make no little plans

03.11.2014

 
Die Konferenz „Engendering Cities“ vom 25. bis 26. September in Rom stellte das Paradigma der „großen städtebaulichen Planungen“ indirekt infrage und widmete sich den kleinen, aber im Alltag wesentlicheren Ebenen der Stadt. Städtebauliche Leitkonzepte, aber auch Detailfragen, die auf vielfältige Bedürfnisse unterschiedlicher Personengruppen Bezug nehmen, wurden behandelt und auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüft.  

Make no little plans. They have no magic to stir men‘s blood and probably will not themselves be realized. So lautet ein bekanntes Zitat des amerikanischen Architekten und Städteplaners Daniel Burnham (1846–1912). 1909 legte dieser mit einem wegweisenden städtebaulichen Generalentwurf für die Stadt Chicago den Grundstein für die heute noch unverbaute Uferzone am Lake Michigan. Er stand damit gleichfalls am Beginn der Debatte, für wen und wie Städte ge­plant werden sollen. Auf der Konferenz „Engendering Cities“ wurde zu den Themen Stadtplanung und Stadtgestaltung, Gen­der Mainstreaming, Globaler Süden, Energie und Klimawandel, Smart Citys, Lebensqualität, Sichere Städte und Mobilität diskutiert. Dabei wurde Nachhaltigkeit und Inklusion vielschichtig mit dem Fokus auf Frauen und die Umsetzung von Gender Mainstreaming betrachtet. 

Gender-STE-Netzwerk

Die Konferenz wurde von Gender STE (Science, Technology, Environment), einem internationalen Netzwerk unter der Leitung von Inés Sánchez de Madariaga, organisiert. Sie ist Professorin für Stadtplanung an der Universität Madrid. Zu dem 2012 gegründeten und von der EU über COST (European Cooperation in Science and Technology) finanzierten Netzwerk gehören Personen aus Regierungs- und Verwaltungsorganisationen, Forschungseinrichtungen, Universitäten und privaten Unternehmen aus 40 Ländern. Ziel ist die Implementierung der Gen­der-Perspektive in den Handlungsfeldern Energie und Klima, Städte, Mobilität und industrielle Innovation. Wissenschaftliche Publikationen von ausgewählten Präsentationen der Tagung sind in Vorbereitung. Für das Jahr 2016 ist eine weitere wissenschaftliche Konferenz geplant.

Gender Mainstreaming

Gender Mainstreaming bedeutet, unterschiedliche Bedürfnisse aufzuspüren, systematisch zu erfassen und die gesellschaftliche Chancengleichheit der Geschlechter zu fördern. Dazu bedarf es gleichstellungspolitischer Instrumente. Auf europäischer Ebene wurde 1998 im Vertrag von Amsterdam die Umsetzung von Gender Mainstreaming festgelegt. Österreich hat sich im Jahr 2000 der Gender-Mainstreaming-Strategie verpflichtet und verfolgt seither Implementierungsstrategien sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene. Ziel ist es, eine geschlechtergerechte und gleichstellungsorientierte Sichtweise zum Bestandteil aller Entscheidungen zu machen. National erstellte Gender Manuals oder praktische Leitfäden auf EU-Ebene zeigen Möglichkeiten auf, die Vielfalt als Chance zu nutzen. Sie regen zur Umsetzung von Genderaspekten an. Die Stadt Wien brachte dazu 2013 ein „Handbuch Gender Mainstreaming in der Stadtplanung und Stadtentwicklung“ heraus, in dem Themen und Leitbilder einer gendersensiblen Planung und Verwaltung von ihrem Konzept bis zur Umsetzung beschrieben sind. Gen­der Mainstreaming ist eine Querschnittsmaterie, die auf allen Ebenen und in allen Planungsprozessen zum Tragen kommt. Im Mittelpunkt stehen Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen und deren Erfordernisse in verschiedenen Lebensphasen. Dabei werden bisher oft „unterrepräsentierte“ Gruppen wie Kinder, Jugendliche, Personen mit Betreuungspflichten sowie hochbetagte Menschen (75+) nochmals verstärkt betrachtet. Doris Damyanovic und ihre Mitautoreninnen vom Institut für Landschaftsplanung an der Boku Wien formulieren im „Handbuch Gender Mainstreaming“ genderrelevante Planungsziele für die Themenfelder Stadtstruktur, Raumbildung und Wohnqualität sowie öffentlicher Raum und Mobilität. In Detailfragen werden jene Qualitätsmerkmale deutlich, die über ein allgemeines Verständnis von nutzungsgerechter Planung hinausgehen. So stellt sich zum Beispiel die Frage der differenzierten Gestaltung öffentlicher Freiflächen im Stadtteil: Berücksichtigt die Gestaltung der Freiflächen unterschiedliche Lebenssituationen und Lebensphasen? Fußballkäfige oder Skaterbahnen lassen unberücksichtigt, dass es dazwischen auch noch andere Bewegungs- und Spielinteressen gibt. Mädchen und Burschen nutzen Freiräume unterschiedlich und eignen sich Räume unterschiedlich an. Ebenso sind qualitätsvolle Bewegungsangebote für ältere Menschen eine Herausforderung der Zukunft. 

Das von Beate Lubitz-Prohaska und Gabriele Mraz präsentierte Projekt „living_gender“ legt den Fokus auf den Wohnbau. Fragen der sozialen Nachhaltigkeit gewinnen für die Entwicklung zukunftsfähiger Gebäude eine immer größere Bedeutung. Wohngebäude, die unterschiedliche Lebensstile ermöglichen, sind besser nutzbar, langlebiger und somit auch im Lebenszyklus nachhaltiger. Im soeben fertiggestellten und online verfügbaren Planungshandbuch werden die Aspekte Projektentwicklung, Wirtschaftlichkeit, Gemeinschaftsbildung, Erschließung und Allgemein- und Privatbereiche beleuchtet. Dazu gibt es Empfehlungen, wie verschiedene Qualitäten für die verschiedensten Nutzergruppen definiert und in der Praxis leicht umgesetzt werden können. Das Handbuch wurde vom Österreichischen Ökologie-Institut (ÖÖI) in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (Ögut) und dem Büro Schöberl & Pöll verfasst und im Rahmen des Programms FEMtech Forschungsprojekte gefördert (www.livinggender.at).

Engendering transport

Gender Mainstreaming bedeutet auch, den Blick darauf zu lenken, wer durch welche Maßnahmen besonders betroffen ist und welche Auswirkungen daraus resultieren. Die ungleiche Verteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern ist hinlänglich dokumentiert. Durch unterschiedliche berufliche Tätigkeiten, Lebens- und Familiensituationen, vor allem im Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung familiärer Betreuungs- und Versorgungspflichten, ergeben sich auch unterschiedliche Ansprüche an die lokale Infrastruktur und die Angebote im öffentlichen Verkehr. Eine Erhebung der Wiener Linien1 zeigt, dass Frauen in Wien häufiger zu Fuß (31,5 Prozent Frauen, 24,8 Prozent Männer) und im öffentlichen Verkehr (39,4 Prozent Frauen, 34,8 Prozent Männer) unterwegs sind als Männer. 

Dass besonders Fahrten im Zusammenhang mit Betreuungspflichten noch unzureichend dokumentiert und in die Verkehrsplanung eingeflossen sind, belegen einige der in Rom vorgestellten Projekte. Inés Sánchez de Madariaga von der Universität in Madrid stellte ein Konzept vor, mit dem sie sich bereits seit 2009 beschäftigt. In „Mobility of care“ versucht sie, schwerpunktmäßig kurze Wegestrecken – weniger als 15 Minuten und unter einem Kilometer Wegzeit – zu erheben, um detaillierte Informationen über Mobilitätsverhalten im Zusammenhang mit der Betreuung anderer zu erlangen. Gendergerechte Planung begnügt sich nicht mit der Orientierung am statistischen Durchschnitt, sie stellt vielmehr die Frage nach Zusammenhängen und Details. Ziel ist einmal mehr die Implementierung genderrelevanter Aspekte in die Planung, hier konkret in die Verkehrsplanung und -forschung. Mobilität bedeutet soziale und gesellschaftliche Teilhabe und sollte gleichberechtigt zugänglich sein. Dass die Verkehrsplanung nach wie vor männlich dominiert ist – vorwiegend am Berufsverkehr von vollzeiterwerbstätigen Männern und ihren Wertvorstellungen orientiert –, kritisieren auch andere Vortragende. Selbst wenn in den Entwicklungsplänen noch häufig von Barrierefreiheit und Planung für alle die Rede ist, hinkt die Umsetzung dessen mit Abstand hinterher. Mehrere europäische Studien zeigen, dass Frauen kürzere Wege und komplexere Wegeketten zurücklegen und weniger mit dem privaten Auto unterwegs sind. 

Smart oder/und Save Citys

Ob mehr Smartness oder mehr Sicherheit in der Stadt von morgen gefragt ist, wird parallel diskutiert. Beide Konzepte haben ihre Berechtigung, beiden fehlt mitunter der „Genderblick“, um adäquate Lösungen zu entwickeln. Maria Rosaria Di Lorenzo von der Universität in Rom hinterfragt derzeitige Smart-City-Leitbilder und kommt zu dem Schluss, dass wichtige Aktionsfelder zur Inklusion von Genderaspekten und zu der Ermächtigung von Bürgerinnen und Bürgern fehlen. Für eine erfolgreiche Umsetzung benötigt es eine ausgewogene Gender-Balance in privaten und öffentlichen Entscheidungsgremien, weiters eine gezielte Förderung von Unternehmensgründungen von Frauen in ausgewiesenen Smart-City-Branchen sowie Bildungsangebote und -programme für „Smart Services“ zur Verbreitung in allen Bevölkerungsschichten. Anhand von Fallstudien zu Smart-City-Konzepten in Italien kommt Maria Sangiuliano vom Europäischen Zentrum für Frauen und Technologie in Venedig zu ähnlichen Ergebnissen. Selbst wenn Gleichstellungsfragen erwogen werden, bleibe die Genderdimension weitgehend unberücksichtigt. Gender wird im Zusammenhang mit dem „digital devide“ genannt, dem Auseinanderdriften gesellschaftlicher Schichten durch neue Medien und Digitalisierung. Jedoch sind Frauen weder in der lokalen Politik noch in den IKT-Unternehmen präsent. Sangiuliano attestiert den beteiligten Organisationen und Institutionen Gender-Blindheit und fordert einen reflektierteren Umgang aller Beteiligten in den Multi-Stakeholder-Netzwerken.

Während die Themen Smart Citys, Energiereduzierung und Klimawandel besonders Frauen aus den Ländern der nördlichen Hemisphäre beschäftigt, sind in Asien, Afrika oder Südamerika Sicherheit und Prävention vor sexuellen Übergriffen gegen Frauen virulente Themen. 2011 hat die UN-Women-Organisation gemeinsam mit Unicef und UN-Habitat das Programm „Safe and Sustainable Cities for All“ gestartet. Seither läuft eine Reihe von Initiativen in Brasilien, Costa Rica, Honduras, Kenia, Libanon, Marokko, auf den Philippinen und in Tadschikistan. Auf der Konferenz Engendering Cities wurden von Laura Capobianco und Projektmitarbeiterinnen sowohl das Rahmenprogramm als auch einige dieser Initiativen vorgestellt. Raphaelle Rafin, Projektkoordinatorin in Marrakesch, berichtet zum Beispiel über die ersten Erfolge in einer Kampagne zur Vermeidung sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen mithilfe von Mobiltelefonen. Dazu wurden in einer ersten Phase grundlegende Informationen gesammelt, ob und wie Frauen in großteils verarmten Regionen Zugang zu Mobiltelefonen haben und wie diese angewendet werden. Die in Zusammenarbeit mit Microsoft erarbeitete Studie wird neben Marrakesch auch in Rio de Janeiro und Neu-Delhi durchgeführt. UN-Women attestiert sexueller Belästigung in öffentlichen Räumen, eine viel zu wenig beachtete globale Pandemie zu sein. In London gaben in einer 2012 durchgeführten Studie 43 Prozent von jungen Frauen an, in den vergangenen Jahren Belästigungen auf der Straße erlebt zu haben. In Frankreich gibt aktuell jede vierte Frau an, Angst auf der Straße zu verspüren, jede Fünfte hat Belästigung selbst auf der Straße erlebt. Noch wesentlich schockierender sind Zahlen aus Neu-Delhi: 92 Prozent der Frauen gaben an, bereits einmal mit sexueller Gewalt in öffentlichen Räumen konfrontiert gewesen zu sein; immer noch zwischen 55 und 68 Prozent der Frauen sind es in den Hauptstädten Papua Neuguineas, Ecuadors oder Ruanda. UN-Women nimmt diese Zahlen als deutlichen Auftrag zum Handeln und zur Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, um gezielte Kampagnen gegen die Diskriminierung und Tolerierung von Gewalt gegen Frauen zu starten.

Lebensqualität, Inklusion und ­sozialer Zusammenhalt

Dass Urban Gardening mehr ist als eine Möglichkeit, sein eigenes Gemüse anzupflanzen, sondern ein effizientes Modell zur Gemeinschaftsbildung und Kommunikation darstellt, wird in einem Vortrag der Landschaftsplanerin Rita Mayrhofer deutlich. Wohn- und Lebensqualität in Städten hängt nicht zuletzt damit zusammen, wie gut soziale Netzwerke funktionieren oder der Alltag im Kleinen klappt. Mervi Ilmenen von der Aalto-Universität in Finnland spricht über Frauen als „Raumgestalterinnen“. Dabei bezieht sie sich auf Ergebnisse einer Studie, in der die soziale und kommunikative Funktion kleiner, von Frauen geführter Einzelhandelsgeschäfte entlang lokaler Einkaufstraßen untersucht wurde. Einer vorwiegend männlichen künstlerischen Kollegenschaft, die versucht durch Festivalisierung öffentlicher Räume und ikonografische Objekte städtische Identitäten zu erzeugen – so etwa die von Tommi Toijas acht Meter hohe Statue des „Bad Bad Boy“ an zentraler Stelle in Helsinki aufgestellt –, stellt sie kleine lokale Gemeinschaften mit engen sozialen Kontakten gegenüber. Die Frauen arbeiten darin nicht nur wirtschaftlich orientiert, sie bringen auch ihr soziales Kapital und ihre Persönlichkeit in ihr Unternehmertum ein. Ihre Lokale sind ein wichtiger Teil urbaner Kultur, über Generationen bestehende Landmarks, von großer Bedeutung für die lokale Ökonomie und als soziale Treffpunkte, an denen Menschen ihre Freuden und Sorgen teilen.

Autor: Edeltraud Haselsteiner

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