FRAUEN IM HANDWERK

"Handwerk ist mein Ding!"

Frauen im Handwerk
20.07.2022

Über Umwege gelangte Anja Natter zum Tischlerhandwerk. Heute fertigt sie in Eigenregie Wohnzimmer- und Küchenmöbel vom Zuschnitt bis zur Montage.
Tischlerin Anja Natter

Wer sich heuer auf die Suche nach einer Lehrstelle begibt, hat häufig die berühmte Qual der Wahl – schließlich können Interessierte allein im Handwerk zwischen über hundert verschiedenen Lehrberufen wählen. Bei einer so großen Fülle an Möglichkeiten fällt die Entscheidung für oder wider einen Beruf oft nicht leicht: Ähnlich erging es Anja Natter aus Bizau in Vorarlberg, als sie sich im Jahr 2011 kurz vor dem Abschluss der Hauptschule nach einer Ausbildung umsah: "Im Jahr meines Schulabschlusses habe ich mich zunächst etwas orientierungslos gefühlt. Ich habe dann ein paar Tage in einem Modegeschäft gearbeitet – da habe ich dann allerdings recht schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist.“ Auf der Suche nach beruflichen Alternativen erkundigte sich die Vorarlbergerin im Freundes- und Bekanntenkreis nach weiteren Ausbildungsmöglichkeiten. Wenig später hat sie sich dann auf Anregung eines Freundes, welcher selbst Tischlerlehrling war, für eine Ausbildung zur Tischlerin entschieden: "Als mich ein Kollege fragte, ob ich nicht bei ihnen in der Tischlerei anfangen möchte, dachte ich: Warum eigentlich nicht? Schließlich hat mich das Handwerk schon immer interessiert. Als ich dann die Werkstatt das erste Mal betreten habe, wusste ich: Das ist mein Ding. Hier bin ich richtig.“

Küchenprojekt von Tischlerin Anja Natter
Made by Anja Natter: Sämtliche Möbel und Einbauküchen werden von der jungen Tischlerin vom Zuschnitt bis zur Montage aus eigener Hand erstellt.

Gemeinsam ist man stark

Die ersten Wochen in der Tischlerei waren für die damals fünfzehnjährige Natter nicht leicht. Obwohl sie sich in der Werkstatt schnell zurechtfand, hätten sie manche Kollegen nicht gleich akzeptiert, wie sich die heute Sechsundzwanzigjährige erinnert: "Ein paar ältere Kollegen in der Werkstatt sagten anfangs über mich: 'Was will die denn hier? Die kann doch sowieso nichts!‘ Ich muss sagen, das war schon echt hart. Mit den Jüngeren aus dem Team habe ich diese Probleme jedoch nie gehabt, die haben mich auch immer unterstützt, wenn ich Hilfe gebraucht habe.“ Nach Abschluss ihrer vierjährigen Ausbildung zur Tischlereitechnikerin an der Berufsschule Dornbirn im Jahr 2015 und einer halbjährigen Beschäftigung als Gesellin bei einer Tischlerei in Hirschau wechselte sie im Jahr 2016 zur Bau- und Möbeltischlerei Künzler in Bizau im Bregenzerwald: "Was mir gut an der Tischlerei gefällt, ist die große Vielfalt an Produkten. Außerdem schätze ich den Zusammenhalt im Team, da geht man morgens gerne zur Arbeit.“

Küchenprojekt von Tischlerin Anja Natter
„Wer im Tischlerhandwerk bestehen will, muss sich gut organisieren“, sagt Tischlerin Anja Natter.

Fertigung aus erster Hand

Eine weitere Besonderheit der Tischlerei ist, dass Produktfertigung und Montage nicht voneinander getrennt werden, wie Natter erklärt: "Wir sind so organisiert, dass jede Tischlerin und jeder Tischler nach der Plan­erstellung ein Projekt erhält, das sie oder er dann selbst anfertigt und bis zur Montage betreut.“ So hat auch Natter schon ganze Wohnungen in Eigenregie ausgestattet – was wiederum ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Weitsicht voraussetzt: "Unsere Projekte sind sehr komplex, deswegen ist es wichtig, sich gut zu organisieren.“ Ist das Objekt fertig, fährt die Tischlerin mit den Kollegen zur Montage zu den Kund*innen. Nicht selten blickt die junge Frau dabei in erstaunte Gesichter: „Viele sind erstmal baff, wenn sie erfahren, dass ich das ganz alleine gebaut habe. Wenn die Leute an einen Tischler denken, haben sie immer noch einen gestandenen Mann vor Augen – das ist einfach so.“ Immer wieder habe sich Natter gefragt, weshalb noch immer relativ wenige Frauen eine handwerkliche Tätigkeit ergreifen: "Ich könnte mir vorstellen, dass manchen die körperliche Belastung zu groß ist. Außerdem habe ich gehört, dass manche in dieser Branche immer noch recht wenig verdienen, was ich persönlich sehr schade finde.“

Küchenprojekt von Tischlerin Anja Natter

Nach der Krise ist vor der Krise

Laut Natter habe die Branche noch immer mit den wirtschaftlichen Auswirkungen rund um die Pandemie zu kämpfen, wenngleich die Auftragslage gleichbleibend gut sei, wie die Tischlerin berichtet: "Mit Ausbruch der Pandemie waren wir zunächst stark verunsichert. Glücklicherweise sind die Preise bei den Plattenwerkstoffen und beim Holz inzwischen wieder gesunken – bei den Geräten gehen die Kosten aber weiterhin in die Höhe, außerdem muss man sich auf Wartezeiten von über einem halben Jahr einstellen.“ Nichtsdestotrotz blickt die Tischlerin mit Gelassenheit in die Zukunft: "Wir bei Künzler haben bei der Produktion schon immer auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis geachtet. Das kommt uns jetzt zugute, weil es uns möglich ist, trotz der teilweise extremen Preissteigerungen ein günstiges und nachhaltiges Möbel herzustellen. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir die kommenden Monate gut meistern werden.“   

Branchen
Tischlerei